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Ägypten
al-Sisi = Mubarak?

Die Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer findet den Vergleich von Armeechef al-Sisi mit dem früheren Machthaber Mubarak passend. Sie sagte im Deutschlandfunk, Sisi sei ein "Mann der Sicherheit" - verkörpere aber nicht die Ziele der Revolte von 2011.

Gudrun Krämer im Gespräch mit Christine Heuer |
    Mubarak 1981 in Uniform und al-Sisi 2014 in Uniform.
    Mubarak 1981, al-Sisi 2014 (dpa/picture alliance/epa Farouk Ibrahim/Khaled Elfiqi)
    Christine Heuer: In Ägypten sieht es ganz danach aus, dass der neue starke Mann al-Sisi für die Präsidentschaft kandidieren will und dann wohl auch gewählt wird. Was bedeutet das für die Zukunft des Landes? Darüber möchte ich jetzt mit der Berliner Islam-Wissenschaftlerin Gudrun Krämer von der Freien Universität Berlin sprechen. Guten Morgen, Frau Krämer.
    Gudrun Krämer: Guten Morgen!
    Heuer: Al-Sisi wirkt auf den jüngsten Fotos wie ein Double von Mubarak. Ist er das? Bekommen die Ägypter jetzt wieder einen Pharao?
    Krämer: Ja, in gewissem Sinne schon, und ich finde den Vergleich auch sehr passend. Der Mann kommt aus dem Militär, nicht gerade von der kämpfenden Truppe, sondern eher aus den Führungsstäben. Er war zuletzt Chef des militärischen Geheimdienstes, längere Zeit Militärattaché in Saudi-Arabien, also ein Mann der Sicherheit, der nicht das vertritt, wofür die jungen und nicht so jungen Menschen vor drei Jahren auf die Straße gegangen sind.
    Heuer: Was vertritt er denn? Wofür steht er ein?
    Krämer: Ich denke, Ruhe, Ordnung, gemäß einem Sicherheitskonzept, das sehr konventionell wirkt, was allerdings gerade nach der jüngsten Unruhe und dieser Welle von Terroranschlägen, wie sie Ägypten seit 30 Jahren nicht gesehen hat, von vielen Menschen unterstützt wird, die auch Ruhe und Sicherheit und Stabilität wollen und wohl bereit sind, dafür das zu opfern, wo so viele so viel gegeben haben.
    Heuer: Was wird da geopfert? Will al-Sisi die Arabische Revolution ad absurdum führen?
    Krämer: Nun, er tritt jedenfalls nicht für ihre Ziele ein, soweit sie sich auf Freiheit, auf freiheitliche Selbstgestaltung, freiheitliche politische Ordnung ausrichten. Nun sind die Menschen für Vielerlei auf die Straße gegangen, Arbeit, Würde, Freiheit, und wenn es natürlich die neue Führung schaffen würde, zumindest die wirtschaftliche Lage zu bessern, hätte sie noch mehr Unterstützung, als ihr jetzt schon gewiss zu sein scheint. Aber dafür gibt es im Moment kein Anzeichen, weil man kein Konzept sieht, das von dieser Seite durchdacht wäre. Also da ist die Rechnung noch ganz offen.
    Heuer: Dennoch sind die Menschen in Ägypten dermaßen zermürbt, dass sie sagen, das ist uns alles lieber, als jetzt weiter im Chaos oder unter schwierigen politischen Umständen weiterzumachen?
    Krämer: Die Mehrheit jedenfalls, die Mehrheit, soweit wir sie hören und sehen. Es gibt bestimmte Landesteile, die von der öffentlichen Berichterstattung weitgehend ausgegrenzt sind. Das ist Mittel- und Oberägypten. Aber die Mehrheit der Bevölkerung lebt in den großen Ballungsgebieten und dort ist das, was nach außen dringt, was man auch in Gesprächen hört, in erster Linie doch dieser Wunsch, jetzt endlich wieder Ruhe zu haben, endlich wieder Ordnung zu sehen und diese, aus meiner Sicht ganz irrationale Hoffnung darauf, dass hier Sisi als Rettungsgestalt auftritt und die Wende zum Besseren bringt.
    Heuer: Und die Arabische Revolution in Ägypten, die ist dann tot, wenn es so kommt?
    Krämer: Sie ist eingeschläfert. Nun gibt es nach wie vor aktive Kräfte, auch solche, die durchaus für Ruhe und Ordnung eintreten, aber Sisi und seinem Programm skeptisch gegenüberstehen. Aber im Moment stehen sie unter enormem Druck und sind fast an den Rand gedrängt. Nun ist das keine Prognose über viele Jahre. Man muss sehen, wie sich die wirtschaftliche, die soziale Lage weiterentwickelt. Denn von den großen Themen, wegen derer die Leute damals auf die Straße gegangen sind, ist ja keines gelöst, und deswegen kann ich auch nicht sehen, dass jetzt der augenblickliche Wunsch nach Ruhe auch sich in vollkommene Kritiklosigkeit übersetzt.
    "Die Anschläge nicht von den Muslimbrüdern verübt"
    Heuer: Entschieden auf Konfrontationskurs, Frau Krämer, bleiben ja die Anhänger des abgesetzten Präsidenten Mursi. Gestern erst gab es wieder Anschläge. Kann sich die Lage unter dem Vorzeichen einer solch erbitterten Auseinandersetzung denn tatsächlich beruhigen?
    Krämer: Ich sehe es nicht, außer durch einen ganz, ganz harten Repressionskurs, und auch jetzt schon wird ja nicht mit weichem Handschuh regiert. Nur muss man eines sehen: Nach allen Informationen, die uns vorliegen, werden die Anschläge nicht von den Muslimbrüdern verübt, sondern von einer Organisation, die locker oder nicht so locker mit El Kaida verbunden ist und vom Sinai aus operiert. Die spricht sich dafür aus, die Anliegen der Muslimbrüder zu unterstützen, aber sie ist nicht mit der Muslimbruderschaft identisch, die allerdings zum Widerstand aufruft, nur nicht zu Anschlägen und Attentaten, wie sie jetzt zuletzt in Kairo und anderswo vorgekommen sind. Da muss man aber doch einen deutlichen Unterschied machen.
    Heuer: Im Moment ist al-Sisi der starke Mann in Ägypten. Ich habe vorhin schon im Gespräch, das wir miteinander führen, ein bisschen Zweifel bei Ihnen herausgehört, wie lange er sich halten wird. Was meinen Sie, wie lange wird das dauern?
    Krämer: Ich habe keine Prognose gewagt darüber, wie lange er sich an der Macht halten wird, denn es stehen ihm ja doch ganz erhebliche Machtmittel zur Verfügung, die ein solcher Sicherheitsstaat anbietet. Ich habe nur vermutet, dass die Zustimmung, die ihm im Moment regelrecht entgegenwallt, sehr schnell zurückgehen wird, wenn sich zeigt, dass er die grundlegenden Probleme des Landes nicht angeht, geschweige denn löst, und im Moment sehen wir kein Anzeichen, dass die augenblickliche Regierung, hinter der ja auch al-Sisi steht, hier energisch vorgeht. Sie können sich im Moment stützen auf enorme Mittel, die aus Saudi-Arabien und von anderen Golf-Ländern kommen, aber diese Grundprobleme der ägyptischen Wirtschaft, zu denen ja auch die Sonderstellung der Armee durchaus beiträgt, haben sie nicht angegangen.
    Heuer: Welche Rolle spielt das Militär unter al-Sisi?
    Krämer: Nun, grundsätzlich ist es die starke Macht, die dafür sorgen kann, dass Kräfte, die man nicht haben will, ausgeschaltet werden. Das gilt für die starke islamische Gruppierung, Muslimbrüder, es könnte sich auch gegen andere islamistische Kräfte wenden, die im Moment so ganz aus dem Blickfeld gerückt sind, ich meine die sogenannten Salafisten, es kann sich aber ebenso gegen Liberale und Linke wenden. Also das eine ist die schiere Macht und der Zugriff auf Repressionsmittel, allerdings dann immer nur gemeinsam mit der Polizei, die ja im Inneren in erster Linie auftritt.
    Das andere wohl bekannte Faktum ist die starke Rolle der Armee in der Wirtschaft, innerhalb derer sie schätzungsweise 35 bis 40 Prozent kontrolliert, sodass auch eine Vielzahl von Ägyptern wirtschaftlich an diese Kraft gebunden sind und abhängig von deren Arbeitskräften sind, sodass die Armee hier eine Stellung hat wie eigentlich in wenigen Ländern der Welt.
    Parlamentarier klatschen im tunesischen Parlament in die Hände und reißen die Arme nach oben
    Das tunesische Übergangsparlament stimmte einer neuen Verfassung zu (dpa / Mohamed Messara)
    Der Vergleich mit Tunesien
    Heuer: Tunesien hat gerade eine Verfassung angenommen. Wieso klappt die Arabische Revolution dort, aber in Ägypten nicht? Hat das auch mit der Armee zu tun?
    Krämer: Es ist sicher ein Faktor unter mehreren, aber ich denke, man muss auf die beiden Seiten dieser Gleichung schauen. Zum einen ist in Tunesien die Gesellschaft schon seit längerem einfach besser organisiert als in Ägypten, sei es in Form politischer Parteien, sei es in Form von Gewerkschaften, die in Ägypten eine ganz untergeordnete Rolle spielen, oder auch starker Menschenrechts- und Frauenorganisationen, die in ganz anderer Weise für ihre Anliegen eintreten, als dies in Ägypten der Fall ist. Und auf der anderen Seite gibt es nicht diese Tradition eines sehr starken Staatsapparates und einer sehr starken Armee, weder im unmittelbar sicherheitspolitischen Sinn, noch im ökonomischen Sinn, und ein drittes Faktum kommt hinzu, das gerade in den letzten Wochen und Monaten so auffällig geworden ist. Ganz offenkundig haben Entscheidungsträger oder auch breitere politisch engagierte Gruppen in der tunesischen Gesellschaft begriffen, dass Politik auch mit Verhandlung, mit Kompromiss, mit Zugeständnissen zu tun hat, dass diese Nullsummen-Spiele zu nichts führen, und wahrscheinlich hat auch das abschreckende ägyptische Beispiel noch dazu beigetragen, dass etwa die islamistische Kraft Ennahda in ganz anderer Weise mit ihren Opponenten verhandelt hat und auch Zugeständnisse gemacht hat, als dies die Muslim-Brüder in Ägypten getan haben.
    Heuer: Tunesien hat es im Vergleich mit Ägypten leichter mit der Arabischen Revolution und ist deshalb vielleicht auch erfolgreicher – das war die Islam-Wissenschaftlerin Gudrun Krämer. Ich bedanke mich sehr für das Gespräch, Frau Krämer.
    Krämer: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Hinweis: Das Gespräch mit Gudrun Krämer können Sie mindestens fünf Monate lang als Audio-on-demand abrufen.