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Ägypten "miteinander gestalten"

Militärs unterdrücken Muslimbrüder, Ex-Präsident Mursi sitzt seit vier Wochen in Haft: Die Lage in Ägypten bleibt unübersichtlich. Markus Löning (FDP), der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, fordert "eine durch Wahlen legitimierte Regierung" für das Land.

Markus Löning im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Mario Dobovisek: Vor allem eines erreichen die Militärs in Ägypten mit ihrer Unterdrückung der Muslimbrüder: Die Islamisten rücken nach rechts und radikalisieren sich weiter. Ihr gewählter Präsident Mursi sitzt im Gefängnis, seit vier Wochen schon. Es gehe ihm gut, sagte EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton gestern, nachdem sie ihn besuchen konnte. Vermitteln will sie zwischen den verfeindeten Parteien am Nil, und auch zwei US-Senatoren werden dort erwartet. Doch die Fronten scheinen verhärteter denn je, am Abend demonstrierten Tausende Mursi-Anhänger unter der Losung "Die Märtyrer des Staatsstreichs" für seine Wiedereinsetzung. Es blieb ruhig. Mitgehört hat Markus Löning, der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung. Guten Morgen, Herr Löning!

    Markus Löning: Guten Morgen, Herr Dobovisek!

    Dobovisek: Hatte aus Ihrer Sicht Catherine Ashton bereits Erfolg?

    Löning: Es ist ein Erfolg, dass sie mit Herrn Mursi und mit anderen Vertretern der Muslimbrüder gesprochen hat, das ist wichtig, denn unser Signal an die Ägypter ist ja, dass wir einen inklusiven Prozess erwarten. Alle Beteiligten Parteien müssen miteinander reden, müssen miteinander an einer Lösung für Ägypten arbeiten. Da sehe ich einen kleinen Schritt in die richtige Richtung. Aber das ist natürlich der erste kleine Schritt auf einem langen Weg, den Ägypten zu gehen hat.

    Dobovisek: Wie passt es dann zu Ihren Erwartungen, wenn Sie sagen, alle müssen an einem Tisch sitzen, dass sich die Muslimbrüder nach wie vor verweigern?

    Löning: Ich denke, es ist wichtig, dass alle Seiten einen Schritt aufeinander zu machen. So wie mir die Lage geschildert wird, sind die Fronten extrem verhärtet. Man redet nicht miteinander und vor allem, die Erkenntnis, dass nur gemeinsam die Zukunft Ägyptens gestaltet werden kann, nur im Respekt auch vor den Meinungen der anderen, das heißt, der säkularen Seite gegenüber den Muslimbrüdern, aber auch der Muslimbrüder gegenüber der säkularen Seite, kann Ägypten seine Zukunft finden. Und diese Erkenntnis, das ist eine ganz wesentliche Botschaft, die wir immer wieder nach Ägypten vermitteln müssen. Ihr müsst miteinander reden, ihr müsst gemeinsam miteinander gestalten. Das ist der Kern der Sache, und ich finde, um diesen Kern voranzubringen wäre es wichtig, dass Mursi und die anderen verhafteten Köpfe der Muslimbruderschaft aus der Haft entlassen werden und in Freiheit agieren. Er ist der gewählte Präsident, und ich finde, das muss auch respektiert werden.

    Dobovisek: Was, wenn die beiden Seiten nicht aufeinander zu gehen?

    Löning: Es ist eine Entscheidung der Ägypter über ihr eigenes Land, über die Zukunft ihres Landes, wie wollen sie ihr Land gestalten. Das ist ein mühevoller, ein schmerzlicher Prozess. Keine der Seiten ist es ja gewohnt, in Freiheit, in einer demokratischen Gesellschaft miteinander in einer Diskussion zu sein, auf Argumente zu hören, gemeinsam Dinge zu gestalten, Kompromisse zu machen. Nach Jahrzehnten, Jahrhunderten von Diktatur und autoritärer Gesellschaft - eben diese Kernelemente einer demokratischen Gesellschaft sind in Ägypten eben sehr schwach ausgeprägt nur. Das scheint mir das Problem. Es wird ein langer, schmerzhafter Prozess, aber wir müssen ihn, so gut es geht, von außen unterstützen.

    Dobovisek: Sie sagen, Mursi solle entlassen werden aus der Haft, solle freigelassen werden wie auch die anderen politischen Gefangenen, so fordert es auch Frankreichs Außenminister Fabius. Ist es denn richtig, dass ein gewähltes Staatsoberhaupt, das ist ja Mohammed Mursi nun mal, abgesetzt und inhaftiert wurde?

    Löning: So oder so, er ist der gewählte Präsident Ägyptens. Ich glaube, es kommt jetzt darauf an, aus der Situation, wie sie nun einmal ist, herauszukommen, indem möglichst schnell Neuwahlen stattfinden. Es ist eine Forderung Deutschlands, aber auch der EU an die derzeitigen Machthaber. Sie haben Wahlen in Aussicht gestellt, sie haben einen Übergangsplan vorgestellt. Der muss umgesetzt werden, das heißt, möglichst müssen Wahlen erfolgen. Das ist aus meiner Sicht der Weg da raus. Denn Ägypten braucht eine durch Wahlen legitimierte Regierung, sonst wird es niemals zu diesem inklusiven Prozess kommen können.

    Dobovisek: Ägypten hatte eine durch Wahl legitimierte Regierung.

    Löning: Das ist richtig. Aber auch hier haben wir gesehen, dass es den Muslimbrüdern zumindest schwer gefallen ist, um es mal freundlich auszudrücken, auf die andere Seite zuzugehen und zu respektieren, dass selbst, wenn man eine Mehrheit hat, auch die Ansichten der Minderheiten, die Rechte der Minderheit geschützt werden müssen. Wir haben bei dem Verfassungsprozess ja durchaus gesehen, dass die Verfassung in einigen Bereichen besser geworden ist, dass Rechte besser geschützt waren, aber man sah an der Verfassung eben auch, dass Meinungsfreiheit zum Beispiel eingeschränkt werden sollte an anderen Punkten, also der Respekt davor, dass selbst, wenn man die Mehrheit hat, die Minderheit geachtet und geschützt werden muss. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt, auf den es ankommt und den eben die Muslimbrüder auch nicht respektiert haben, als sie an der Macht waren.

    Dobovisek: Die Verfassung der Muslimbrüder beinhaltet auch die Scharia. Sind die Muslimbrüder für Sie veritable Partner?

    Löning: Sie waren die gewählte Regierung Ägyptens, und ich denke, es ist wichtig, dass wir als Demokraten sagen, dahinter steht die Mehrheit des ägyptischen Volkes. Dafür muss man nicht in allen Aspekten einig sein mit dem, was gemacht worden ist, mit dem, was beschlossen worden ist. Da gab es Differenzen, das haben wir auch immer sehr klar gemacht, dass wir an bestimmten Punkten mit der Verfassung so nicht einverstanden sind, aber sie waren durch Wahlen legitimiert und insofern waren sie natürlich ein Ansprechpartner für uns.

    Dobovisek: Welche Rolle kann Deutschland spielen, um die Lage und die Gemüter in Ägypten zu beruhigen?

    Löning: Ich glaube, dass wir sowohl als Deutsche, aber auch als Europäer in Ägypten insofern einen guten Stand haben, weil wir in der Lage sind, mit beiden Seiten zu sprechen. Das hat Catherine Ashton ja gerade gezeigt. Sie ist in der Lage, sowohl mit der Führung der Muslimbrüder, aber eben auch mit Herrn Mursi zu sprechen und dort zu versuchen, einen Dialogprozess zu unterstützen. Das kann man von außen nur unterstützen. Das können wir als Europäer, das können wir auch als Deutsche. Und da werden wir selbstverständlich auch weiter aktiv bleiben.

    Dobovisek: Sie haben es, Herr Löning, genauso wie Catherine Ashton gesagt, das ägyptische Volk müsse selber seine eigene Zukunft bestimmen. Der Streit, Sie haben es auch gesagt, der ist festgefahren. Kann es Ägypten aus Ihrer Sicht derzeit überhaupt schaffen, alleine aus dieser Krise herauszukommen?

    Löning: Ich glaube, Ägypten wird es schaffen, das ist eine alte Nation, ein altes Volk mit einer langen, langen Zivilisation, mit einer langen, langen Tradition. Aber es wird ohne Zweifel ein ganz, sehr schmerzhafter Prozess. Ich hoffe sehr, dass es gelingt, die Gewalt zu beenden, dass es dem Militär gelingt, das Land so weit zu befrieden, dass es zu keinen weiteren Toten kommt, dass die Auseinandersetzungen friedlich geführt werden, das wäre schon mal sehr, sehr wichtig. Aber selbstverständlich habe ich eine große Hoffnung und setze darauf, dass Ägypten mittelfristig ein demokratisches Land wird unter Einschluss aller Bevölkerungsgruppen, unter Einschluss all derjenigen, die in Ägypten leben.

    Dobovisek: Wer hat aus Ihrer Sicht das Potenzial, alle wieder an einen Tisch zurückzubringen?

    Löning: Das scheint eine der Schwierigkeiten zu sein, dass sich eben intern dort niemand anbietet, dass wir in Ägypten im Moment niemanden sehen, der sagt, ich bringe alle an einen Tisch. Das wäre selbstverständlich die Aufgabe des Präsidenten, das zu tun. Das hat Mohammed Mursi nicht geschafft. Ich hoffe nach wie vor, dass der derzeitige Präsident, der Übergangspräsident das schafft und da einen Schritt macht. Aber wie gesagt, das bedarf eines Schritts, eines großen Schrittes und auch großen politischen Mutes, das zu tun.

    Dobovisek: Markus Löning, der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung im Interview mit dem Deutschlandfunk über die Lage in Ägypten. Ich danke Ihnen!

    Löning: Vielen Dank auch!

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