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Ägyptens Verfassungsreferendum
Tote bei Abstimmung

Trotz strenger Sicherheitsvorkehrungen hat es bei der Abstimmung über eine neue Verfassung für Ägypten mindestens fünf Tote gegeben. Der Andrang vor den Wahllokalen war groß, obwohl die inzwischen zur Terrororganisation erklärte Muslimbruderschaft zum Boykott aufgerufen hatte.

    Soldaten und Frauen gestikulieren vor einem Wahllokal in Ägyptens Hauptstadt Kairo
    Strenge Sicherheitsvorkehrung und lange Schlangen vor den Wahllokalen in Kairo (dpa / picture-alliance / Khaled Desouki)
    Bei Zusammenstößen zwischen Anhängern der Muslimbruderschaft und der Polizei wurden in der Stadt Sohag vier Menschen getötet. Die Polizei habe in der Stadt das Feuer auf eine Gruppe von 300 Mursi-Anhänger eröffnet, nachdem sie während einer Kundgebung von Dächern beschossen worden sei, teilten Behördensprecher mit. In der Provinz Bani Suef südlich von Kairo wurde ein Mursi-Anhänger erschossen, als er mit weiteren 100 Demonstranten versuchte, ein Wahllokal zu stürmen, wie es aus Sicherheitskreisen hieß. Es sei nicht klar, wer die tödlichen Schüsse abgegegeben habe.
    Zum Schutz der Wahllokale wurden landesweit rund 360.000 Polizisten und Soldaten abgestellt. Bei der Explosion eines Sprengsatzes wenige Stunden vor Beginn der Abstimmung in Kairo war niemand verletzt worden. Unklar ist bislang, wer hinter dem Anschlag steckt.
    Einfluss der Armee auf die Politik könnte gestärkt werden
    Übergangsregierung und Militärführung hatten für den Verfassungsentwurf geworben, während die Anhänger des gestürzten und mittlerweile inhaftierten Präsidenten Mohammed Mursi zum Boykott der Abstimmung aufriefen. Eine hohe Beteiligung könnte den Weg zu einer Präsidentschaftskandidatur von Armeechef Fattah al-Sissi ebnen. Den Text hatten Regierungsvertreter und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ausgearbeitet. Nach Ansicht von Kritikern dient der Entwurf weniger dem Aufbau eines demokratischen Staates als viel eher dazu, die Privilegien der Streitkräfte und deren Einfluss auf die Politik zu stärken.
    Ein älterer Mann wirft seinen Wahlschein am ersten Tag des Volksreferendums ein.
    Ein Ägypter bei der Stimmabgabe am ersten Tag des Volksreferendums. (dpa / Khaled Elfiqi)
    Schon vor Beginn des Referendums bildeten sich lange Schlangen vor den Wahllokalen, berichtet DLF-Korrespondent Björn Blaschke aus Kairo. Es ist bereits der dritte Anlauf zu einer Verfassung seit dem Sturz des langjährigen Präsidenten Hosni Mubarak im Jahr 2011. Für Armee und Verfassungsbefürworter ist das Referendum ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Demokratie. Sie argumentieren: Die zur Abstimmung stehende Verfassung garantiere die Gleichheit von Mann und Frau, schütze die christliche Minderheit und schaffe die Bevormundung durch eine Religion ab. Beobachter rechnen mit einer klaren Annahme der Verfassung durch die Bürger.
    Zweites Referendum nach gut einem Jahr
    Es ist gerade mal ein gutes Jahr her, im Dezember 2012, da stimmten die Ägypten schon einmal über eine Verfassung ab. Entgegen der Forderungen revolutionärer Aktivisten waren da schon das neue Parlament und der neue Präsident Mohammed Mursi gewählt. Der Verfassungstext von 2012 beschnitt nach Meinung der liberalen Opposition wesentliche Grundrechte und stellte die Weichen für eine Islamisierung von Staat und Gesellschaft..
    Auch der vorliegende Text sei quasi unter Ausschluss der islamistischen Kräfte ausgehandelt worden, meinte Ronald Meinardus, der Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Kairo, im Deutschlandradio Kultur. "Das verheißt nichts Gutes für die politische Zukunft, für die politische Stabilität in diesem Land." In Ägypten gebe es eine "tiefgreifende Polarisierung".