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Ägyptische Literaturtrends
Schluss mit orientalischem Herz-Schmerz

In Kairo findet derzeit die 46. Internationale Buchmesse statt. Auch in Zeiten der tiefen politischen Krise entwickeln insbesondere junge Ägypter immer mehr Interesse am Lesen. Ein Schriftsteller hat diesen Trend besonders vorangetrieben: Ahmed Mourad - ein Thriller-Autor.

Von Cornelia Wegerhoff |
     Verkauf gebrauchter Bücher in Kairo.
    Verkauf gebrauchter Bücher in Kairo. Noch immer kann ein Drittel der ägyptischen Bevölkerung nicht lesen. (picture alliance/dpa-Zentralbild - Matthias Tödt)
    Glattrasierter Kopf, eine eckige, schwarze Brille, schwarze Lederjacke. Ahmed Mourad ist ein Typ, der auch in seinen Romanen vorkommen könnte: Kühl, nüchtern, einer, der sich nicht aufhält mit Firlefanz. Auch im Interview nicht. Er antwortet freundlich, aber zurückhaltend. Kein Mann der großen Worte, sollte man meinen. Doch stille Wasser sind tief... Und Ahmed Mourad ist spezialisiert auf die tiefsten menschlichen Abgründe. Er schreibt Thriller. Für die arabische Literaturwelt ist es die Entdeckung eines bis dato eher unbekannten Genres:
    "Thriller sind rar in der arabischen Welt. Da gibt es noch nicht viel. Vielleicht liegt es daran, dass wir in unserer Kultur nicht diese klassischen Detektiv-Figuren kennen, wie Sherlock Holmes zum Beispiel. Aber der Geschmack der Leser hat sich auch bei uns verändert. Seit der ägyptischen Revolution sind die Zeiten vorbei, in denen sich die Leser in romantische, weltfremde Romane vertiefen, um den Alltag zu verdrängen."
    Also Schluss mit orientalischem Herz-Schmerz. Bei Ahmed Mourad geht es um die gruseligen Seiten der Realität. Und das kommt an. Vier Bücher hat der 37-Jährige bisher geschrieben, alle vier sind Bestseller. "El fil el asra", "Der blaue Elefant" wurde sogar in ägyptischer Starbesetzung verfilmt und 2014 zum Kassenschlager in den arabischen Kinos. Ein Psycho-Thriller, nichts für schwache Nerven.
    Leibfotograf der Präsidenten
    Mourads Karriere als Schriftsteller begann 2007. "Vertigo" hieß sein erster Roman. Die Hauptfigur ist ein Society-Fotograf , immer auf der Jagd nach den Reichen und Schönen im sonst armen Ägypten. Als er in einem Nachtclub Augenzeuge eines brutalen Mordes wird, wird er plötzlich selbst zum Gejagten. Auch Ahmed Mourad ist im Hauptberuf Fotograf. Nicht irgendwo, sondern im Zentrum der Macht. Im Präsidentenpalast. Jahrelang porträtierte der junge Mann den alternden Langzeit-Diktator Hosni Mubarak. Es seien die täglichen Widersprüche gewesen, die ihn damals zum Schreiben brachten, sagt Ahmed Mourad heute.
    "Morgens bei der Arbeit sah ich, wie die Leute den Präsidenten verehrten. Und am Abend, wenn ich auf die Straße ging, in ein Café, im Bus saß, dann hörte ich, wie sehr die Leute ihn kritisierten, beschimpften, beleidigten. Ich habe also beides erlebt: Verehrung und Verfluchung. Das wollte ich in einem Roman thematisieren."
    Der Stoff sei aber nur Fiktion, betont Ahmed Mourad immer wieder. Dabei hat er als Leibfotograf der Präsidenten die wahren Thriller hautnah miterlebt: Den Sturz Mubaraks nach dem Volksaufstand auf dem Kairoer Tahrir-Platz 2011, die Machtübernahme durch die Muslimbruderschaft und die Wahl Mursis, dessen Absetzung 2013 und die Amtsübernahme durch Abdel Fattah al Sisi, Mubaraks ehemaligem Geheimdienstchef, jetzt neuer starker Mann von Ägypten. Auf die Frage nach seinen persönlichen Erfahrungen mit den drei Präsidenten gibt sich Ahmed Mourad diplomatisch:
    "Die meisten Leute schauen aus dem Tahrir-Fenster. Aber nur wenige Leute schauen aus dem Palast-Fenster. Das heißt: Man hat die Chance, alles besser zu verstehen. Und man kann auch sehen, was dieser Mann jeweils macht, ob er das überhaupt kann – ich meine regieren. Und ob er wieder alles in den Griff bekommt, wenn etwas passiert. Seine Position ist nicht leicht, es ist eine harte Aufgabe. Und ich muss sagen: Keiner ist ein Teufel, keiner ist ein Engel. Einer hatte Erfolg, einer ist durchgefallen."
    "Man verschlingt das Buch"
    Mourads zweiter Roman, der Polit-Thriller "Diamantenstaub", wurde vom Schweizer Lenos Verlag ins Deutsche übersetzt. "Wer Ägypten verstehen will, der lese diesen Roman", schreibt die Kritikerin Susanne Schanda von der "Neuen Zürcher Zeitung", Expertin für arabische Literatur. Und auch die Ägypter selbst finden sich wieder:
    "Ahmed Mourad ist super", schwärmt Abeer Megahed. Sie leitet die Bibliothek des Kairoer Goethe-Instituts.
    "Also es ist nicht so ein Roman, wo aus Amerika kommt oder aus einer anderen Welt. Also nicht fantastisch, sondern es ist hier und jetzt. Und man verschlingt das Buch. Ich habe "Diamantenstaub" gelesen. Ich hab das nicht aus der Hand gelassen, bis zum letzten Wort."
    Vor allem jungen Lesern konnte sie in ihrer Bibliothek bisher nur wenige wirklich packende, lebensnahe Bücher in arabischer Sprache anbieten, so Abeer Megahed.
    "Also: dieses Bestseller-Phänomen. Wir hatten es lange Zeit nicht, wir kennen so was nicht. Wir sind ein Land, in dem wir immer noch damit kämpfen, Leute zum Lesen zu begeistern. Und Ahmed Mourad ist die Lösung."
    Denn er hat gleichzeitig einen Thriller- und einen Leseboom ausgelöst. Auf dem Weg zur Arbeit, in der U-Bahn, sehe sie jetzt immer mehr junge Ägypter lesen, berichtet Abeer Megahed. Und fast immer hielten sie ein Buch von Ahmed Mourad in den Händen. Keine Selbstverständlichkeit in einem Land, in dem immer noch ein Drittel der Bevölkerung gar nicht lesen und schreiben kann. Außerhalb der Großstädte Kairo und Alexandria gibt es in Ägypten kaum Buchhandlungen.
    "Die Leute aus Oberägypten, also Leser, haben nur eine Chance, Bücher zu kaufen, während der Buchmesse. Die müssen erst mal nach Kairo reisen, um zum Buch zu kommen."
    Der Bestseller-Autor Ahmed Mourad kam seinen jungen Fans entgegen. Noch vor seinem großen Auftritt auf der Kairoer Buchmesse gestern reiste er auf Einladung des Goethe-Instituts zu Vorlesungen aufs Land. Mit deutscher Unterstützung wurden die zwei ersten sogenannten Bücher-Cafés eröffnet, in denen neben schwarzem Tee und traditioneller Wasserpfeife auch Bücher angeboten werden:
    "Büchercafés aufzumachen ist eine exzellente Idee. Ich freue mich, dass mich das Goethe-Institut eingeladen hat, bei der Aktion mitzuwirken", sagt Ahmed Mourad und lächelt tatsächlich auch mal. Im Präsidentenpalast hat er jetzt auch noch einen Job dazu bekommen. Staatschef Sisi ernannte ihn zu einem seiner Kulturberater.