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Änderungsvorschläge zum BAföG
BAföG-Experte: Das Antragsverfahren sollte deutlich vereinfacht werden

Die Zahl der BAföG-Empfänger ist rückläufig. Das liege auch am komplizierten Antragsformular, sagte Frank Zehetner von den NRW-Studierendenwerken im Dlf. Zudem fürchteten Studenten eine Verschuldung durch das Geld vom Staat.

Frank Zehetner im Gespräch mit Jörg Biesler | 28.08.2018
    Studienanfänger sitzen am 14.10.2013 während ihrer ersten Juravorlesung in einem Hörsaal der Juristischen Fakultät der Universität Potsdam (Brandenburg).
    63 Prozent hätten laut Studierendenwerk Anspruch auf Förderung - aber viele Studenten stellen keinen BAföG-Antrag (dpa / picture alliance / Ralf Hirschberger)
    Jörg Biesler: Das BAföG, das Bundesausbildungsförderungsgesetz ist ja eigentlich ständig in der Diskussion, weil es sich offensichtlich nicht so schnell ändert wie die Lebenswirklichkeit der Studentinnen und Studenten, denen es ja hauptsächlich zugute kommt. 2016 ist das BAföG zum letzten Mal reformiert worden. Seitdem gab es viele Forderungen nach erneuten Anpassungen. Die Zahl der BAföG-Empfänger nämlich ist seit Jahren rückläufig. Heute hat die Arbeitsgemeinschaft der Studierendenwerke in Nordrhein-Westfalen Zahlen aus ihrer Jahresbilanz 2017 vorgelegt, und die bestätigen den Trend. Frank Zehetner ist Geschäftsführer des Studierendenwerks in Düsseldorf und der BAföG-Experte in der Arbeitsgemeinschaft. Guten Tag, Herr Zehetner!
    Frank Zehetner: Einen schönen guten Tag!
    Biesler: Die Quote der geförderten Studentinnen und Studenten sinkt seit Jahren. Man könnte sagen, das BAföG kommt immer weniger an. Wie sieht es denn aktuell bei Ihnen aus?
    Zehetner: Tatsächlich ist es so, dass in den letzten drei Jahren die Antragszahlen gesunken sind, und auch bei denjenigen, die die Förderung erhalten, die Zahl gesunken ist. Das liegt einfach daran, dass zwar mit der Novelle vor zwei Jahren Fördersätze angehoben wurden und Freibeträge angehoben wurden, aber nicht genug, und auch mehrere Jahre davor, in den drei Jahren davor auch keine Anhebung erfolgt ist. Das heißt, dass in der Zwischenzeit einfach ein Aufholbedarf an Förderhöhe und an Freibeträgen vorhanden ist, sodass wieder mehr BAföG-Berechtigte in den Genuss von BAföG kommen.
    Biesler: Also im Augenblick, bundesweit ist die Zahl vom Studentenwerk genannt, 63 Prozent sind prinzipiell förderberechtigt, weil sie die Voraussetzungen erfüllen. Also sie studieren, sie studieren in der Regelstudienzeit, sie könnten gefördert werden. Davon aber wird dann tatsächlich nur ein ganz geringer Prozentsatz wirklich gefördert, zum Beispiel eben, Sie haben es gerade gesagt, weil die Freibeträge für die Eltern natürlich nur eine bestimmte Höhe haben. Wie viel Prozent sind es denn aktuell von diesen 63 Prozent aller Studentinnen und Studenten, die gefördert werden könnten?
    Zehetner: In Nordrhein-Westfalen haben wir aktuell, dass etwa jeder siebte Studierende noch gefördert wird. Und das ist eine deutlich geringere Zahl, als das noch vor 20, 30 Jahren der Fall war. Das heißt also, die Zahlen gehen immer weiter runter. Das hat aber nicht nur eine Ursache. Das liegt nicht nur an Freibeträgen, sondern das hat natürlich noch wesentlich mehr Faktoren.
    "Extrem komplizierte Antragsformulare"
    Ich nehme für mich immer drei Hauptfaktoren in Anspruch. Wir haben zurzeit eine Studierendengeneration, wo viele Eltern sagen, Kind, verschulde dich nicht, wir kriegen das schon irgendwie hin. Dann wird kein BAföG-Antrag gestellt, obwohl man berechtigt wäre und Förderung kriegen würde. Dann gibt es einen Faktor, der für mich auch ganz massiv ist: Die Antragsformulare sind extrem kompliziert geworden. Das liegt einfach daran, dass in den vielen, vielen Jahren, die es das Bundesausbildungsförderungsgesetz jetzt gibt, das Gesetz immer komplizierter gemacht wurde dadurch, dass immer mehr Individualregelungen reingekommen sind, dass Vermögensbewertungen und, und, und reingekommen sind. Also, wenn der Studierende ein Auto hat, was ihm gehört, dann muss das Fahrzeug bewertet werden - das ist ein Beispiel dafür. Und man kann sagen, damals, als das BAföG aus der Taufe gehoben wurde, war das Gesetz so einen halben Zentimeter dick, heute ist das über drei Zentimeter dick. Jeder, der sich mal damit beschäftigt und die Antragsformulare nimmt und versucht, die auszufüllen, der wird schnell an seine Grenzen kommen und zum Teil scheitern. Das ist ganz, ganz schwierig, diese Formulare korrekt auszufüllen.
    Biesler: Und der dritte Grund?
    Zehetner: Wenn man die Sozialerhebung vom letzten Jahr ansieht, stellt man fest, dass immer mehr Studierende neben dem Studium jobben. In der Sozialerhebung wird auch abgefragt, wie hoch der Zeitaufwand des Studierenden für sein Studium pro Woche ist. Dieser Zeitaufwand ist in den letzten Jahren tatsächlich zum Teil gesunken. Das heißt, die Studierenden haben mehr Freizeit, und ich behaupte, es gibt auch viele Studierende, die tatsächlich sagen, och, ich hab noch Zeit, ich jobbe nebenbei noch ein bisschen, dann kann ich mir was leisten, dann kann ich vielleicht auch mal in den Urlaub fahren.
    Biesler: Also, wenn ich jetzt alles drei zusammennehme, dann könnte man die Überschrift drübersetzen, das BAföG ist nicht attraktiv für Studentinnen und Studenten. Die Eltern fürchten sich vor den Schulden, die Anträge sind kompliziert, und die Studentinnen und Studenten meinen, die Sätze sind so niedrig, da gehe ich lieber arbeiten.
    Zehetner: Ja. Wobei, nicht die Eltern fürchten sich vor den Schulden, sondern tatsächlich die Studierenden haben diesen Gedanken, ich möchte mich nicht verschulden. Obwohl das eigentlich unsinnig ist, weil ja maximal 10.000 Euro zurückgezahlt werden müssen. Und das wissen viele gar nicht, wenn sie das vorher beantragen. Die Hälfte des Geldes ist geschenkt, wenn das in der Regelstudienzeit ist und innerhalb der normalen Förderrichtlinien.
    Biesler: Aber wenn ich Sie richtig verstanden habe, sind weder die Freibeträge für die Eltern noch die Fördersätze jetzt ein ganz zentrales Problem. Die müssen sicherlich angepasst werden, im Lauf der Jahre immer wieder.
    Erhöhung entsprechend der Inflationsrate?
    Zehetner: Die sollten automatisch angepasst werden, am besten jedes Jahr entsprechend der Inflationsrate. Das wäre eine sinnvolle Regelung.
    Biesler: Aber das Antragsverfahren, würden Sie sich wünschen, sollte vereinfacht werden?
    Zehetner: Das sollte deutlich vereinfacht werden. Also frei nach der früheren Aussage, die Steuererklärung auf einen Bierdeckel, müsste auch das BAföG so reformiert werden, dass das Ausfüllen der Formulare deutlich einfacher wird, weniger Abfragen gestellt werden, eine einfachere Lösung gefunden wird, eine wirkliche Reform, nicht nur Pseudoreformen.
    Biesler: Frank Zehetner, BAföG-Experte der Arbeitsgemeinschaft der Studierendenwerke in Nordrhein-Westfalen, zum Absinken der Förderquoten beim BAföG. Danke, Herr Zehetner!
    Zehetner: Gern!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.