Es sind deutliche Worte, die die Redaktion findet. Von einem „Angriff auf die Unabhängigkeit der gesamten Redaktion“ ist da die Rede. Das gesamte Team verliere seine Stabilität und sein Gefühl von Sicherheit. Und das „zu einer Zeit, in der die wenigen freien Medien systematisch durch den autoritären Machtapparat zerstört werden“.
Hintergrund des Briefs, mit dem sich die „Gazeta Wyborcza“ an ihre Leserinnen und Leser gewendet hat, ist eine Personalie: Jerzy Wojcik ist nicht mehr Herausgeber. Entlassen wurde Wojcik von Agora, dem Mutterkonzern der Zeitung, wegen disziplinärer Gründe, wie es offiziell heißt.
Journalist Wielinski: Bedrohung für Redaktion
Für die Redaktion sei diese Entscheidung überraschend gekommen, sagte der stellvertretende Chefredakteur Bartosz Wielinski im Deutschlandfunk. Auch dank Wojcik stehe die Zeitung "auf starken Füßen", betonte der Journalist. Dass der Konzern nun Personalpolitik betreibe, sei eine "Bedrohung".
Hinzu komme die "feindliche politische Umgebung", in der seine Redaktion arbeite, sagte Wielinski. Freie Presse in Polen werde eingeschränkt, auch vor diesem Hintergrund sei die Entscheidung von Agora nicht verständlich.
Erfolgreicher Digital-Kurs
In ihrem Brief betonen die Redakteure, wie gut die überregionale Zeitung dastehe. Für mehr als 260.000 Digitalabonnenten würde die "Wyborcza" von Verlegern in ganz Europa bewundert, heißt es dort.
Der ORF schreibt in seiner Analyse der Auseinandersetzung, Hintergrund der Entlassung könnten Agoras Pläne sein, die „Gazeta Wyborcza“ mit Gazeta.pl zu fusionieren. Auch diese Onlineplattform sei mit diversen Websites „recht erfolgreich“, biete aber eher „leicht verdauliche Nachrichten“.
Historiker warnt vor Verlust für Meinungsvielfalt
Die „Gazeta Wyborcza“ ist hierzulande vielen ein Name aus internationalen Presseschauen wie der des Deutschlandfunks. Neben der „Rzeczpospolita“ sei sie Polens führende Tageszeitung, erklärt Peter Oliver Loew, Leiter des deutschen Polen-Instituts. Seit seiner Gründung 1989 habe sich die Zeitung den Ruf einer „engagierten Fürsprecherin für Demokratie, Liberalismus und Europafreundlichkeit erworben“.
Mit ihren Kommentaren und ihrer Berichterstattung habe die „Gazeta Wyborcza“ das „politische und kulturelle Leben in Polen über lange Zeit maßgeblich geprägt“, so Loew. Doch mit ihrem regierungskritischen Kurs habe sich die Zeitung in den vergangenen Jahren „nicht nur Freunde gemacht“.
Sollte die „Gazeta Wyborcza“ in Folge der aktuellen Auseinandersetzung „Schaden nehmen, wäre das ein großer Verlust für die Medien- und Meinungsvielfalt in Polen“, warnt der Historiker.