Dirk Müller: Die meisten werden ihren Ohren, die Zeitungsleser ihren Augen nicht getraut haben, wenn sie das gehört, wenn sie das gelesen haben: Ärzte können sich straflos bestechen lassen, da sie keine Amtsträger sind. Dies genau geht aus dem Urteil des Bundesgerichtshofes hervor. Um genauer zu sein, handelt es sich dabei um einen Freispruch erster Klasse für all diejenigen Mediziner, die nicht in Krankenhäusern arbeiten, sondern niedergelassene, freiberufliche Ärzte sind, also in einer Arztpraxis arbeiten. Demnach sind Kassenärzte weder Amtsträger noch Beauftragte der Krankenkassen.
Ergo freie Fahrt dafür, Medikamente zu verschreiben, deren Hersteller die Ärzte mit Geschenken beglücken, wie auch immer diese ausfallen, wie zum Beispiel bei den Ärzten, die vorrangig Medikamente vom Pharmakonzern Ratiopharm verschrieben haben und dafür als Belohnung fünf Prozent des Herstellerpreises kassierten. – Am Telefon ist jetzt Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer. Guten Morgen!
Frank Ulrich Montgomery: Guten Morgen, Herr Müller.
Müller: Herr Montgomery, Otto Schily hat es immer gewusst: Wir leben doch in einer Bananenrepublik.
Montgomery: Nein! Das ist natürlich Unsinn, die Interpretation des Urteils. Ich habe mich auch ziemlich geärgert darüber, ehrlich gesagt, wie das von einigen Ihrer Berufskollegen dargestellt worden ist, denn mitnichten darf sich der Arzt Geschenke von Pharmafirmen schenken lassen. Es gibt zwei Rechtskreise, nach denen das klar verboten ist. Im ärztlichen Berufsrecht steht, dass er bis hin zum Verlust der Approbation sich damit berufsunwürdig macht, und im sogenannten Kassenarztrecht, in dem berühmten SGB V, gibt es zwei Paragrafen, die ihm das ebenfalls verbieten, und das ist auch gut so. Was der Bundesgerichtshof nur gesagt hat, ist, dass Ärzte eben nicht Beamte oder angestelltenähnliche Amtsträger von Krankenkassen sind, und das ist sehr gut und sehr richtig, denn sonst würde das Patient-Arzt-Verhältnis einen gewaltigen Schaden nehmen.
Müller: Das haben viele – Sie haben das gerade gesagt – ganz, ganz anders verstanden, auch diejenigen, die sich mit der Rechtsproblematik, auch mit der Gesundheitsproblematik permanent auseinandersetzen. Für die ist klar, dass die freiberuflichen Ärzte, die niedergelassenen Ärzte über Umwege durchaus Geschenke annehmen dürfen.
Montgomery: Nein! Es ist nicht nur nicht klar, das ist einfach nicht so. Sie dürfen keine Geschenke annehmen, die rechtlichen Bestimmungen sind hier eindeutig. Das Gericht hat etwas ganz anderes gesagt, und das ist sehr wichtig in meinen Augen für das Patient-Arzt-Verhältnis. Wäre der Arzt nämlich Amtsträger, also so etwas wie ein Beamter der Krankenkassen, dann könnte man ihn bestechen im klassischen Beamtensinne, wie man einen Beamten eben besticht. Dann müsste er aber bei all seinen Handlungen, nicht nur bei dem Verschreiben von Medikamenten, immer die materiellen Interessen der Krankenkassen vor die Interessen der Patienten stellen.
Und deswegen hat das Gericht gesagt, man kann einen freiberuflich tätigen Arzt, der für die Patienten da ist und nicht für die Krankenkassen, eben nicht bestechen. Das muss man auf anderen Rechtskreisen regeln, und das ist geregelt, und deswegen ist das Gericht einen sehr guten Weg gegangen.
Müller: Dann reden wir noch mal über das Gericht und das Urteil in einem anderen Zusammenhang beziehungsweise über einen anderen Aspekt, Herr Montgomery. Die Korruptionsvorschriften des Strafgesetzbuches sind nicht auf freiberufliche Ärzte anzuwenden – ist dort auch geschrieben beziehungsweise ist so interpretiert worden. Stimmt das wenigstens?
Montgomery: Ja, das stimmt, weil die Korruptionsvorschriften des Strafgesetzbuches auf überhaupt gar keinen freien Unternehmer gelten. Die sind eben für Beamte und Angestellte des Staates oder großer öffentlicher Unternehmen gemacht. Deswegen ist der Begriff der Korruption hier in der Tat richtig auf Ärzte nicht anzuwenden. Dennoch dürfen Ärzte keine Geschenke annehmen, sie dürfen also nicht ihr Auftreten gegenüber dem Patienten von Zuwendungen der Pharmaindustrie abhängig machen.
Müller: Aber das ist nicht ganz so richtig, weil es gibt ja Korruption in der Privatwirtschaft, die ist verboten. Das ist übertragen dann die Bestechung im geschäftlichen Verkehr, wenn wir das richtig verstanden haben. Auch da hat der Bundesgerichtshof gesagt, das trifft hier nicht zu!
Montgomery: Ja, weil auch dort geht es natürlich immer dann darum, dass ein Angestellter eines großen Unternehmens hier sozusagen sein Vertrauen gegenüber seinem Arbeitgeber bricht. Ein freier Unternehmer, ein einzelner freier Unternehmer ist nicht bestechbar, das ist leider im deutschen Recht so, dafür gibt es dann andere Rechtskreise, mit denen man dieses wieder einfängt, das ist bei den Ärzten ausreichend geregelt. Die Paragrafen 73 und 128 des SGB V sind hier einschlägig.
Müller: Da muss ich noch mal nachfragen. Das heißt, ein Arzt – Sie sagen ja, der Privatunternehmer ist nicht bestechlich – ist demnach nicht bestechlich, wenn er freiberuflich ist?
Montgomery: Ein Arzt kann nach den herkömmlichen Regeln des Beamtenrechts nicht bestochen werden, weil er kein Beamter ist und weil sein Rechtsverhältnis sich eben um den Patienten kümmert und nicht um die Krankenkasse. Deswegen kann man ihn auch nicht als Amtsträger der Krankenkassen für etwas haftbar machen. Das ist die Kernaussage des Gerichtes, ich sage es noch mal. Andernfalls müsste der Arzt bei jeder Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, bei jedem Salbenrezept und bei jeder Verordnung von Massage immer die Interessen der Krankenkassen vor die Interessen des Patienten stellen, und da hat der Bundesgerichtshof gesagt, das darf auf gar keinen Fall sein, weil das Rechtsverhältnis besteht zwischen dem Patienten und dem Arzt und nicht zwischen dem Arzt und der Krankenkasse.
Müller: Dann reden wir, Herr Montgomery, einmal über diese Pharmareferentin, die offenbar 18.000 Euro an verschiedene Ärzte verteilt hat. Das wurde als Vortragshonorar getarnt, sagen jedenfalls viele Medien, und das war unter anderem auch Thema dieser Verhandlung und Thema dieses Urteils. Diese Pharmareferentin, 18.000 Euro für die Verschreibung von Ratiopharm-Medikamenten, wird nicht strafrechtlich verfolgt?
Montgomery: Richtig! Das ist jetzt das Groteske wiederum andererseits. Dadurch, dass Sie einen Arzt nicht bestechen können, können Sie sich auch nicht der Bestechung als Pharmareferent schuldig machen.
Müller: Also kann man keinen Arzt bestechen? Das wollte ich eben von Ihnen wissen.
Montgomery: Also man kann einen Arzt nicht bestechen, und dennoch darf der Arzt keine Geschenke annehmen, um es nur noch mal wieder zu sagen. Wir müssen mit dem Begriff "Bestechung" und "Bestechlichkeit" hier durchaus vorsichtiger umgehen, weil der ist auf Beamte und Angestellte gemünzt, ich sage es noch mal. Übrigens dass wir die Pharmareferentin auf diese Art und Weise nicht strafrechtlich belangen können, das, finde ich, ist durchaus ein Nachteil des Rechtes, das muss man auf anderem Wege regeln. Aber das ist halt die Konsequenz daraus, dass Ärzte als solche keine Amtsträger von Krankenkassen sind, sondern freie Unternehmer und deswegen nicht mit dem klassischen Korruptionsparagrafen für Beamte zu fassen sind.
Müller: Ist das aus Ihrer Sichtweise adäquat angemessen, ist das gerecht, dass ein Krankenkassenarzt beziehungsweise Entschuldigung, ein Krankenhausarzt rechtlich anders behandelt wird als ein freiberuflicher Arzt?
Montgomery: Das ist in diesem Falle völlig in Ordnung, weil das Rechtsverhältnis hier zwischen dem Krankenhausträger als seinem Ansteller und dem Krankenhausarzt als dem Angestellten gilt. Auch hier ist der Krankenhausarzt nicht Amtsträger der Krankenkassen. Das ist der entscheidende Punkt. Wissen Sie, was wir erleben momentan und worüber wir reden, ist im Grunde genommen ein intensiver Machtkampf der Krankenkassen, die versuchen, einen Keil in das Patient-Arzt-Verhältnis zu schieben, um auf diese Art und Weise zum entscheidenden Bestimmer im Gesundheitswesen zu werden, und da hat der Bundesgerichtshof einen Riegel vorgeschoben, und das ist gut und deswegen begrüßen wir dieses Urteil.
Müller: Das ist jetzt Ihre Interpretation. Viele haben das ja so verstanden, als geht es tatsächlich um Bestechung oder Korruption. Sie sagen, mit den Worten muss man vorsichtig sein. Karl Lauterbach, SPD-Gesundheitspolitiker, für die Sozialdemokraten im Bundestag, hat am Samstag im Deutschlandfunk Folgendes dazu gesagt:
"Wir müssen aktiv werden. Es ist den Patienten nicht zuzumuten, dass sie möglicherweise Medikamente bekommen, nicht weil diese Medikamente für sie besonders wirksam sind, sondern weil es hier und da Ärzte gibt, die verschreiben von Firmen, wo sie Geschenke bekommen haben. Das sind nicht viele Ärzte, die das machen, aber wir kennen diese Praxis, und das kann unter Umständen dazu führen, dass sie nicht die richtigen Medikamente bekommen. Das ist so auch nicht erlaubt für Krankenhausärzte, und da müssen niedergelassene Ärzte so behandelt werden wie andere Ärzte auch."
Müller: Ihre Antwort darauf?
Montgomery: Karl Lauterbach hat recht. Nur mit einem Punkt irrt er: Das kann man nicht über den Korruptionsparagrafen lösen, sondern das ist heute bereits gelöst. Diese Fälle fliegen ja auch immer wieder auf und diese Fälle werden - er hat völlig recht: Ein Patient darf nicht ein Medikament bekommen, weil der Arzt davon einen Vorteil hat. Aber übrigens Karl Lauterbach hat einen solchen Antrag im Deutschen Bundestag gestellt, ist krachend gescheitert, dieser Antrag ist abgelehnt, also von daher hat er hier wunderbar paralogisch argumentiert, denn er hat natürlich im Kern recht, der Arzt darf so etwas nicht annehmen, und er vergisst dann zu sagen, dass das längst geregelt ist. Der Arzt darf es nicht annehmen, er wird dafür bestraft, nur eben nicht als Amtsträger von Krankenkassen.
Müller: Aber der Bundesgerichtshof hat doch im Grunde die Politik, die Bundespolitik aufgerufen, diese Rechtslücke jetzt in irgendeiner Form auszufüllen mit einem neuen Gesetz. Würden Sie das unterstützen?
Montgomery: Ich sage Ihnen ganz ehrlich, das habe ich nicht rausgelesen. Das haben wieder einige, auch durchaus den Krankenkassen nahestehende Journalisten so interpretiert. Lesen Sie das Urteil, die 74 Seiten selber, und lesen Sie die Pressemeldung dazu, dann hat der Bundesgerichtshof lediglich gesagt, dass es hier eine Fragestellung gibt, die der Gesetzgeber nun mal so gelöst hat, und der Bundesgerichtshof muss die Gesetze interpretieren und nicht machen. Ich sehe darin keinerlei Aufforderung an den Gesetzgeber, das ist dann jetzt Interpretation von anderen.
Müller: Karl Lauterbach folgt dieser Interpretation, er wird noch einmal diesen …
Montgomery: Ist ja auch kein Wunder! Er hat doch selber versucht, einen solchen Antrag im Bundestag einzubringen, und ist damit krachend gescheitert.
Müller: Genau. Und viele in der Union haben gesagt, wir wollen uns daran nicht beteiligen, bevor das Urteil des Bundesgerichtshofes jetzt nicht vorliegt. Jetzt liegt es vor, jetzt will Karl Lauterbach zusammen mit seinen sozialdemokratischen Fraktionskollegen noch einmal in die Offensive gehen. Würden Sie das als Fachmann, Experte unterstützen?
Montgomery: Ich würde mit ihm jederzeit zu vernünftigen und sachlichen Regelungen der Vermeidung von Vorteilsnahme von Ärzten kommen, aber nicht über den Weg der Amtsträgerschaft der Krankenkassen. Hier bereitet Karl Lauterbach den Boden für seine schädliche Bürgerversicherung vor, hier will er nur die Macht den Krankenkassen zuschieben, und das ist etwas, was wir auf gar keinen Fall wollen.
Müller: Reden wir, Herr Montgomery, zum Schluss über die Patienten. Wie oft wird die Bundesärztekammer mit diesem Vorwurf konfrontiert, stellvertretend für den freiberuflichen Arzt, dass da was im Argen liegt, dass Medikamente verschrieben worden sind, die nicht notwendig waren?
Montgomery: Es sind in den einzelnen Landesärztekammern, die hier ja als Rechtsträger vor Ort zuständig sind, eine ganze Anzahl von derartigen Klagen und Beschwerden immer wieder, und noch mehr sind es bei den Kassenärztlichen Vereinigungen – immer wieder Beschwerden. Denen wird dann nachgegangen im Wege eines rechtsstaatlichen Verfahrens. Ich kann Ihnen aus dem Hut jetzt keine Zahlen produzieren, aber diese Fälle gibt es, diese Fälle werden verfolgt und diese Fälle werden auch bestraft.
Müller: Also das ist immer noch präsent, das wird immer noch so gemacht und die Pharmaindustrie macht da auch weiter?
Montgomery: Es ist in ganz geringem Umfang präsent. Es wird ja auch grandios hochgezogen, das ist ja so ein schöner Fall. Niemand hat ja Zahlen, wissen Sie. Auch keiner sagt ja, wie viele Fälle es gibt. Aber man kann wunderbar spekulieren. Ich sage Ihnen, es gibt hier viel, viel weniger, als immer wieder behauptet wird, und da, wo es das gibt, und da, wo es bekannt wird, wird es auch verfolgt und bestraft.
Müller: Wie oft haben Sie das erlebt, dass Pharmaunternehmen auf Sie zugetreten sind?
Montgomery: Ich habe selber persönlich als Krankenhausarzt in der Radiologie es kein einziges Mal erlebt, aber ich weiß es von Praxiskollegen, dass es durchaus geschieht. 99 Prozent aller Ärzte werfen diese Angebote sofort und unter Rausschmiss des Pharmavertreters aus der Praxis.
Müller: 99 Prozent – das heißt, ein Prozent sind problematisch. Die Dunkelziffer ist nicht höher?
Montgomery: Also entschuldigen Sie! Wir haben doch eben darüber geredet, dass wir beide keine konkreten Zahlen haben. Das war jetzt ein journalistisch kluger Trick. Sie haben schon verstanden, dass die 99 Prozent die ganz, ganz, ganz, ganz große Mehrzahl aller Ärzte sind.
Müller: Frank Ulrich Montgomery sagt also jetzt bei uns im Deutschlandfunk, es ist dort alles im Lot, gesetzlich brauchen wir nichts mehr?
Montgomery: Genau, so ist es.
Müller: Vielen Dank! – Heute Morgen bei uns live im Deutschlandfunk der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery. Auf Wiederhören und schönen Tag.
Montgomery: Danke Ihnen! Tschüss!
Müller: Tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Ergo freie Fahrt dafür, Medikamente zu verschreiben, deren Hersteller die Ärzte mit Geschenken beglücken, wie auch immer diese ausfallen, wie zum Beispiel bei den Ärzten, die vorrangig Medikamente vom Pharmakonzern Ratiopharm verschrieben haben und dafür als Belohnung fünf Prozent des Herstellerpreises kassierten. – Am Telefon ist jetzt Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer. Guten Morgen!
Frank Ulrich Montgomery: Guten Morgen, Herr Müller.
Müller: Herr Montgomery, Otto Schily hat es immer gewusst: Wir leben doch in einer Bananenrepublik.
Montgomery: Nein! Das ist natürlich Unsinn, die Interpretation des Urteils. Ich habe mich auch ziemlich geärgert darüber, ehrlich gesagt, wie das von einigen Ihrer Berufskollegen dargestellt worden ist, denn mitnichten darf sich der Arzt Geschenke von Pharmafirmen schenken lassen. Es gibt zwei Rechtskreise, nach denen das klar verboten ist. Im ärztlichen Berufsrecht steht, dass er bis hin zum Verlust der Approbation sich damit berufsunwürdig macht, und im sogenannten Kassenarztrecht, in dem berühmten SGB V, gibt es zwei Paragrafen, die ihm das ebenfalls verbieten, und das ist auch gut so. Was der Bundesgerichtshof nur gesagt hat, ist, dass Ärzte eben nicht Beamte oder angestelltenähnliche Amtsträger von Krankenkassen sind, und das ist sehr gut und sehr richtig, denn sonst würde das Patient-Arzt-Verhältnis einen gewaltigen Schaden nehmen.
Müller: Das haben viele – Sie haben das gerade gesagt – ganz, ganz anders verstanden, auch diejenigen, die sich mit der Rechtsproblematik, auch mit der Gesundheitsproblematik permanent auseinandersetzen. Für die ist klar, dass die freiberuflichen Ärzte, die niedergelassenen Ärzte über Umwege durchaus Geschenke annehmen dürfen.
Montgomery: Nein! Es ist nicht nur nicht klar, das ist einfach nicht so. Sie dürfen keine Geschenke annehmen, die rechtlichen Bestimmungen sind hier eindeutig. Das Gericht hat etwas ganz anderes gesagt, und das ist sehr wichtig in meinen Augen für das Patient-Arzt-Verhältnis. Wäre der Arzt nämlich Amtsträger, also so etwas wie ein Beamter der Krankenkassen, dann könnte man ihn bestechen im klassischen Beamtensinne, wie man einen Beamten eben besticht. Dann müsste er aber bei all seinen Handlungen, nicht nur bei dem Verschreiben von Medikamenten, immer die materiellen Interessen der Krankenkassen vor die Interessen der Patienten stellen.
Und deswegen hat das Gericht gesagt, man kann einen freiberuflich tätigen Arzt, der für die Patienten da ist und nicht für die Krankenkassen, eben nicht bestechen. Das muss man auf anderen Rechtskreisen regeln, und das ist geregelt, und deswegen ist das Gericht einen sehr guten Weg gegangen.
Müller: Dann reden wir noch mal über das Gericht und das Urteil in einem anderen Zusammenhang beziehungsweise über einen anderen Aspekt, Herr Montgomery. Die Korruptionsvorschriften des Strafgesetzbuches sind nicht auf freiberufliche Ärzte anzuwenden – ist dort auch geschrieben beziehungsweise ist so interpretiert worden. Stimmt das wenigstens?
Montgomery: Ja, das stimmt, weil die Korruptionsvorschriften des Strafgesetzbuches auf überhaupt gar keinen freien Unternehmer gelten. Die sind eben für Beamte und Angestellte des Staates oder großer öffentlicher Unternehmen gemacht. Deswegen ist der Begriff der Korruption hier in der Tat richtig auf Ärzte nicht anzuwenden. Dennoch dürfen Ärzte keine Geschenke annehmen, sie dürfen also nicht ihr Auftreten gegenüber dem Patienten von Zuwendungen der Pharmaindustrie abhängig machen.
Müller: Aber das ist nicht ganz so richtig, weil es gibt ja Korruption in der Privatwirtschaft, die ist verboten. Das ist übertragen dann die Bestechung im geschäftlichen Verkehr, wenn wir das richtig verstanden haben. Auch da hat der Bundesgerichtshof gesagt, das trifft hier nicht zu!
Montgomery: Ja, weil auch dort geht es natürlich immer dann darum, dass ein Angestellter eines großen Unternehmens hier sozusagen sein Vertrauen gegenüber seinem Arbeitgeber bricht. Ein freier Unternehmer, ein einzelner freier Unternehmer ist nicht bestechbar, das ist leider im deutschen Recht so, dafür gibt es dann andere Rechtskreise, mit denen man dieses wieder einfängt, das ist bei den Ärzten ausreichend geregelt. Die Paragrafen 73 und 128 des SGB V sind hier einschlägig.
Müller: Da muss ich noch mal nachfragen. Das heißt, ein Arzt – Sie sagen ja, der Privatunternehmer ist nicht bestechlich – ist demnach nicht bestechlich, wenn er freiberuflich ist?
Montgomery: Ein Arzt kann nach den herkömmlichen Regeln des Beamtenrechts nicht bestochen werden, weil er kein Beamter ist und weil sein Rechtsverhältnis sich eben um den Patienten kümmert und nicht um die Krankenkasse. Deswegen kann man ihn auch nicht als Amtsträger der Krankenkassen für etwas haftbar machen. Das ist die Kernaussage des Gerichtes, ich sage es noch mal. Andernfalls müsste der Arzt bei jeder Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, bei jedem Salbenrezept und bei jeder Verordnung von Massage immer die Interessen der Krankenkassen vor die Interessen des Patienten stellen, und da hat der Bundesgerichtshof gesagt, das darf auf gar keinen Fall sein, weil das Rechtsverhältnis besteht zwischen dem Patienten und dem Arzt und nicht zwischen dem Arzt und der Krankenkasse.
Müller: Dann reden wir, Herr Montgomery, einmal über diese Pharmareferentin, die offenbar 18.000 Euro an verschiedene Ärzte verteilt hat. Das wurde als Vortragshonorar getarnt, sagen jedenfalls viele Medien, und das war unter anderem auch Thema dieser Verhandlung und Thema dieses Urteils. Diese Pharmareferentin, 18.000 Euro für die Verschreibung von Ratiopharm-Medikamenten, wird nicht strafrechtlich verfolgt?
Montgomery: Richtig! Das ist jetzt das Groteske wiederum andererseits. Dadurch, dass Sie einen Arzt nicht bestechen können, können Sie sich auch nicht der Bestechung als Pharmareferent schuldig machen.
Müller: Also kann man keinen Arzt bestechen? Das wollte ich eben von Ihnen wissen.
Montgomery: Also man kann einen Arzt nicht bestechen, und dennoch darf der Arzt keine Geschenke annehmen, um es nur noch mal wieder zu sagen. Wir müssen mit dem Begriff "Bestechung" und "Bestechlichkeit" hier durchaus vorsichtiger umgehen, weil der ist auf Beamte und Angestellte gemünzt, ich sage es noch mal. Übrigens dass wir die Pharmareferentin auf diese Art und Weise nicht strafrechtlich belangen können, das, finde ich, ist durchaus ein Nachteil des Rechtes, das muss man auf anderem Wege regeln. Aber das ist halt die Konsequenz daraus, dass Ärzte als solche keine Amtsträger von Krankenkassen sind, sondern freie Unternehmer und deswegen nicht mit dem klassischen Korruptionsparagrafen für Beamte zu fassen sind.
Müller: Ist das aus Ihrer Sichtweise adäquat angemessen, ist das gerecht, dass ein Krankenkassenarzt beziehungsweise Entschuldigung, ein Krankenhausarzt rechtlich anders behandelt wird als ein freiberuflicher Arzt?
Montgomery: Das ist in diesem Falle völlig in Ordnung, weil das Rechtsverhältnis hier zwischen dem Krankenhausträger als seinem Ansteller und dem Krankenhausarzt als dem Angestellten gilt. Auch hier ist der Krankenhausarzt nicht Amtsträger der Krankenkassen. Das ist der entscheidende Punkt. Wissen Sie, was wir erleben momentan und worüber wir reden, ist im Grunde genommen ein intensiver Machtkampf der Krankenkassen, die versuchen, einen Keil in das Patient-Arzt-Verhältnis zu schieben, um auf diese Art und Weise zum entscheidenden Bestimmer im Gesundheitswesen zu werden, und da hat der Bundesgerichtshof einen Riegel vorgeschoben, und das ist gut und deswegen begrüßen wir dieses Urteil.
Müller: Das ist jetzt Ihre Interpretation. Viele haben das ja so verstanden, als geht es tatsächlich um Bestechung oder Korruption. Sie sagen, mit den Worten muss man vorsichtig sein. Karl Lauterbach, SPD-Gesundheitspolitiker, für die Sozialdemokraten im Bundestag, hat am Samstag im Deutschlandfunk Folgendes dazu gesagt:
"Wir müssen aktiv werden. Es ist den Patienten nicht zuzumuten, dass sie möglicherweise Medikamente bekommen, nicht weil diese Medikamente für sie besonders wirksam sind, sondern weil es hier und da Ärzte gibt, die verschreiben von Firmen, wo sie Geschenke bekommen haben. Das sind nicht viele Ärzte, die das machen, aber wir kennen diese Praxis, und das kann unter Umständen dazu führen, dass sie nicht die richtigen Medikamente bekommen. Das ist so auch nicht erlaubt für Krankenhausärzte, und da müssen niedergelassene Ärzte so behandelt werden wie andere Ärzte auch."
Müller: Ihre Antwort darauf?
Montgomery: Karl Lauterbach hat recht. Nur mit einem Punkt irrt er: Das kann man nicht über den Korruptionsparagrafen lösen, sondern das ist heute bereits gelöst. Diese Fälle fliegen ja auch immer wieder auf und diese Fälle werden - er hat völlig recht: Ein Patient darf nicht ein Medikament bekommen, weil der Arzt davon einen Vorteil hat. Aber übrigens Karl Lauterbach hat einen solchen Antrag im Deutschen Bundestag gestellt, ist krachend gescheitert, dieser Antrag ist abgelehnt, also von daher hat er hier wunderbar paralogisch argumentiert, denn er hat natürlich im Kern recht, der Arzt darf so etwas nicht annehmen, und er vergisst dann zu sagen, dass das längst geregelt ist. Der Arzt darf es nicht annehmen, er wird dafür bestraft, nur eben nicht als Amtsträger von Krankenkassen.
Müller: Aber der Bundesgerichtshof hat doch im Grunde die Politik, die Bundespolitik aufgerufen, diese Rechtslücke jetzt in irgendeiner Form auszufüllen mit einem neuen Gesetz. Würden Sie das unterstützen?
Montgomery: Ich sage Ihnen ganz ehrlich, das habe ich nicht rausgelesen. Das haben wieder einige, auch durchaus den Krankenkassen nahestehende Journalisten so interpretiert. Lesen Sie das Urteil, die 74 Seiten selber, und lesen Sie die Pressemeldung dazu, dann hat der Bundesgerichtshof lediglich gesagt, dass es hier eine Fragestellung gibt, die der Gesetzgeber nun mal so gelöst hat, und der Bundesgerichtshof muss die Gesetze interpretieren und nicht machen. Ich sehe darin keinerlei Aufforderung an den Gesetzgeber, das ist dann jetzt Interpretation von anderen.
Müller: Karl Lauterbach folgt dieser Interpretation, er wird noch einmal diesen …
Montgomery: Ist ja auch kein Wunder! Er hat doch selber versucht, einen solchen Antrag im Bundestag einzubringen, und ist damit krachend gescheitert.
Müller: Genau. Und viele in der Union haben gesagt, wir wollen uns daran nicht beteiligen, bevor das Urteil des Bundesgerichtshofes jetzt nicht vorliegt. Jetzt liegt es vor, jetzt will Karl Lauterbach zusammen mit seinen sozialdemokratischen Fraktionskollegen noch einmal in die Offensive gehen. Würden Sie das als Fachmann, Experte unterstützen?
Montgomery: Ich würde mit ihm jederzeit zu vernünftigen und sachlichen Regelungen der Vermeidung von Vorteilsnahme von Ärzten kommen, aber nicht über den Weg der Amtsträgerschaft der Krankenkassen. Hier bereitet Karl Lauterbach den Boden für seine schädliche Bürgerversicherung vor, hier will er nur die Macht den Krankenkassen zuschieben, und das ist etwas, was wir auf gar keinen Fall wollen.
Müller: Reden wir, Herr Montgomery, zum Schluss über die Patienten. Wie oft wird die Bundesärztekammer mit diesem Vorwurf konfrontiert, stellvertretend für den freiberuflichen Arzt, dass da was im Argen liegt, dass Medikamente verschrieben worden sind, die nicht notwendig waren?
Montgomery: Es sind in den einzelnen Landesärztekammern, die hier ja als Rechtsträger vor Ort zuständig sind, eine ganze Anzahl von derartigen Klagen und Beschwerden immer wieder, und noch mehr sind es bei den Kassenärztlichen Vereinigungen – immer wieder Beschwerden. Denen wird dann nachgegangen im Wege eines rechtsstaatlichen Verfahrens. Ich kann Ihnen aus dem Hut jetzt keine Zahlen produzieren, aber diese Fälle gibt es, diese Fälle werden verfolgt und diese Fälle werden auch bestraft.
Müller: Also das ist immer noch präsent, das wird immer noch so gemacht und die Pharmaindustrie macht da auch weiter?
Montgomery: Es ist in ganz geringem Umfang präsent. Es wird ja auch grandios hochgezogen, das ist ja so ein schöner Fall. Niemand hat ja Zahlen, wissen Sie. Auch keiner sagt ja, wie viele Fälle es gibt. Aber man kann wunderbar spekulieren. Ich sage Ihnen, es gibt hier viel, viel weniger, als immer wieder behauptet wird, und da, wo es das gibt, und da, wo es bekannt wird, wird es auch verfolgt und bestraft.
Müller: Wie oft haben Sie das erlebt, dass Pharmaunternehmen auf Sie zugetreten sind?
Montgomery: Ich habe selber persönlich als Krankenhausarzt in der Radiologie es kein einziges Mal erlebt, aber ich weiß es von Praxiskollegen, dass es durchaus geschieht. 99 Prozent aller Ärzte werfen diese Angebote sofort und unter Rausschmiss des Pharmavertreters aus der Praxis.
Müller: 99 Prozent – das heißt, ein Prozent sind problematisch. Die Dunkelziffer ist nicht höher?
Montgomery: Also entschuldigen Sie! Wir haben doch eben darüber geredet, dass wir beide keine konkreten Zahlen haben. Das war jetzt ein journalistisch kluger Trick. Sie haben schon verstanden, dass die 99 Prozent die ganz, ganz, ganz, ganz große Mehrzahl aller Ärzte sind.
Müller: Frank Ulrich Montgomery sagt also jetzt bei uns im Deutschlandfunk, es ist dort alles im Lot, gesetzlich brauchen wir nichts mehr?
Montgomery: Genau, so ist es.
Müller: Vielen Dank! – Heute Morgen bei uns live im Deutschlandfunk der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery. Auf Wiederhören und schönen Tag.
Montgomery: Danke Ihnen! Tschüss!
Müller: Tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.