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Ärzte ohne Grenzen
"Die Preise für Impfstoffe sind empörend"

Der Chef der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen, Tankred Stöbe, kritisiert die Preispolitik der Pharmakonzerne auf dem Impfmarkt. Vor 15 Jahren habe das Impfpaket für Kinder noch 67 US-Cent gekostet, heute seien es 45 Dollar. "Das ist zu teuer", sagte Stöbe im DLF. Für das gleiche Geld könnten viel mehr Kinder geimpft werden.

Tankred Stöbe im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Tankred Stöbe, Vorstandsvorsitzender von Ärzte ohne Grenzen
    Tankred Stöbe, Vorstandsvorsitzender von Ärzte ohne Grenzen (picture alliance / dpa)
    Friedbert Meurer: Knapp sieben Milliarden Euro will die internationale Impfgeberkonferenz heute in Berlin zusammentrommeln, um Millionen von Kindern in Afrika und andernorts zu impfen. Organisiert wird das alles von einem internationalen Bündnis namens „Gavi", Globale Allianz für Impfstoffe und Immunisierung. Mitglieder sind die Weltgesundheitsorganisation, das Kinderhilfswerk UNICEF der Vereinten Nationen, Nichtregierungsorganisationen, die Bill und Melinda Gates Stiftung und auch Hersteller von Impfstoffen.
    Vor dem Berliner Kongress-Center, wo das alles stattfindet, gibt es gleich um neun Uhr auch eine Protestveranstaltung der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen. Der Vorstandsvorsitzende der deutschen Sektion ist Tankred Stöbe. Guten Morgen, Herr Stöbe!
    Tankred Stöbe: Schönen guten Morgen, Herr Meurer.
    Meurer: Was haben Sie gegen eine so löbliche Aktion wie das internationale Impfen?
    Stöbe: Dagegen haben wir nichts. Wir haben auch nichts gegen Gavi. Wir sind mit einigen dieser Ziele auch konform. Was uns stört oder worüber wir empört sind, das sind die Preise jetzt von diesen vor allem neueren Impfstoffen. Ihr Kollege hat es ja gerade gesagt. 2001 hat das Impfpaket, was Kinder bekommen haben, noch 67 US-Cent gekostet und heute kostet es etwa 45 Dollar, und das ist einmal darauf zurückzuführen, dass mehr Impfstoffe noch in diesem Paket drin sind, aber - und das ist unser Hauptkritikpunkt - dass zum Beispiel der Pneumokokken-Impfstoff, also die Impfung gegen die Lungenentzündung, die macht fast die Hälfte dieses Pakets aus, und da sagen wir, das ist zu teuer. Das sind zwei große Pharmahersteller, GlaxoSmithKline und Pfizer, die natürlich gute Gewinne einfahren, und die müssen hier Preisnachlässe gewähren, um noch viel mehr Kinder impfen zu können.
    Meurer: Das heißt, Bill Gates hat doch nicht Recht, wenn er sagt, Impfen kostet nicht viel?
    Stöbe: Das gilt heute nicht mehr und natürlich macht Gavi vieles, um diese Impfstoffe für die armen Länder erschwinglich zu halten, aber auch nur für einen gewissen Zeitraum. Danach steigen die Impfkosten für diese Länder dramatisch an, um viele tausend Prozent, und auch das ist ein Kritikpunkt von uns, dass wir sagen, diese Länder schaffen das gar nicht. Die schaffen gar nicht diesen Übergang und sind dann gezwungen, diese teuren oder dann noch teurer werdenden Impfstoffe weiter zu beziehen, und da erwarten wir von der Pharmaindustrie, dass sie da einfach noch ganz klar größere und deutlichere Zugeständnisse macht.
    "Brauchen mehr Transparenz im Impfstoffmarkt"
    Meurer: Sie haben gerade gesagt, um wie viel teurer heutzutage das komplette Impfpaket für ein Kind in Afrika geworden ist und daran vor allen Dingen schuld sei die Impfdosis für Pneumokokken, die für die Lungenentzündung verantwortlich sind. Ist diese Impfung gegen Lungenentzündung ein zentraler Bestandteil von Impfaktionen in Afrika, auf die man auf keinen Fall verzichten soll?
    Stöbe: Wir sehen viele Kinder natürlich, die an Lungenentzündung sterben. Insofern zweifeln wir nicht die Notwendigkeit auch dieses Pneumokokken-Impfstoffes an. Natürlich kann man überlegen, müssen es wirklich diese ganzen zwölf Krankheiten sein, die im Moment geimpft werden, aber natürlich ist das das Optimum. Da sollte man vielleicht auch gar nicht so viel kritisieren. Wir glauben ja, wenn etwas mehr Transparenz im Impfstoffmarkt wäre - und das ist ein weiterer Kritikpunkt, den wir haben, dass dieser Impfstoff-Produzentenmarkt komplett intransparent ist -, dann könnte auch mehr gesunder Wettbewerb passieren, dann würden diese Impfstoffpreise auch fallen können. Aber da herrscht doch eine große Verschlossenheit und daher unser Aufruf auch an die Bundesregierung, ja, macht euren Beitrag zu Gavi, aber fragt nach und seid kritisch, ob da nicht wirklich die Verhandlungen zu Ende geführt wurden mit den Pharmaherstellern, weil - und das ist ja unsere Perspektive; wir impfen ja viele Millionen Kinder jedes Jahr in über 60 Ländern, wo wir tätig sind als Organisation - wir sehen, wie wichtig es ist, aber wir sehen eben auch, wie notwendig es ist, dass dort noch mehr Kinder in den Genuss dieser Impfstoffe kommen, und das geht nur, wenn die Preise fallen.
    Meurer: Auf Ihrer Homepage von Ärzte ohne Grenzen, Herr Stöbe, ist eine Studie von Ihnen publiziert und nachzulesen. Da haben Sie die Preisstruktur von Impfdosen weltweit untersucht: Was kostet welche Impfung in Deutschland, USA oder in Libyen. Zu welchen Erkenntnissen sind Sie gekommen?
    Stöbe: Auch das ist ganz interessant und das lässt sich eben auch nicht erklären, weil da zu wenig Transparenz ist, dass zum Beispiel die Impfdosen in Tunesien und Marokko teurer sind als zum Beispiel in Frankreich. Auch das ist ja nach Marktgesetzen gar nicht nachvollziehbar. Es ist für uns ein Problem, dass es überhaupt nicht nachvollziehbar ist, und wie Sie ja erwähnt haben, wir bemühen uns sehr, dass wir dort Transparenz herstellen können. Es ist aber nicht möglich, weil dort die Schotten sehr dicht sind. Wir können das auch nicht nachvollziehen, weil es sind ja auch viele öffentliche Gelder, die dort jetzt auch in diese neue Runde eingebracht werden, und da sollten doch auch die Regierungen ein hohes Interesse haben, dass hier eine hohe Transparenz ist, eine Nachvollziehbarkeit, warum ein Impfstoff so teuer sein muss und warum er auch über viele Jahre hin so teuer sein muss. Wir glauben ja, dass die Herstellungs- und die Forschungskosten daran längst eingeholt wurden. Dann dürften auch die Preise reduziert werden, um dann - und das ist immer unser Fokus - mehr Kinder für das gleiche Geld zu impfen. Es muss effizienter noch werden, es müssen noch mehr Impfstoffe zur Verfügung gestellt werden und sie müssen natürlich auch in Krisenregionen kommen. Auch das ist für uns ein wichtiges Anliegen. Wir sehen ja gerade in Syrien, dass die Kinderlähmung dort wieder aufbricht, weil viele Gegenden ganz abgeschnitten sind von der Gesundheitsversorgung.
    "Könnten Tausende Leben retten"
    Meurer: Ganz kurz noch. In Deutschland gibt es ja eine große Impfskepsis. Die ist weltweit und für Afrika betrachtet nicht angezeigt?
    Stöbe: Weltweit haben wir eher das Problem, dass tatsächlich sehr viele Kinder daran sterben. Ich habe in Mogadischu gearbeitet, komme jetzt gerade aus Westafrika zurück, wo ja Ebola immer noch wütet und wo natürlich ein Impfstoff wirklich Leben retten kann. Dort ist eher das Problem, hatten Sie ja vorher auch in dem Beitrag erwähnt, wie kriegen wir diese Impfstoffe in der Kühlkette in die Länder, wie erreichen wir die Kinder. Aber dann können wirklich Tausende Leben gerettet werden, aber - und das ist unser Kritikpunkt - nicht zu den Preisen, die wir immer noch zu teuer finden.
    Meurer: Der Vorstandsvorsitzende von Ärzte ohne Grenzen Deutschland, Tankred Stöbe, bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk zur internationalen Gavi-Impfgeberkonferenz, die heute in Berlin stattfindet. Herr Stöbe, danke und auf Wiederhören nach Berlin.
    Stöbe: Vielen Dank, Herr Meurer.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.