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Ärzte ohne Grenzen stellen Spendensammlung ein

Hans-Joachim Wiese: Am Telefon in Berlin begrüße ich jetzt die Generaldirektorin der deutschen Sektion von Ärzte ohne Grenzen, Ulrike von Pilar. Frau von Pilar, Ihre Organisation hat jetzt die Spendensammlung für die Opfer der Flutkatastrophe eingestellt. Warum? Es kann doch gar nicht genug Geld für die Opfer geben?

Moderation: Hans-Joachim Wiese |
    Ulrike von Pilar: Insgesamt mag das wohl stimmen, nur wir sind von der Großzügigkeit der Spender wirklich derartig überwältigt worden, das haben wir überhaupt noch nie erlebt. Wir haben in den ersten Tagen nach der Katastrophe bereits mehr Spenden eingenommen als das gesamte Jahreseinkommen des vergangenen Jahres. Es sind also riesige Beträge und meinen Schwesterorganisationen in anderen Ländern geht es ähnlich. Wir müssen eben dazu sagen, dass wir eine medizinische Nothilfeorganisation sind, dass wir im Moment wirklich riesige Programme in der Katastrophenregion haben und dass die aber jetzt inzwischen alle längst finanziert sind. Wir können über die nächsten Monate hinaus nicht genau planen und nicht garantieren, dass wir weitere große Spenden dort auch einsetzen könnten. Wir fühlen uns verpflichtet den Spendern gegenüber, wenn sie uns spezifisch Spenden für Asien geben, dass das Geld dann auch dort eingesetzt wird. Wenn wir das dann wegen der ungeheuren Größe der Beträge nicht mehr garantieren können, finden wir es ehrlicher, das dann auch gleich zu sagen.

    Wiese: Da gibt es aber zumindest in Frankreich scharfe Kritik an dieser Haltung. Dort wird Ihnen vorgeworfen, mit dieser Haltung würden Sie die Spendenmotivation einschränken.

    von Pilar: Das kann ich mir gar nicht vorstellen, weil wir ja nur sagen, das gilt für uns als Ärzte ohne Grenzen. Wir haben eben allein in der ersten Woche in Deutschland über 20 Millionen Euro bekommen, dieses Geld muss man ja auch vernünftig einsetzen. Man muss es in solchen Programmen einsetzen, die wirklich die medizinische Qualität garantieren, die kann man nicht beliebig ausweiten. Ich denke nur, was wir sagen, wenn Spender, was verständlich ist und was dringend nötig ist, für den Wiederaufbau jetzt spenden wollen, dann ist es besser, dass sie es an andere Organisationen geben, die längerfristig das jetzt schon garantieren können. Wenn aber Spender Ärzte ohne Grenzen spezifisch unterstützen wollen, dann freuen wir uns sehr und bitten dann eben um eine freie Spende, die wir dann dort einsetzen, wo sie am dringendsten gebraucht wird. Das kann im Moment in Asien sein, das kann aber auch eben in den anderen großen Krisenregionen, wo wir arbeiten, wie eben in Darfur oder im Kongo oder in Westafrika sein.

    Wiese: Gut, dann lassen Sie uns über die Arbeit konkret reden, die Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort vollziehen. Wo sind die eingesetzt in der Krisenregion?

    von Pilar: Das sind einige Programme insbesondere zur Vermeidung von Epidemien und psychosoziale Programme der Opfer in Indien. Dann haben wir große Programme in den am schwersten betroffenen Regionen Sri Lanka und in der Provinz Aceh. Da geht es immer noch darum, weit abgelegenen, von aller Hilfe abgeschnittene Gebiete und die dort lebenden Menschen zu erreichen. Zum Beispiel in Aceh setzen wir mobile Teams mit Hubschraubern in schwer zerstörten Küstendörfern ab. Die finden dort immer noch sehr viele Verletzte, die bisher nicht versorgt werden konnten. Die Teams bleiben dann manchmal dort ein, zwei Tage, versuchen das Nötigste dort zu erreichen, für sauberes Wasser zu sorgen, eben die Verwundeten zu versorgen, manchmal zu evakuieren. Und sie versuchen auch weitere Hilfe, insbesondere psychische Unterstützung für die traumatisierten Opfer, zu organisieren.

    Wiese: Also, zunächst mal die Versorgung von Verletzten. Wie steht es denn im Moment in diesen Gebieten mit der Gefahr des Ausbruchs von Seuchen?

    von Pilar: Solange es kein sauberes Wasser für die Opfer der Katastrophe gibt, gibt es auf jeden Fall große Gefahren für die Gesundheit. Das muss nicht gleich Seuchen heißen, das kann passieren. Bisher gibt es keine bestätigten Fälle. Womit man immer rechnen muss, und was wir natürlich haben, das sind Durchfall-, Hauterkrankungen und Erkrankungen der Atemwege, dadurch dass die Menschen kein ordentliches Dach über dem Kopf haben. Wir hoffen also, dass mit den vereinten Kräften aller Organisationen, die sich jetzt ja ganz besonders um sauberes Wasser bemühen, vielleicht doch geschafft werden kann, das Schlimmste zu vermeiden.

    Wiese: Stichwort: Vereinte Kräfte aller Organisationen. Da hat zum Beispiel gestern Bundesverteidigungsminister Peter Struck kritisiert, er haben hin und wieder den Eindruck, die Organisationen stünden in Konkurrenz zueinander, stünden sich gegenseitig auf den Füßen. Können Sie da Entwarnung geben?

    von Pilar: Ich weiß jetzt eigentlich nicht, worauf sich da Herr Struck konkret bezogen hat. Wir können das im Moment so nicht bestätigen, weil wir uns von Anfang an, - wir arbeiten jetzt seit einer Woche in Aceh -, insbesondere mit dem dort schon präsenten internationalen Komitee vom Roten Kreuz und den Ärzten der Welt sehr gut koordiniert haben. Dass das keine perfekte Organisation, sagen wir mal zum Beispiel im militärischen Sinne sein kann, das kann ja auch keiner erwarten. Wir versuchen uns da so gut zu koordinieren. Im Allgemeinen habe ich den Eindruck von meinen Kollegen, dass das mit den anderen Hilfsorganisationen sehr gut klappt. Es ist natürlich so, wenn dann Organisationen sehr unterschiedlicher Herkunft, auch mit politisch sehr unterschiedlichen Aufträgen wie eben UNO-Organisationen, die Bundeswehr, verschiedene andere militärische Verbände mit Hilfsorganisationen zusammenarbeiten müssen, dann müssen sich alle anpassen. Ich hoffe nur, dass wir das einigermaßen gut hinkriegen. Im Moment sieht das eher so aus.

    Wiese: Können Sie denn den Eindruck bestätigen, den hier vorhin der Gründer von Cap Anamur, Rupert Neudeck, vermittelt hat, dass es zumindest in früheren Einsätzen durchaus solche Konkurrenzsituationen gegeben hat?

    von Pilar: Erstens einmal erscheint das manchmal von außen eher so, als es dann für die konkret Beteiligten wirklich so ist. Aber, ich kann das gar nicht leugnen, dass es in manchen Situationen, wenn dann plötzlich sehr viele Organisationen sich an ganz bestimmten Orten konzentrieren, natürlich auch zu Koordinationsschwierigkeiten kommen kann. Denn letzten Endes muss man versuchen, da, wo Infrastrukturen jetzt zerstört sind, wo ganze Verwaltungsstrukturen jetzt zerstört sind, wie jetzt in Aceh, das alles wieder von Neuem aufzubauen und das mit Menschen mit sehr unterschiedlichen Kompetenzen. Leicht ist das nicht und man muss natürlich keine Perfektion sofort erwarten in solchen Situationen. Aber ich denke, dass die kompetenten Hilfsorganisationen sich meiner Erfahrung nach im Allgemeinen sehr gut koordinieren können.

    Wiese: Das war die Generaldirektorin von Ärzte ohne Grenzen in Deutschland, Ulrike von Pilar.