Archiv


Ärzteflucht in Rumänien

Rumänische Ärzte verlassen zu Tausenden ihr Land, um im EU-Ausland zu arbeiten. Hier erwarten sie wesentlich bessere Arbeitsbedingungen, und außerdem verdienen die Mediziner in Westeuropa fünf bis zehn Mal so viel wie in Rumänien. Im Gesundheitsministerium in Bukarest herrscht mittlerweile Alarmstimmung – denn dem Land gehen die Ärzte aus.

von Keno Verseck |
    Im Kreiskrankenhaus von Miercurea Ciuc, einer Kleinstadt im ostsiebenbürgischen Szeklerland, überwiegend bewohnt von der ungarischen Minderheit. Der Hals-Nasen-Ohren-Arzt István Fodor untersucht ein Kind, das auf einem Ohr nichts mehr hört. Es ist neun Uhr, Fodor ist seit sieben im Behandlungszimmer. Er wird noch bis 18 Uhr bleiben, dann macht er Hausbesuche. Alles in allem hat der 43-jährige Fodor heute einen 15-Stunden-Tag. Für ihn nichts Ungewöhnliches.

    "In meinem Fachbereich, der Hals-Nasen-Ohren-Medizin, sind wir drei Ärzte in der Stadt. Das entspricht eigentlich fast der Norm. Wir sind zuständig für rund 100.000 Einwohner aus der Stadt und aus dem Umland. Dennoch ist es sehr schwierig. Wir haben eine sehr lange Arbeitszeit. Und wenn mal einer von uns krank ist, sind die beiden anderen im Dauerdienst."

    Tatsächlich steht István Fodor im Vergleich zu vielen seiner Kollegen nicht am schlechtesten da, denn in Rumänien sind Tausende von Ärzteplanstellen unbesetzt. Betroffen sind mit Ausnahme einiger weniger Universitätskliniken in Großstädten so gut wie alle medizinischen Einrichtungen im Land.

    Seit Rumänien vor zwei Jahren EU-Mitglied wurde und die Rumänen mehr Freizügigkeit genießen, hat der Ärztemangel noch einmal besonders drastisch zugenommen. Nicht verwunderlich: Korruption, schlechte Infrastruktur und Ausrüstung, miserable Bezahlung – diese Markenzeichen des rumänischen Gesundheitswesens treiben immer mehr junge Ärzte ins westliche Ausland, vor allem auch nach Deutschland. Um der Ärzteflucht entgegenzuwirken, ließ das Gesundheitsministerium im Sommer letzten Jahres die Medizinergehälter im öffentlichen Dienst um bis zu 50 Prozent anheben. Zurück gelockt nach Rumänien hat das jedoch kaum einen Arzt.

    Gyöngyi Tarr wartet sehnlichst auf Rückkehrer. Die 42-jährige Internistin ist Direktorin des Kreisgesundheitsamtes in Miercurea Ciuc. Wenn sie durch das städtische Krankenhaus geht und mit Kollegen spricht, hört sie vor allem Klagen über hohe Arbeitsbelastung:

    "Wir hier im Kreis Harghita sind innerhalb Rumäniens mit am meisten vom Ärztemangel betroffen. Wer Fremdsprachen konnte, ging nach 1990 in den Westen. Wer nur die Minderheitensprache Ungarisch konnte, ging nach Ungarn. Zurzeit fehlen uns knapp die Hälfte aller Ärzte, von 450 Planstellen sind 220 unbesetzt. Das heißt in der Praxis: Diejenigen, die angestellt sind, arbeiten für zwei."

    Der akuteste Ärztemangel im Kreis bestehe in der Not- und Unfallmedizin, sagt Gyöngyi Tarr. Aber auch Röntgen- und Lungenärzte gebe es nur einige wenige; in der Onkologie arbeite nur ein einziger Arzt im ganzen Kreis, und um einen Neurochirurgen zu konsultieren, müssten Patienten 150 Kilometer weit fahren – zum nächsten Universitätsklinikum. Gyöngyi Tarr hat in den letzten Monaten in Interviews mit der ungarischen Presse bereits mehrfach Hilferufe an Rückkehrwillige ausgesandt – allerdings mit nur wenig Erfolg.

    "Es gibt einige Fälle von Ärzten, die zu uns in den Kreis zurückgekehrt sind. Ich hoffe, dass das ein Anfang ist. Aber ob sie bleiben und ob es ihnen nicht leidtun wird, dass sie zurückgekommen sind, hängt von denen ab, die in Rumänien die Gesundheitspolitik formulieren."

    Der Hals-Nasen-Ohren-Arzt István Fodor hat noch von keinem Rückkehrer gehört – er weiß nur, wie viele Kollegen Rumänien verlassen haben.

    "Ich war 1990 fertig mit dem Studium. 60 Prozent der Leute aus meinem Jahrgang sind weggegangen, nach Ungarn oder weiter in den Westen."