Ein Arzt trägt Pizza aus, statt Patienten zu behandeln? Das ist für manche Mediziner aus dem Ausland Realität, wenn sie nach Deutschland kommen. Denn bürokratische Hindernisse und lange Wartezeiten machen es Ärzten ohne deutsche Staatsangehörigkeit schwer, hierzulande anerkannt zu werden – trotz Ärztemangel. Wo es hakt und wie es besser laufen könnte.
Wie groß ist der Ärztemangel in Deutschland?
In Deutschland gibt es so viele Ärzte wie nie und auch bei der Versorgung pro Kopf belegt Deutschland im internationalen Vergleich regelmäßig einen Spitzenplatz. Das zeigen Daten der Bundesärztekammer. Sie spricht trotzdem von einem Ärztemangel: Denn ein Mindestmaß an Wachstum sei nötig, um den Trend zu familienfreundlichen Arbeitszeiten auszugleichen und das Gesundheitswesen auf eine zunehmend alternde Bevölkerung vorzubereiten.
Ein großer Teil der Ärztinnen und Ärzte in Deutschland wird zudem in den nächsten Jahren altersbedingt aus dem Berufsleben ausscheiden. Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (ZI) rechnet mit einem Mangel an 30.000 bis 50.000 Ärztinnen und Ärzten bis zum Jahr 2040.
Wie viele ausländische Ärztinnen und Ärzte arbeiten in Deutschland?
Von den gemeldeten Ärzten in Deutschland hatte 2023 mehr als jeder siebte keine deutsche Staatsangehörigkeit – die Bundesärztekammer spricht von einem Höchststand. Zum 31. Dezember 2023 waren es knapp 64.000. Die Zahl habe sich innerhalb von zehn Jahren mehr als verdoppelt. Das Statistische Bundesamt ging im Mai 2024 davon aus, dass jeder achte Arzt 2023 keine deutsche Staatsangehörigkeit hatte.
Das Arbeiten in Deutschland hat viele Vorteile, moderne Krankenhäuser und gute Weiterbildungsmöglichkeiten etwa. Das wüssten Medizin-Profis aus Syrien zu schätzen wissen, so die Syrische Gesellschaft für Ärzte und Apotheker in Deutschland (SYGAAD). Syrien liegt im Ranking der Herkunftsländer an erster Stelle, noch vor anderen Staaten wie Rumänien, Österreich, Griechenland und Russland.
Welche Hürden gibt es für Ärzte aus dem Ausland?
Wenn ein Arzt seinen Abschluss innerhalb der Europäischen Union oder anderen europäischen Staaten gemacht hat, erhält er in fast 100 Prozent der Fälle eine Anerkennung seiner Zeugnisse.
Ärzte aus sogenannten Drittstaaten haben es schwerer: In rund der Hälfte der Fälle gibt nicht ein Abschlusszeugnis aus dem Ausland den Ausschlag dafür, dass sie in Deutschland arbeiten dürfen, sondern eine sogenannte Kenntnisprüfung.
Streitpunkt Kenntnisprüfung – langwierig, aber nötig?
Die Kenntnisprüfung zielt auf die fachliche, medizinische Kompetenz. Aber auch Sprachkenntnisse sind zentral: Die Anforderungen seien hier in den vergangenen Jahren spürbar verschärft worden, sagt Gerald Quitterer, Präsident der Bayerischen Landesärztekammer.
Es müsse unbedingt verhindert werden, dass vermeintliche Ärzte mit gefälschten Zeugnissen etwa aus Syrien oder Russland in Deutschland arbeiten, so der damalige Ärztepräsident Frank-Ulrich Montgomery auf dem Deutschen Ärztetag 2018.
„Wo Arzt drauf steht, muss auch Arzt drin sein, … das gebietet der Patientenschutz.“
Frank-Ulrich Montgomery, ehemaliger Ärztepräsident
Es dauere aber immer länger, bis deutsche Behörden Abschlüsse anerkennen, beklagt die Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Susanne Johna. Aktuell brauchen Anerkennungsverfahren nach Angaben des bayerischen Gesundheitsministeriums im Schnitt 18 bis 24 Monate.
„Es ist natürlich eine Verschwendung ärztlicher Arbeitskapazität, wenn diese Menschen nicht bei uns arbeiten können als Ärztinnen und Ärzte – und stattdessen Pizza austragen. Das zeigt, dass wir da behördlich schnell besser werden müssen.“
Susanne Johna, Marburger Bund
Kein Verständnis hat die Marburger-Bund-Vorsitzende dafür, dass es von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Herangehensweisen gibt.
Wie könnte die Anerkennung einfacher werden?
Um Ärztinnen und Ärzte mit ausländischen Abschlüssen schneller auf den deutschen Arbeitsmarkt zu bringen, hat die bayerische Staatsregierung eine Bundesratsinitiative angestoßen.
Ihr Ziel: Es soll leichter werden, Unterlagen in digitaler Form einzureichen statt auf Papier. Zudem soll anstelle einer zeitlich aufwendigen Prüfung der Ausbildungsunterlagen künftig eine mündliche Kenntnisprüfung vor einer staatlichen Prüfungskommission abgegeben werden. Dadurch erhoffen sich die Länder mehr Effizienz und vor allem kürzere Antragszeiten.
Bayerns Ärztepräsident Gerald Quitterer hält nichts von der Idee. Wichtiger sei, zu wissen, ob die Ausbildung zum Arzt in Drittstaaten vergleichbar mit der Ausbildung in Deutschland sei – durch eine Gleichwertigkeitsprüfung.
Bürokratie abbauen
Susanne Johna vom Marburger Bund setzt ebenfalls auf diese Lösung. Statt die Bearbeitung der Anträge auf mehrere Dutzend Stellen in den verschiedenen Bundesländern aufzuteilen, müssten die Verfahren zur zentralen Gutachtenstelle für Gesundheitsberufe in Bonn verlagert und diese personell besser ausgestattet werden.
Auch wenn es zum Anerkennungsverfahren recht unterschiedliche Einschätzungen gibt, über eines herrscht unter den Experten weitgehende Einigkeit: Deutschland sollte seinen Ärztemangel nicht auf Kosten anderer Staaten bekämpfen.
Das Bundesgesundheitsministerium will sich im Herbst 2024 mit der Frage befassen, ob und wie der Weg, ausländische Ärzte auf den deutschen Arbeitsmarkt zu bringen, neu geregelt werden sollte.
Welche Möglichkeiten gibt es noch, dem Ärztemangel zu begegnen?
Es gibt im Grunde genommen zwei Strategien gegen den Ärztemangel: Neben den ausländischen auch mehr deutsche Ärzte ins Gesundheitssystem holen oder das Gesundheitssystem so umbauen, dass weniger Ärzte benötigt werden.
Lösung 1: Gesundheitssystem umbauen
Für einen Umbau des Gesundheitssystems plädiert der Gesundheitsökonom Reinhard Busse. Mit Blick auf die im internationalen Vergleich schon hohe Ärztezahl und -dichte in Deutschland schlägt er vor, dass auch weiterqualifizierte medizinische Fachkräfte Tätigkeiten übernehmen, die bislang Ärzten vorbehalten sind – andere EU-Länder wie die Niederlande und Finnland seien Vorbild.
Zudem rät er zu mehr ambulanter statt stationärer Versorgung in Krankenhäusern und zur Rückkehr zu telefonischen Krankschreibungen, um Ärzte zu entlasten.
Lösung 2: Mehr Ärzte fürs Gesundheitssystem
Die Zahl der Ärzte im Ruhestand ist in den letzten Jahren immer weiter gestiegen und liegt inzwischen laut Bundesärztekammer bei mehr als 100.000. Doch das Arbeiten im Ruhestand ist für das Gesundheitssystem nur eine Übergangslösung.
Um die Anzahl der Ärzte in Deutschland langfristig zu erhöhen, könnte etwa die Zulassung für ein Medizinstudium vereinfacht werden, indem man den Numerus clausus senkt oder aussetzt. Es könnten die Bedingungen für praktizierende Ärzte verbessert werden, um den Beruf attraktiver, beispielsweise familienfreundlicher zu machen.
Nikolaus Nützel, ikl