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Ärztemangel
"Land kann auch toll sein"

Hausärzte auf dem Land - da tut sich schon jetzt eine Lücke auf. In zehn bis 15 Jahren werde die ärztliche Versorgung im ländlichen Raum richtig schwer, sagte Jens Spahn, Gesundheitsexperte der Union, im DLF. Finanzielle Anreize und Weiterbildung jenseits der Unikliniken könnten ein Umdenken bewirken.

Jens Spahn im Gespräch mit Matthias von Hellfeld |
    Ein Arzt untersucht eine Patientin.
    Als Arzt auf dem Land: Das sind ganz andere Patienten und Möglichkeiten, meint Jens Spahn. (picture alliance / dpa / Jochen Lübke)
    Dirk-Oliver Heckmann: Ärztemangel in Deutschland – der Begriff ist ja bereits zur stehenden Redewendung geworden. Tatsächlich scheint die Gefahr zu bestehen, dass der Trend sich fortsetzt, vor allem in den ländlichen Regionen. Seit 1991 ist die Zahl der Hausärzte um zehn Prozent gesunken. Das ist einem Gutachten zu entnehmen, das gestern ein Expertengremium vorgelegt hat. Mein Kollege Matthias von Hellfeld, der hat gestern Abend mit Jens Spahn gesprochen, dem gesundheitspolitischen Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, und seine erste Frage an ihn lautete: Was sagen Sie zu den heute vorgelegten Zahlen?
    Jens Spahn: Das ist die Erfahrung, die ich etwa auch als Münsterländer daheim mache. Wir haben im ländlichen Raum ein zunehmendes Problem mit der ärztlichen Versorgung, vor allem in der Perspektive. Die Hausärzte sind im Schnitt 55, 60 Jahre alt. Das heißt, wir wissen heute schon: in 10, 15 Jahren wird es richtig schwer, wenn wir nicht mehr Nachwuchs finden.
    Matthias von Hellfeld: Wie wollen wir das machen?
    Spahn: Das fängt schon im Studium an. Wir müssen im Studium, in der Weiterbildung die Allgemeinmedizin wieder attraktiver machen, auch mit finanziellen Anreizen. Da wird sicherlich mehr Geld hingeschichtet werden müssen. Und dann geht es zum zweiten darum: Wie machen wir den ländlichen Raum wieder attraktiver? Ich glaube, das ist nicht nur eine Geldfrage. So schön ich es selber auf dem Land finden, aber es ist insgesamt eine Frage auch für Akademiker. Es gilt auch für Lehrer beispielsweise, wie attraktiv ist ländlicher Raum im Vergleich zur Großstadt, und ich glaube, da müssen wir mehr als nur Geld bieten.
    von Hellfeld: Woher soll das Geld kommen, was Sie in die Hand nehmen möchten?
    Spahn: Wir haben schon in den letzten Jahren und werden sicher weiterhin auch zusätzlich mit finanziellen Anreizen arbeiten, dass es sich mehr lohnt, auch abends um acht, neun Uhr das Wartezimmer noch voll zu haben. Das ist ja auch ein Unterschied zur Stadt, wo oft mehr los ist. Investitionszuschüsse für die Praxis, Unterstützung bei den Kommunen, wir werden sicherlich aus der gesetzlichen Krankenversicherung weitere finanzielle Mittel dahin umschichten müssen. Die Debatte, die dann schwer ist, ist die, ob man dann in den großen Städten, in Köln oder Münster oder München, tatsächlich auch Vergütungen zurückführt. Vor der scheuen sich alle noch.
    von Hellfeld: Wie ist das denn überhaupt entstanden, dass es in den Städten relativ gut alles ausgerüstet ist und die Wartezeiten nicht allzu lange sind und auf dem Land, wo man doch im Grunde genommen das Gleiche verdienen könnte, eben nicht?
    Spahn: Es gibt Studien, die sagen, dass die allermeisten Studenten – das gilt für Medizinstudenten wie für viele andere auch – meistens anschließend in der Nähe ihrer Uni-Stadt bleiben. Das ist wahrscheinlich so ein Phänomen, man hat das städtische Leben kennen gelernt. Es ist auch, wie ich finde, das Vorurteil vielleicht ein bisschen, dass es im ländlichen Raum nicht so spannend sein kann und so lebenswert wie in der Stadt. Dem müssen wir auch mit Klebeeffekten entgegenwirken. Ich glaube, wenn viele mal während der Weiterbildung auch erlebt haben, jenseits der Uniklinik, wie toll es sein kann mal für sechs Monate in der Hausarztpraxis und dass ich da auch ganz andere Patienten, ganz andere Möglichkeiten habe und sehe, dann wird auch so ein Klebeeffekt kommen. Es ist nicht nur eine Geldfrage, sondern wir müssen einfach zeigen, Land kann auch toll sein.
    Behandlungsfehler nicht länger vertuschen
    von Hellfeld: Ärztemangel war heute das eine Thema, das andere Thema waren die Behandlungsfehler, die auftreten. Die Bundesärztekammer hat gesagt, es läge an Überlastung, an viel zu langen Arbeitszeiten und an einem relativ hohen auch noch permanenten Druck, unter dem Ärzte zu leiden haben. Wie kann man diesem Dilemma begegnen?
    Spahn: Erst mal ist es wichtig – und das beginnt ja auch jetzt damit, dass die Ärztekammer so offensiv da herangeht -, dass wir eine offensive Fehlerkultur auch ins Gesundheitswesen bringen. Bis jetzt war bei Fehlern immer eher Vertuschen, Ärzte machen keine Fehler, der Medizinbetrieb macht keine Fehler angesagt. Offensiv mit Fehlern umgehen heißt, auch lernen zu können für die Zukunft - das passiert immer mehr – und dann auch zu schauen, sind es Strukturen, die zu Fehlern führen, und wie kann man die ändern. Ich will aber auch sagen: Im Vergleich zu 19 Millionen Behandlungsfällen im Krankenhaus pro Jahr ist jeder Fehler einer zu viel, aber es sind weniger als 0,001 Prozent, wo wir jetzt die Zahl der Behandlungsfehler haben. Ich finde, wenn man das mal in Relation setzt, scheint es alles in allem ganz gut zu gehen.
    Jens Spahn (CDU), gesundheitspolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag
    Jens Spahn (CDU), gesundheitspolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag (Stephan Baumann)
    von Hellfeld: Nur die Behandlungsfehler sind ja dann meistens mit relativ dramatischen Folgen.
    Spahn: Klar, wichtig ist jeder einzelne Fall. Der braucht auch eine vernünftige Entschädigung und Aufarbeitung. Aber ich finde, man muss aufpassen, dass man die Zahlen immer in Relation sieht zum Gesamtgeschehen.
    In einem Krankenhaus laufen Mitarbeiter über den Flur. 
    Die Arbeitszeiten im Krankenhaus haben sich verbessert. (picture alliance / ZB / Waltraud Grubitzsch)
    Arbeitszeiten in Krankenhäusern wurden an EU-Richtlinie angepasst
    von Hellfeld: Aber wäre das jetzt nicht eine gute Gelegenheit, wirklich mal das Übel an der Wurzel zu packen? Jeder von uns, der schon mal im Krankenhaus war, hat einen Arzt erlebt, der irgendwie 36 Stunden auf den Beinen war mit kurzen Schlafphasen dazwischen, aber jedenfalls im Krankenhaus. Wenn man dann schwer verletzt oder jedenfalls in arger Mitleidenschaft gezogen so jemandem begegnet, können Fehler schon passieren. Ist das nicht einfach echt zu viel?
    Spahn: Was die Arbeitszeiten in den Krankenhäusern angeht, haben wir ja auch durch eine Umsetzung einer EU-Richtlinie schon seit einigen Jahren diese langen Bereitschaftsdienste gar nicht mehr. Die sind nicht erlaubt. Zum Teil gibt es sie widerrechtlich noch. Da muss das natürlich auch entsprechend abgestellt werden. Dadurch ist übrigens auch der Ärztebedarf in den Häusern stark gestiegen, das passt zum ersten Thema. Viele Ärzte sind auch in den Krankenhäusern geblieben, weil sie wegen anderer Arbeitszeitregelungen gebraucht wurden. Dadurch ist auch ein Stück Ärztemangel entstanden. Da ist im Grunde schon was geregelt worden.
    Heckmann: Der gesundheitspolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Jens Spahn, war das im Gespräch mit meinem Kollegen Matthias von Hellfeld.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.