Ärztestreik
Warum viele Ärzte mit Lauterbachs Reformplänen hadern

Tausende Ärzte haben zwischen den Jahren mit Praxisschließungen gegen die Gesundheitspolitik von Karl Lauterbach protestiert. Beim Krisengipfel mit Ärztevertretern hat der Minister nun Entlastungen angekündigt. Doch nicht alle Ärzte sind zufrieden.

    Ein leeres Wartezimmer. Bis Ende des Jahres sind Zehntausende Arztpraxen geschlossen.
    Ende vergangenen Jahres waren Zehntausende Arztpraxen geschlossen. (imago images / Panthermedia / limpido via www.imago-images.de)
    Zwischen Weihnachten und Neujahr blieben tausende Arztpraxen deutschlandweit geschlossen. Der Streik war eine Protestaktion gegen die steigenden Kosten und die Gesundheitspolitik von Bundesminister Karl Lauterbach (SPD). Am 9. Januar traf sich der Gesundheitsminister mit Vertretern von niedergelassenen Medizinern und gesetzlichen Krankenkassen in Berlin. Der Minister versprach große Veränderungen, die aber vor allem die Hausärzte und nicht die Fachärzte betreffen.

    Inhaltsverzeichnis

    Wie reagiert der Bundesgesundheitsminister auf die Forderungen?

    Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte bereits vor dem Krisentreffen Forderungen deutscher Ärzte nach höheren Honoraren zurückgewiesen. "Die Forderung nach mehr Geld halte ich nicht für begründet", sagte Lauterbach im ZDF am 27. Dezember. Bei dem Treffen am 9. Januar in Berlin ging es vor allem um Reformpläne und die Auswirkungen auf Hausärzte. Dazu zählt unter anderem das Ende der Budgetregelung, welches Lauterbach (SPD) schon vor dem Gipfel angekündigt hatte. „Wir werden die Entbudgetierung machen, um das jetzt mal klarzumachen, bei den Hausärzten“, sagte der SPD-Politiker bereits am Dienstagmorgen im „ZDF-Morgenmagazin“. Dies soll dazu führen, dass alle in den Praxen erbrachten Leistungen bezahlt werden.
    Lauterbach sprach nach dem Gipfel von einer guten Diskussion und kündigte an, dass neben der Entbudgetierung auch grundsätzliche Änderungen bei der Vergütung bevorstünden. „Da werden Vorhaltepauschalen eine Rolle spielen, so ähnlich wie Sie das aus dem Krankenhaussektor schon kennen. Indem die Praxen, die besonders bedeutsam sind für die Versorgung, die viele Patienten versorgen, die Hausbesuche machen, die sozusagen die Versorgerpraxen sind - die werden eine Pauschale für die Vorhaltung dieser Leistung bekommen. Dann wird es für die Versorgung für Patienten darüber hinaus noch eine Jahrespauschale geben.“ Diese Veränderung bezeichnete Lauterbach als „eine große Reform. Wir verabschieden uns damit von der Quartalspauschale.“ Die Kassenbeiträge würden jedoch nicht stark ansteigen, versicherte er.
    Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz zweifelt daran, dass die Pläne des Gesundheitsministers ohne eine Anhebung der Beiträge realisiert werden können. Das fehlende Geld müsse durch eine bessere Steuerung der Patienten eingenommen werden. Dies sei jedoch noch keinem Bundesgesundheitsminister gelungen, sagt Brysch. Außerdem fehle eine Qualitätskontrolle. Nicht die Qualität einer Behandlung werde bezahlt, sondern eine Leistung, die abgerechnet werde. Sich stark zu engagieren, zahle sich demnach für Ärzte nicht aus.
    Nach dem Willen des Bundesgesundheitsministers sollen die Hausarztpraxen „ent-ökonomisiert“ werden. Im Vordergrund solle nicht mehr stehen, wie oft ein Patient einbestellt werden müsse, damit Praxen das volle Honorar auslösen können. Es werde damit weniger Patienten im Wartezimmer geben. Dadurch sollen sich Praxen auf jene konzentrieren können, die medizinisch versorgt werden müssten. Telemedizin, Digitalisierung und weniger Bürokratie sollen dazu beitragen, den Praxisalltag für Ärzte und Patienten zu verbessern.
    Allen Ärzteforderungen will Lauterbach aber nicht nachkommen - so soll es keine Entbudgetierung bei den Fachärzten geben. Der Virchowbund kritisierte das Treffen als einen Krisengipfel, der auf halbem Weg stecken geblieben sei. Durch die Zusagen Lauterbachs werde die hausärztliche Versorgung gefördert, die Fachärzte würden aber ignoriert. Der Virchowbund-Vorsitzende Dirk Heinrich kündigte an, dass die Proteste weitergehen werden, wenn Haus- und Fachärzte nicht gleichermaßen behandelt würden.
    Weitere Reformpläne des Gesundheitsministers sollen noch im Laufe des Januars vorgestellt werden.

    Warum streiken Ärztinnen und Ärzte?

    Ärzteverbände hatten dazu aufgerufen, Hausarzt- und Facharztpraxen bundesweit zwischen den Jahren geschlossen zu halten. Die Aktion war Teil der Kampagne "Praxis in Not", die von mehr als 20 Verbänden unterstützt wird und erfolgte aus Protest gegen die Gesundheitspolitik von Bundesminister Karl Lauterbach (SPD).
    Der Grund: Haus- und Fachärzte fühlen sich in Deutschland überlastet und klagen über zu viel Bürokratie und mangelnde Kostenerstattung. „Seit 30 Jahren zwingen Politik und Kassen die Arztpraxen zu schmerzhaften Sparmaßnahmen. Wir können nicht mehr!“, heißt es auf der Homepage von „Praxis in Not“.
    Zwischen Weihnachten und Neujahr waren mehrere Zehntausend Praxen geschlossen. Die Praxen waren dazu aufgerufen worden, ihre Patienten über die Schließung zu informieren, auf den ärztlichen Bereitschaftsdienst zu verweisen und für Vertretung für dringende Notfälle zu sorgen.

    Was fordern die Ärzte?

    Eine der Kernforderungen von „Praxis in Not“ lautet, die Budgetierung in allen Fachgruppen zu beenden. Die gesetzlich vorgegebene Budgetierung im deutschen Gesundheitswesen legt fest, welchen Höchstbetrag die gesetzlichen Krankenkassen pro Jahr für sämtliche medizinische Leistungen ausgeben dürfen.
    Das bedeutet, dass der finanzielle Rahmen, der den niedergelassenen Ärzten zur Verfügung steht, begrenzt ist, unabhängig von der Anzahl der behandelten Patientinnen und Patienten oder der Art der Erkrankungen.
    Unter einem Budget ergibt es laut Virchowbund wirtschaftlich keinen Sinn, weitere Patienten aufzunehmen und Termine zu vergeben. Weitere Patienten lösen in der Praxis Kosten aus, die der Arzt aus eigener Tasche finanzieren müsse. Das empfinde die Ärzteschaft als unzumutbar.

    Inflation und Energiekosten belasten Arztpraxen

    Während Handel, Handwerk und Co. ihre Preise aufgrund der Inflation und gestiegener Energiekosten erhöhen, dürfen niedergelassene Ärzte das laut „Praxis in Not“ nicht. Die Kosten stiegen, die Einnahmen blieben gleich. Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen erhielten staatliche Unterstützung von bis zu acht Milliarden Euro, während die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte leer ausgingen.
    Auch die Praxismitarbeiter hätten keinen staatlichen Coronabonus erhalten, obwohl 19 von 20 Corona-Patienten nicht im Krankenhaus, sondern in den Praxen versorgt wurden. „Für 2024 soll die Finanzierung durch die gesetzlichen Krankenkassen um 3,85 Prozent steigen. Bei einer Rekordinflation von teils über zehn Prozent heißt das: Die Praxen verlieren Geld“, heißt es von Seiten der Kampagne „Praxis in Not“.
    Personalkosten seien mit rund 60 bis 70 Prozent der mit Abstand größte Kostenblock einer Arztpraxis. Bislang würden die Tarifsteigerungen für Medizinische Fachangestellte nicht oder nur mit Verspätung von den Krankenkassen gegenfinanziert.

    Fachkräftemangel in der Medizin

    Weitere Forderungen der Ärzteschaft sind der Abbau von Bürokratie, die Wiedereinführung der Neupatientenregelung und die Bekämpfung des Fachkräftemangels, etwa durch mindestens 5.000 neue Medizinstudienplätze. „Schon jetzt überlegen 70 Prozent aller Hausärzte und Fachärztinnen, vorzeitig den Beruf an den Nagel zu hängen“, heißt es von Seiten der Aktion „Praxis in Not“.

    Was verdienen Ärzte wirklich?

    Nach Angaben der kassenärztlichen Bundesvereinigung gibt es knapp 100.000 Praxen in Deutschland und etwas mehr als 185.000 niedergelassene Ärztinnen und Ärzte. Das Statistische Bundesamt sammelt regelmäßig Informationen zur Kostenstruktur von Arztpraxen. Allerdings liegen die neuesten verfügbaren Daten immer einige Jahre zurück. Die jüngsten veröffentlichten Zahlen beziehen sich daher auf das Jahr 2021.
    Eine Arztpraxis hat demnach im Durchschnitt rund 756.000 Euro eingenommen. Dabei sind alle Einnahmen der Praxis, einschließlich gemeinsamer Praxisgemeinschaften und medizinischer Versorgungszentren, berücksichtigt. Im Vergleich dazu hatte die Praxis durchschnittliche Ausgaben von etwa 420.000 Euro. Wenn man die Einnahmen von den Ausgaben abzieht, bleibt ein durchschnittlicher Gewinn von 336.000 Euro pro Praxis übrig.
    72 Prozent ihrer Einnahmen erzielen Arztpraxen aus der Kassenabrechnung und diese sind in den vergangenen Jahren auch kontinuierlich gestiegen - aber weniger stark als die allgemeinen Bruttogehälter in Deutschland. Vor dem Hintergrund sehen sich die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte durch politische Entscheidungen von der allgemeinen Entwicklung abgehängt.

    ema/cp