Daniel Heinrich: Der Friedensnobelpreis geht an den äthiopischen Ministerpräsidenten Abiy Ahmed. Ich spreche mit Dawit Shanko, er stammt aus Äthiopien, lebt heute in Berlin als Künstler und organisiert mit seiner Galerie Listros unter anderem in Addis Abeba Projekte für Jugendliche. Im Januar hat er Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach Äthiopien begleitet. Guten Abend, Herr Shanko!
Dawit Shanko: Guten Abend!
Heinrich: Ist das ein guter Tag für Äthiopien?
Shanko: Ja, ich denke, es ist ein gutes Zeichen für Äthiopien und ein guter Tag vor allem für die Akteure, die momentan sich da politisch, wirtschaftlich engagieren.
"Die ersten Reaktionen sind sehr vielfältig"
Heinrich: Sie selber, Herr Shanko, sind regelmäßig noch dort, haben Familie auch in der Hauptstadt Addis Abeba und in der Umgebung. Wie fallen denn die Reaktionen vor Ort aus, was hören Sie?
Shanko: Also die ersten Reaktionen sind sehr vielfältig, und zum einen gab es viele, die sich sehr gefreut haben und gegenseitig gratuliert haben. Es gibt auch Meldungen, die sehr positiv ausfallen. Es gibt aber auch Menschen, die sich fragen, Nobelpreis, Friedensnobelpreis, was ist das.
Heinrich: Fragen sich die Menschen, ob Abiy Ahmed den Preis verdient hat oder ist der Preis einfach nicht bekannt?
Shanko: Eigentlich beides. Also die Frage ist, womit hat er das verdient, und was ist damit gemeint, und was haben wir letztendlich auch als Teil des Volkes erst einmal damit zu tun, weil das auch als eine Anerkennung von außen gesehen und eingeschätzt wird.
Heinrich: Lassen Sie uns auf den ersten Teil Ihrer Antwort erst mal eingehen. Die Begründung für diesen Preis, der Friedensschluss mit dem benachbarten Eritrea. Es gab Jubelstürme auf den Straßen des Landes damals. Beschreiben Sie uns doch die Tragweite dieses Ereignisses.
Shanko: Also dieser Frieden zwischen Äthiopien und Eritrea war auf jeden Fall eine sehr starke emotionale Geschichte für Äthiopien, und viele Menschen haben es auch als eine ganz große Chance gesehen, auch die Spaltung, die ja auch inneräthiopisch existiert, auch ähnlich bewältigen zu können. Die Freude war sehr, sehr groß. Inzwischen gibt es solche Entwicklungen, die natürlich auch mit Erwartungen zu tun haben, und die Menschen sind inzwischen sehr skeptisch und auch noch mal stärker gespalten als sozusagen anfangs dieser Reformbewegungen von Ministerpräsident Abiy.
"Äthiopien ist sehr jung"
Heinrich: Sie schneiden es an, ich höre ein großes Aber bei Ihnen durch. Woran liegt das?
Shanko: Also dieses Aber ist erst einmal also ohne wenn und aber muss man das jetzt auf jeden Fall zum Ausdruck bringen, dass dieser Schritt und diese Reformbewegungen, diese Ideen, die jetzt auch von ihm gekommen sind, sind einmalig für das Volk und einmalig für dieses Land und hat deshalb in uns allen große Hoffnungen geweckt hat.
Natürlich weiß man auch, dass Äthiopien und die Probleme, die in dem Land sind, nicht innerhalb von 100 Tagen oder 300 Tagen zu lösen sind. Wie Sie auch wissen, Äthiopien ist sehr jung, und gerade diese jungen Menschen erwarten eine schnelle Lösung, eine Lösung innerhalb kürzester Zeit. Weil das eben auch nicht möglich ist, werden praktisch die kleinen Schritte, die da gemacht worden sind, nicht geschätzt. Aufgrund dessen gibt es einfach also sehr viel Unstimmigkeiten, auch Abstand zu dem, was da praktisch an Bewegungen, Reformen, Veränderungen stattfinden, und viele stehen jetzt auf, okay, wenn er das für uns nicht tut, dann müssen wir was selber tun.
Heinrich: Das heißt, ich höre bei Ihnen durch, es besteht durchaus die Gefahr, dass die großen Hoffnungen, die geweckt worden sind, enttäuscht werden.
Shanko: Die sind im Grunde genommen schon enttäuscht, aber es liegt nicht daran, weil er wenig gemacht hat, sondern weil die Ziele, die man da erreichen möchte, nicht so schnell passieren können und so schnell entstehen können. Deshalb ist da sozusagen auch noch ganz viel, jetzt sage ich genau dieses Wort: Friedensarbeit in der Gesellschaft notwendig.
"Wie kann ich in diesem Prozess mithelfen?"
Heinrich: Wie erklären Sie sich denn diese Ungeduld, die ja offenbar vorzuherrschen scheint?
Shanko: Also es ist ja, wie ich auch anfangs sagte, Äthiopien ist ein Land von vielfältigen Ethnien und Nationen, die zusammenleben, und diese Vielfalt braucht eine Gestaltungskraft und möchte gestaltet werden. Man möchte eigentlich auf einen gemeinsamen Nenner kommen. Obwohl wir so vielfältig sind, haben wir gemeinsame Probleme, und diese kleinere Menge an Gemeinsamkeiten, also das muss noch erarbeitet, ausgearbeitet werden, und an diesem Punkt sind wir oder befindet sich das Land.
Viele denken, okay, wir werden vielleicht hier in diesem Prozess vergessen und müssen uns unbedingt da einbringen. Dann wird der Begriff Demokratie leider auch missverstanden, dass da sozusagen auch Verantwortung mit dabei ist, sondern man wird es immer nur als Freiheit sehen, dass man alles sagen und tun kann. Gerade das, wenn das nicht geordnet ist, wenn das nicht gestaltet ist, bringt es einfach auch Schwierigkeiten noch mal dazu.
Heinrich: Kann denn so ein prestigeträchtiger Preis wie der Friedensnobelpreis dazu beitragen, dass es neuen Rückenwind für Herrn Ahmed gibt, oder ist das vermessen?
Shanko: Also ich hoffe, und ich hoffe das auch sehr, und ich glaube, es wird einen Rückenwind geben, allerdings jetzt muss man nicht von dem gesamten Volk erwarten, sondern vielleicht auf der Ebene der politischen Elite, aus der Ebene vielleicht der Diaspora, dass da diese Anerkennung vielleicht zum Nachdenken verhelfen kann, um vielleicht etwas achtsamer auch mit eigenen Widerständen, mit eigenen Ideen umzugehen, dass man dann versuchen muss, wie kann ich meine Haltung, die vielleicht anders ist, meine Erwartung, die vielleicht auch sehr hoch ist, wie kann ich das reduzieren, wie kann ich da sozusagen in diesem Prozess mithelfen. Deshalb, ich glaube, dass auf jeden Fall von der politischen Elite, denke ich mir, erwarte ich oder denke ich, da kommt auf jeden Fall diese Anerkennung dem ganzen Prozess zugute.
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