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Äthiopien
Hoffen und Bangen mit Abiy Ahmed

Sein größter Erfolg: Das Ende des Krieges mit Eritrea. Äthiopiens Premierminister Abiy Ahmed ist erst seit zehn Monaten im Amt, hat aber bereits radikale Reformen umgesetzt. Doch die Spannungen innerhalb der Bevölkerung gären weiter und trotz Wirtschaftsaufschwungs fehlt der Jugend die Perspektive.

Von Linda Staude |
    Fans tragen am 26. Juni 2018 in Washington D.C. T-Shirts mit Porträts des im April vereidigten äthiopischen Premierministers Abiy Ahmed. Zu dieser Zeit laufen in Addis Abeba die Friedensgespräche zwischen Äthiopien und Eritrea.
    Ein Fan des neuen äthiopischen Premierminister Abiy Ahmed in Washington: Für seine Reformen wird der Politiker von vielen gefeiert (AFP / Brendan Smialowski)
    Ein paar hundert Soldaten machen Liegestütze vor dem Amtssitz von Äthiopiens Premierminister. Abiy Ahmed hat sie dazu verdonnert, nachdem die Truppen das Gebäude gestürmt hatten. Er selbst macht mit - nach außen in bester Laune. In ihm sah es ganz anders aus, erklärt Abiy Ahmed später im Parlament. Die Sporteinlage war der einzige Weg, um einen Putschversuch im Keim zu ersticken: "Ich musste so handeln, um Leben zu retten. Ich musste so tun, als ob alles ok wäre. So mache ich meinen Job."
    Merkel reicht ihrem Amtskollegen vor dem Kanzleramt die Hand
    Kanzlerin Merkel und der äthiopische Regierungschef Abiy Ahmed. (dpa/Bernd von Jutrczenka)
    Radikale Reformen in kürzester Zeit
    Der Vorfall im Oktober war bereits der zweite Versuch, Abiy Ahmed loszuwerden. Nur vier Monate zuvor hat er einen Handgranatenanschlag bei einer Kundgebung überlebt. Dabei hat die Regierungskoalition ihn erst im April 2018 ins Amt gehoben.
    "Er war ein Insider. Er war im Militär, Mitglied des Geheimdienstes, der Regierungskoalition. Er wurde als sichere Wahl betrachtet. Niemand hat erwartet, dass er in kürzester Zeit solch radikale Reformen durchführen würde", erklärt Rashid Abdi von der International Crisis Group.
    Aber genau das hat Abiy Ahmed getan. Seinen größten Erfolg hat er in der Außenpolitik erzielt: Das Ende des Krieges mit dem Nachbarland Eritrea.
    "Die Unterzeichnung des Friedensvertrages ist in der Tat ein historisches Ereignis. Wir haben gesehen, wie ein jahrzehntealter Konflikt geendet hat. Und in einer Welt, in der sich Konflikte unglücklicherweise vervielfältigen und viele ewig anhalten, hat das eine große Bedeutung", lobte UN-Generalsekretär Antonio Guterres enthusiastisch.
    Abiy Ahmeds innenpolitische Reformen waren ähnlich sensationell. An erster Stelle die Entlassung von hunderten Oppositionellen aus dem Gefängnis. Darunter der Journalist Eskinder Nega:
    "Noch vor sechs Monaten hätte ich nie gedacht, dass ich heute hier draußen sein würde. Es wundervoll zu sehen, dass die Menschen glücklich sind und ihre Freiheit genießen."
    Eskinder Nega: Äthiopiens wohl bekanntester Journalist
    Eskinder Nega: Äthiopiens wohl bekanntester Journalist (Deutschlandfunk / Benjamin Breitegger)
    Gefeiert und gehasst
    Eine radikale Kehrtwende nach fast 30 Jahren unter einem diktatorischen Regime, das Menschen- und Bürgerrechte nur auf dem Papier anerkannt hat. Dafür wird Abiy Ahmed von der Bevölkerung gefeiert. Begeisterte Anhänger rufen auf Pro-Regierungsdemonstrationen seinen Namen - bisher undenkbar in Äthiopien. Aber von anderen wird er gehasst, sagt der politische Analyst Omer Redi:
    "Die Gegner seiner Reformagenda haben viel zu verlieren. Sie haben seit fast drei Jahrzehnten vom System profitiert. Durch ihre guten Verbindungen zur Regierung haben sie viel Geld erwirtschaftet. Sie hatten die Macht in ihren Händen."
    Abiy Ahmed hat bereits das Kabinett verkleinert und neue Minister ernannt, etwa die Hälfte davon Frauen. Außerdem haben die Behörden mehr als 70 hohe Militärs und mächtige Politiker verhaftet - wegen Menschenrechtsverletzungen und Korruption.

    Rashid Abdi: "Das ist ein sehr populärer Schachzug. Aber wenn er zu schnell und zu hart gegen die Mitglieder des alten Regimes vorgeht, dann wird das schnell als Hexenjagd angesehen. Und das kann später zu neuen Krisen führen."
    Mitglieder der Oromo-Befreiungsfront OLF feiern ihre Rückkehr nach Addis Abeba
    Mitglieder der Oromo-Befreiungsfront OLF feiern ihre Rückkehr nach Addis Abeba (picture alliance/AP Photo)
    Neue Spannungen, neue Gewalt
    Nämlich zu noch größeren ethnischen Konflikten. Bisher hatte die Bevölkerungsminderheit der Tigray die Macht. Abiy Ahmed gehört dagegen zur größten Volksgruppe der Oromo. Ihre Proteste gegen Diskriminierung und Unterdrückung haben das alte Regime nach drei Jahren und hunderten Toten letztlich zu Fall gebracht. Aber das hat zu neuen Spannungen geführt.
    Tausende Demonstranten ziehen durch die Straßen von Addis Abeba. Sie blockieren Straßen, schließen Geschäfte, legen die Straßenbahn lahm. Für Stunden geht nichts mehr in Äthiopiens Hauptstadt. Anlass für die Massenproteste im September war eine Welle der Gewalt, die 23 Menschen das Leben gekostet hat. Gezielte Gewalt gegen ethnische Minderheiten, wettert Demonstrantin Bizuayehu Getahun:
    "Angehörige der Volksgruppen der Gamo und der Amhara werden getötet und in die Wälder geworfen. Wir brauchen Frieden und Gerechtigkeit. Sie vergewaltigen unsere Schwestern."
    Auf dem zentralen Meskel Square in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba protestieren Menschen gegen eine Welle der Gewalt gegen Minderheiten, die 23 Menschen das Leben kostete
    Auf dem zentralen Meskel Square in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba protestieren Menschen gegen eine Welle der Gewalt gegen Minderheiten, die 23 Menschen das Leben kostete (AFP/ Maheder HAILESELASSIE TADESE)
    Erinnerungen an das alte Regime
    Sie, das sollen militante Oromo-Jugendliche gewesen sein, die sich jetzt am Drücker sehen und denen die versprochenen Reformen nicht schnell genug gehen.
    Ostafrika-Experte Rashid Abdi: "Diese ethnische Spaltung ist sehr gefährlich. Aber das ist nichts Neues. In der ganzen Geschichte sind bei einem Übergang von einer strengen Diktatur zu einer relativ liberalen Demokratie solche Spannungen ausgebrochen. Und ich bin nicht so sicher, dass Äthiopien gut damit fertig wird."
    Die Reaktion der neuen Regierung erinnert sehr an das alte Regime: Tränengas und scharfe Munition gegen Demonstranten. Militär in den Konfliktregionen. So sehr hat Äthiopien sich noch nicht verändert, warnt Journalist Eskinder Nega:
    "Das ist keine neue Regierung, das ist das falsche Wort. Es ist die alte Regierung unter neuer Führung."
    Wirtschaftswunderland Afrika, aber der Jugend fehlen die Jobs
    Die blutigen Konflikte im Vielvölkerstaat Äthiopien haben mittlerweile fast drei Millionen Menschen zu Flüchtlingen im eigenen Land gemacht - und bedrohen den erhofften Neuanfang.

    Rashid Abdi: "Zweifellos hat der Premierminister seine Fähigkeit übertrieben, die Reformen auch umzusetzen. Wenn Sie bei Millionen jungen Menschen so große Hoffnungen auf radikale Reformen wecken und sie dann nicht hinkriegen, bekommen Sie früher oder später Probleme."
    Das gilt nicht nur für die versprochenen Freiheiten, sondern auch für die Wirtschaftsreformen. Zwar gilt Äthiopien seit langem als das Wirtschaftswunderland Afrikas - mit zweistelligen Wachstumszahlen, einem Bauboom und einem vorbildlichen Kampf gegen Hunger und Armut. Aber trotzdem finden Millionen junge Menschen keinen Job und haben keine Perspektive. Abyi Ahmed hat ihnen beides versprochen. Aber das braucht Zeit, vielleicht mehr, als Äthiopiens Jugend ihm geben wird.