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Äußerung des saudischen Prinzens zu Israel
Nahost-Experte Gerlach: Saudi-Arabien will Iran zurückdrängen

Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman hat in einer Äußerung Israel das Recht auf einen eigenen Staat zugesprochen. Nahost-Experte Daniel Gerlach sagte im Dlf, dies bedeute keinen Kurswechsel. Es sei eine "logische Konsequenz" einer "strategisch sorgfältig" vorbereiteten saudischen Politik.

Daniel Gerlach im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Daniel Gerlach bei der Buchmesse in Frankfurt im Jahr 2016
    Für die saudische Führung sei es immer wichtig gewesen, die antiisraelische Haltung bestimmter Konkurrenten in der Region zu kontern, meint Daniel Gerlach. Deswegen sei die Ankündigung nichts Neues. (imago stock&people)
    Christoph Heinemann: Zwei Meldungen aus dem Nahen Osten sorgen heute für Aufmerksamkeit: Israels Ministerpräsident Netanjahu kündigte an, er habe mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR eine Umsiedlung von 16.000 Flüchtlingen aus Eritrea und dem Sudan vereinbart. Als mögliche Aufnahmeländer nannte der israelische Ministerpräsident unter anderem Italien und Deutschland. In Rom und Berlin weiß aber niemand etwas davon. Inzwischen ist aus Jerusalem zu hören, die Abschiebung sei zurückgezogen. Nachricht Nummer zwei: Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman hat in einem Interview des US-Magazins "The Atlantic" gesagt, er glaube, dass Palästinenser und Israelis das Recht auf ihr eigenes Land hätten, um für alle Stabilität zu gewährleisten und normale Beziehungen zu unterhalten, bedürfe es jedoch eines Friedensabkommens. Klingt binsenweise, dass ein Mitglied des saudischen Königshauses Israel das Recht auf ein eigenes Land einräumt, ist allerdings meldepflichtig.
    Am Telefon ist Daniel Gerlach, Nahostexperte und Chefredakteur des Magazins "zenith. Zeitschrift für den Orient". Guten Tag!
    Daniel Gerlach: Hallo!
    Heinemann: Herr Gerlach, welchen Reim machen Sie sich auf die Ankündigung des Kronprinzen?
    Gerlach: Das ist wirklich gar nicht so einfach, diesem wirklich hervorragenden Beitrag von Herrn Kühntopp hier noch was hinzuzufügen, denn er hat es im Grunde ja schon gesagt. Ich denke, was wir hier erleben, ist einfach die logische Konsequenz, in gewisser Weise der Gipfel einer Politik, die sich ja auch schon abgezeichnet hat, strategisch sehr sorgfältig vorbereitet wurde. Und für Mohammed bin Salman bietet sich hier eine einzigartige Chance, einen Saudi-freundlicheren Präsidenten, einen Präsidenten in den USA, der ihn so unterstützt und so vorbehaltlos sich weigert, die Komplexität des Nahen Ostens und andere Interessenlagen und Konfliktlagen anzuerkennen, einen solchen Präsidenten wird er so schnell nicht wieder bekommen. Und insofern ist es jetzt hier mal Zeit für große Worte und auch für den einen oder anderen mutigen Schritt in diese Richtung.
    Kooperation mit den Israelis als Nebenprodukt
    Heinemann: Also Adressat war weniger der Nahe Osten als vielmehr Washington?
    Gerlach: Washington ist der Hauptadressat, natürlich aber auch die gesamte westliche Welt. Aber auch Iran, Russland, die anderen Akteure, die hier mitspielen. Mohammed bin Salman hat ganz klar seine Prioritäten gesetzt, und das ist die Zurückdrängung iranischer Interessen in der Region, und da ergeben sich Chancen einer Kooperation mit den Israelis, die es auch schon vorher gegeben hat. Es ist übrigens nicht so, auch wenn diese Aussage jetzt so besonders gewürdigt wird, es ist nicht so, dass es zum ersten Mal ist – das ist kein Umschwung, sagen wir so, in der saudischen Linie. Herr Kühntopp hat diesen 2002-Friedensplan vom damaligen König Abdallah angesprochen, in dem die Saudis ja auch die volle Anerkennung im Gegenzug für den Rückzug auf die Grenzen von 1967 oder einen Rückzug aus besetzten Gebieten in Aussicht gestellt haben. Und es gibt hinter den Kulissen seit langer Zeit Sicherheitskooperationen, es gibt wirtschaftliche Kooperationen, und insofern ist das alles nicht so wahnsinnig neu. Vielleicht sollte man auch daran erinnern, dass für die saudische Führung immer wichtig war, die antiisraelische Haltung bestimmter Konkurrenten in der Region, ob das arabische Nationalisten, Islamisten oder eben Iran war, entsprechend zu kontern. Und dabei fiel auch immer eine gewisse Kooperation mit den Israelis als Nebenprodukt ab.
    "Es geht erst mal darum, Eindruck zu machen"
    Heinemann: Könnte sich mit diesem Interview ein Zug in Bewegung gesetzt haben Richtung Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Riad und Jerusalem?
    Gerlach: Wundern würde es mich nicht, allerdings denke ich, dass es dafür jetzt vielleicht noch ein bisschen zu früh ist, auch aus saudischer Perspektive. Hier geht es erst mal darum, Eindruck zu machen, Optionen aufzuzeigen. Aber es gibt eben auch andere Staaten in der Region, die man in letzter Zeit aus saudischer Perspektive zwar nicht besonders pfleglich behandelt hat, die man aber für den allgemeinen Frieden in der Region und für die Durchsetzung seiner eigenen Interessen in der Nahostpolitik braucht. Dazu gehört zum Beispiel Jordanien, was diese ganze Entwicklung sehr kritisch sieht. Also, es gibt in der Nachbarschaft Israels andere Staaten, die man hier einbeziehen muss. Und ich denke nicht, dass Saudi-Arabien einfach unilateral jetzt sagen wird, wir nehmen diplomatische Beziehungen mit Israel auf. Aber es geht um die Perspektive. Und bei allem ist es ja schon ganz merkwürdig, dass sich die Weltöffentlichkeit so darüber freut, dass ein arabischer Staatschef etwas letztendlich ja völlig Natürliches sagt und letztendlich auch damit ein Publikum ansprechen will hier im Westen, aber natürlich auch Juden auf der Welt, Israel-Unterstützer auf der Welt, die eben sich bedroht fühlen. Insofern ist das letztendlich eine vertrauensbildende Maßnahme. Allerdings muss man sich dann gleich wieder fragen, wer im gleichen Interview den iranischen Revolutionsführer Chamenei mit Hitler vergleicht, bei dem sollten sich wahrscheinlich Israel-Unterstützer auf der ganzen Welt fragen, ob er es wirklich ernst meint und ob seine historischen Vergleiche so treffsicher sind, und bei einem solchen Verbündeten wahrscheinlich auch eine gewisse Vorsicht walten lassen.
    Annäherung bedeutet nicht Diplomatie
    Heinemann: Salman hat sich ja auch mit Blick auf die eigenen Leute geäußert. Bisher gehörte ja der Hass auf Israel sozusagen zum saudischen Geschäftsmodell. Wie gefährlich ist eine Kurskorrektur für das Regime in Riad?
    Gerlach: Für die saudische Führung, war, glaube ich, der Hass auf Israel nicht unbedingt Teil des Geschäftsmodells. Das gilt unterschwellig vielmehr doch für andere arabische Staatschefs, Diktatoren, die auch immer damit letztendlich versucht haben, ihre eigene Position zu rechtfertigen. Saudi-Arabien hatte dazu eine wesentlich nuanciertere Haltung, obwohl natürlich innerhalb des klerikalen Establishments eine ganze Menge antisemischen Wildwuchs und antisemitische Ressentiments gibt. Aber es gibt nicht diese leidenschaftliche Beziehung mit Israel, die zum Beispiel Staaten wie Irak, Marokko, Libyen, Tunesien haben, aus denen viele Juden ja nach Israel ausgewandert beziehungsweise zwangsweise ausgewandert sind. Das ist ein anderes Verhältnis zwischen diesen arabischen Republiken, die im Kampf gegen Israel, die sich als Frontstaaten auch betrachtet haben, Syrien auch insbesondere, da hat Saudi-Arabien eigentlich weniger mitgespielt. Nichtsdestotrotz blieb die Ausübung jüdischer Rituale in Saudi-Arabien verboten. Das haben wir einmal eindrucksvoll erlebt, als die damalige US-Außenministerin Madeleine Albright einen jüdischen Cedar-Abend zelebriert hat in Saudi-Arabien und damit im Grunde gegen saudisches Recht verstoßen hat. Eine Annäherung an Israel durch diese Worte bedeutet tatsächlich noch nicht, dass wir davon sprechen können, dass es hier demnächst zwei Verbündete gibt, die diplomatische Beziehungen aufnehmen und ihre Verhältnisse sozusagen normalisieren.
    Heinemann: Was bedeutet diese Ankündigung für die Hamas und ihre Position gegenüber einem Existenzrecht Israels?
    Gerlach: Für die Hamas, denke ich, ist es derzeit Wasser auf ihre Mühlen, denn die Hamas kann sich – die arabische Welt ist gespalten, und diejenigen in der arabischen Welt, die letztendlich auch von der Verschwörungstheorie leben oder, wie Sie eben gesagt haben, das Geschäftsmodell betreiben, immer zu sagen, dass die Juden die Welt beherrschen und die nationalen Mächte alle unter einer Decke stecken, um die Interessen Israels zu vertreten, auf deren Mühlen ist das Wasser. Und dazu gehört natürlich die Hamas auch, die abgewirtschaftet hat, die innerhalb Gazas wenig bis gar nichts dafür getan hat, dass sich die Verhältnisse der Menschen verbessern, und die letztendlich nur aus diesem mantrahaften "Wir werden Israel niemals anerkennen, und wir kämpfen gegen Israel" heraus ihre Existenzberechtigung gezogen hat. Die scheint sich derzeit in Festlaune zu befinden, und das Ganze geht natürlich auf Kosten der Zivilbevölkerung in Gaza, auch in den palästinensischen Gebieten, wo sich ein Machtwechsel abzeichnet und wo Saudi-Arabien und seine Verbündeten, zum Beispiel die Vereinigten Arabischen Emirate, auch versuchen werden, denke ich, demnächst die politischen Verhältnisse zu ändern.
    "Netanjahu traue ich derzeit alles zu"
    Heinemann: Herr Gerlach, trauen Sie Benjamin Netanjahu zu, dass er ein mögliches Momentum nutzt?
    Gerlach: Innerhalb des Sicherheitsestablishments Israels ist das mittlerweile eigentlich Mainstream. Das hat mit Netanjahu gar nicht so viel zu tun, sondern man ist der Ansicht, man darf den Zug nicht verpassen, in irgendeiner Form mit arabischen Staaten ins Geschäft zu kommen und sich in die Sicherheitsarchitektur einzuordnen. Herr Netanjahu wiederum traue ich derzeit alles zu, denn der befindet sich mit dem Rücken zur Wand und ist mit Korruptionsermittlungen und politischen Problemen innerhalb des eigenen Kabinetts dermaßen befasst, dass es eigentlich in guter, alter Tradition nur einen Weg geben kann, eine spektakuläre außenpolitische Maßnahme, möglicherweise einen militärischen Konflikt oder irgendetwas, was davon ablenken kann, dass er letztendlich möglicherweise kurz vor dem eigenen Verfahren und der eigenen Verhaftung steht.
    "Gleichgültigkeit" gegenüber getöteten Demonstranten
    Heinemann: Die neue Entwicklung könnte die der vergangenen Woche in Vergessenheit geraten lassen. Am Karfreitag haben israelische Soldaten zahlreiche Palästinenser getötet, Menschen wurden verletzt. Das waren Grenzverletzer, wir haben uns verteidigt, das sagen die Israelis. Die Palästinenser sind empört. Wen halten Sie für verantwortlich für die Toten und die Verletzten an der Grenze?
    Gerlach: Ich kann das so nicht rekonstruieren. Ich denke, was hier wichtig ist: Hier hat niemand eine Grenze verteidigt, denn es gibt keine Grenze zwischen Gaza und Israel. Das ist Teil der politischen Realität und Absurdität. Gaza ist nach wie vor, es gibt keine souveränen palästinensischen Staat, der eine Grenze auf der anderen Seite hätte, der internationale Beziehungen unterhalten kann. Und insofern ist das, was da – es ist eine Grenze innerhalb eines Besatzungssystems, in dem zwar auf der anderen Seite keine israelischen Truppen mehr stehen, über das aber Israel militärische Kontrolle hat. Und dieser Vorfall zeigt, das Töten von Demonstranten, wie auch immer es dazu jetzt im Einzelfall gekommen ist, ist letztendlich in diesem Nahen Osten nichts mehr, wo man irgendwie mit Sanktionen rechnen muss. Es gibt eine allgemeine Beliebigkeit und Gleichgültigkeit dem gegenüber, und das hat natürlich nicht nur damit zu tun, was in Israel passiert und in den palästinensischen Gebieten, sondern insgesamt damit, dass eine rohe Ausübung von Gewalt gegenüber Zivilisten, Demonstranten, wie auch immer, einfach nicht geahndet wird, weil man sich einfach sehr daran gewöhnt hat und weil man aus israelischer Personal zu Recht sagen kann, es kann nicht sein, dass ihr uns international an den Pranger stellt, weil wir 15, 18, 20 Palästinenser erschossen haben, aber tatenlos zuseht, wenn um uns herum Hunderttausende getötet werden. Und davon profitieren letztendlich diejenigen, die den Status quo erhalten beziehungsweise verfestigen wollen.
    Heinemann: Daniel Gerlach, Nahostexperte, Chefredakteur des Magazins "zenith. Zeitschrift für den Orient". Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Gerlach: Ich danke Ihnen für die Zeit!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.