Brigitte Baetz: Der "Tagesspiegel" bezeichnet den ehemals als Vegankoch bekannt gewordenen Attila Hildmann in seiner Ausgabe vom 20. Juli 2020 als "rechten Hetzer". Und es fällt wirklich schwer, die ständigen verbalen Ausfälle Hildmanns, unter anderem: "Hitler war ein Segen im Vergleich zur Kommunistin Merkel", unkommentiert stehen zu lassen. Zudem sind etliche Strafanzeigen gegen Hildmann anhängig, zum Beispiel vom ehemaligen grünen Bundestagsabgeordneten Volker Beck wegen Beleidigung, Volksverhetzung und Anstiftung zu einer Straftat. Hildmann hatte in seiner Telegram-Gruppe geschrieben: "Für Beck würde ich als zukünftiger Reichskanzler wieder die Todesstrafe durch Eier-Treten auf öffentlichem Platz einführen."
Ein Pressesprecher des Potsdamer Polizeipräsidiums wird vom "Tagesspiegel" zitiert: "Die Leute verstehen nicht, warum Herr Hildmann weiter offen Menschen bedrohen darf". Die Frage an den Medienjuristen Wolfgang Schulz: Verstehen Sie, warum das so ist?
Wolfgang Schulz: Also, die Problematik ist natürlich die, dass man klar differenzieren muss zwischen den Sachen, die strafbar sind, und solchen Sachen, die einfach üble Hetze sind, aber eben nicht rechtswidrig. Und diese Grenze ist manchmal nicht einfach zu ziehen, und ich kann mir nicht vorstellen, dass die Staatsanwälte in solchen Fällen leichttun, dann zu sagen, das ist nicht strafbar, da können wir jetzt nichts tun. Sondern dann fällt das dann einfach in den Bereich, der sehr, sehr unschön, aber eben nicht strafbar ist.
Wolfgang Schulz ist Direktor des Leibniz-Instituts für Medienforschung (Hans-Bredow-Institut) und hat die Universitätsprofessur "Medienrecht und Öffentliches Recht einschließlich ihrer theoretischen Grundlagen" an der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Hamburg inne.
Baetz: Nun kann man aber ja auch argumentieren, Attila Hildmann nähme eh niemand wirklich ernst. Gleichwohl hat sein Telegram-Kanal 66.000 Abonnenten, das heißt, es gibt eine sehr wenig kontrollierbare Teilöffentlichkeit. Wie geht man damit am besten um?
Schulz: Das Risiko, das da besteht, ist mindestens ein zweigeteiltes: Das eine ist, dass sich tatsächlich Einzelne Communities bilden, in denen sich dann eine Radikalisierung vollzieht, die dann vielleicht auch dazu führen kann, dass verbale Ausfälle in Gewalt umschlagen.
Und das zweite Risiko, das man sieht, ist, dass allgemein eine Verrohung der Sprache eintreten kann, wenn man allgemein sieht: Ach, das kann man ja so machen. Diese Dinge sind sicher beiden ernst zu nehmen. Und man kann eigentlich nur antworten, dass da eine starke Zivilgesellschaft gegen auftreten muss, also: Man muss sich empören. Das Empören ist ja etwas, das heißt, da wird gegen Regeln verstoßen. Und das kann sich eine Gesellschaft so nicht bieten lassen. Aber die Grenze zwischen diesem, wo man sich empören kann und muss aus meiner Sicht auch, und dem, was strafbar ist, die ist in einer freien Gesellschaft eine wichtige. Und die sollten wir wegen solcher Figuren nicht aufs Spiel setzen.
"Gerade wenn es ins Rechtsradikale geht, schwer auszuhalten"
Baetz: Nun haben sich ja eine Menge Leute auch empört, es sind 1.300 Anzeigen auch eingegangen, die sich nur mit Hildmann beschäftigen. Aber die Selbstregulierungskräfte haben ja bislang nicht funktioniert. Muss der Staat da nicht ein bisschen mehr eingreifen?
Schulz: Ich bin da ausgesprochen skeptisch, was das angeht. Es würde dazu führen, dass wir uns von solchen Menschen dazu treiben lassen, die Gesellschaft weniger frei zu gestalten, das heißt also, die Grenzen des rechtlich Sagbaren zu verschieben, dass Dinge, die jetzt erlaubt sind, dann verboten wären. Das kann man in Grenzen machen, aber man muss den Preis sehen: Der Preis ist eben der, dass dann so eine Verschiebung stattfindet.
Und die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, gerade in solchen Fällen, wo sie schwer auszuhalten ist. Gerade wenn es ins Rechtsradikale geht, wo das in Deutschland ganz schwer auszuhalten ist, muss sich aus meiner Sicht zeigen, dass man nicht damit antwortet, dass man die Gesetze verschärft. Das mag hier und da auch sinnvoll sein, sondern dass die Zivilgesellschaft aufstehen muss und sagen: Das ist nicht, was wir denken, das ist nicht, was wir für richtig halten. Das wird nicht bedeuten, dass mehr passiert. Aber man muss ja leider vermuten, dass es so etwas schon immer gegeben hat, nur jetzt sichtbarer und lauter wird.
Baetz: Gleichwohl: Was macht das mit einer Gesellschaft, wenn sich ein einzelner, halbwegs prominenter Mensch da so äußern kann, ohne dass er sanktioniert wird? Wie erklärt man das seinen Kindern?
Schulz: Den Kindern ist das schwer zu erklären. Man kann es ihnen, glaube ich, nur so erklären, wie es ist, nämlich, dass man sagt: Das sind Menschen, deren Vorstellungen man nicht nur nicht teilt, sondern die man unmoralisch und falsch findet, dass man so mit anderen Menschen auch verbal nicht umgehen darf, aber dass wir in einer Gesellschaft leben, in der man relativ frei auch Unsinn erzählen darf und auch Verletzendes tun kann, solange man nicht konkret Rechte verletzt.
Das ist, wie gesagt, schwer auszuhalten, aber das ist aus meiner Sicht so ein bisschen die Schattenseite dessen, dass man eben in einer Gesellschaft, in einem Staat lebt, in dem die Meinungsfreiheit hochgehalten wird. Wenn wir uns jetzt dazu verleiten lassen, zu sagen, wir lösen das Problem durch Kommunikationskontrolle, wir versuchen das unsichtbar zu machen, dann kann das vielleicht in Grenzen gelingen, aber es hat eben den Preis einer stärkeren Beschränkung von Meinungsfreiheit – und möglicherweise auch in anderen Fällen, in denen wir die Kritik brauchen als Gesellschaft.
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