Dirk Müller: Klimawandel, Digitalisierung, sogar die Seenotrettung - das sind die offiziellen größeren Themen. In Dortmund werden von heute an mehr als 100.000 Gäste zum 37. Deutschen Evangelischen Kirchentag erwartet. Ein sehr politischer Kirchentag soll es werden, wieder einmal. Es geht auch wieder um Populismus, um Extremismus, um Nationalismus, auch wieder um die AfD, die diesmal ausdrücklich nicht eingeladen ist zu diesem Kirchentag. Kein AfD-Politiker auf einem der vielen Podien. Gerade dies wird heftig debattiert.
AfD-Politiker sind Tabu bei den Gesprächsforen in Dortmund. Das sieht auch der Theologe Professor Peter Dabrock so, Chef des Deutschen Ethikrates. Er nimmt ebenfalls aktiv teil am Evangelischen Kirchentag. Guten Morgen in unseren Ü-Wagen nach Dortmund!
Peter Dabrock: Guten Morgen, Herr Müller.
"Eine schwierige Entscheidung"
Müller: Herr Dabrock, warum grenzen Sie aus?
Dabrock: Zum einen grenze ja nicht ich aus, sondern der Evangelische Kirchentag hat schlicht und einfach AfD-Politiker nicht eingeladen. Er hat ja nicht die Pflicht, sie einzuladen. Ich halte das für eine schwierige Entscheidung, eine, die, wie auch der Bericht gezeigt hat, Pro und Contra hat, aber eine, die sich am Ende, glaube ich, doch rechtfertigen lässt.
Müller: Nicht einladen, alle anderen sind eingeladen. Ist das keine Ausgrenzung?
Dabrock: Ich glaube nicht, dass alle anderen eingeladen sind. Es gibt ja auch andere Gruppen, die nicht eingeladen sind. Aber man muss sich natürlich fragen, wen setzt man wann und warum auf ein Podium. Ich finde es interessant, wenn wir uns anschauen, wie wir politisch im letzten Jahr debattiert haben. Dort haben wir uns lange Zeit ganz nahezu ausschließlich den gesellschaftlichen Frame, wie man heute sagt, aufdrücken lassen durch Fragen, die von der AfD bestimmt waren. Dann ist die Klimakrise stärker in den Vordergrund gerückt und dann hat man plötzlich gesehen, dass eine ganze Gesellschaft eine andere Hauptfragestellung entwickelt hat.
"Das gesamte Spektrum eingeladen"
Müller: Dann kann man die AfD ja zum Klima fragen.
Dabrock: Das kann man natürlich machen. Man hat ja auch durchaus verschiedene Positionen hier auf dem Kirchentag, die keineswegs, wie oft auch behauptet wird, alle Mainstream - und ich glaube, da lautet die Formulierung immer Grün-Links - sind, sondern das ansonsten gesamte Spektrum der Politik, das gesamte Spektrum gesellschaftlicher Einstellungen ist in der Unterschiedlichkeit aller auch Formate eingeladen, sich zu beteiligen. Und es gibt ja auch Beteiligungsformate, in denen rechtskonservative Positionen zu Wort kommen können, aber wo die Leitung des Kirchentages gesagt hat, da hört es auf, wenn Positionen vertreten werden, die offen eine Tendenz zur Ausgrenzung haben, offen eine Tendenz einer Sympathie zu Rassismus haben. Diese Punkte sollen eben nicht zu Wort kommen und sollen - ich meine, das kennen wir ja alle aus Diskussionen - eben nicht dann in ihrer Radikalität die notwendige Gestaltung in der Gesellschaft, mit diesen wirklich schwierigen Fragestellungen umzugehen, durch diesen radikalen Zugriff alleine bestimmen.
Müller: Und Sie würden das bekommen bei allen AfD-Politikerinnen und Politikern, die Sie kennen? Sind Sie sich da sicher, dass Alexander Gauland radikale extremistische Thesen vertreten würde?
Dabrock: Das ist natürlich eine ganz berechtigte Frage. Natürlich gibt es immer AfD-Politiker, ich kenne auch persönlich AfD-Politiker, bei denen ich aus den Gesprächen, die ich bisher geführt habe, den Eindruck gewonnen habe, dass es rechtskonservative Menschen sind, die hier eine Heimat gefunden haben. Aber das aus meiner Sicht extrem Schwierige an der AfD ist, dass sie ein Sammelbecken bietet und die klare Abgrenzung, die wir als Demokratinnen und Demokraten benötigen, um die Gesellschaft in dieser schwierigen Zeit zu gestalten, nicht vornehmen, sondern immer mit solchen Doppelformulierungen arbeiten wie "jetzt jagen wir die Regierung". Dann kann man natürlich sagen, jagen, na gut, das hat vor 15 Jahren auch schon mal jemand anders gesagt. Aber man weiß natürlich genau, dass man auch einen Boden bedient und ein Milieu bedient, das das ganz anders hört und hören soll. Ich glaube, da muss man auch sagen, dass die AfD an der Stelle mit dieser Doppeldeutigkeit bewusst spielt. Man hört keine klaren Abgrenzungen. Denken Sie jetzt im Fall Lübcke, dass hier einmal ein klares Wort kommt, außer dem Umstand, dass gesagt wird, dass man natürlich den Mord aufs Schärfste verurteilt, aber ein Wort des Nachdenkens darüber, was hier passiert ist.
"Nicht nur ein Problem des Umgangs mit Rechtsextremismus"
Müller: Herr Dabrock, ist das nicht klar genug, wir verurteilen den Mord aufs Schärfste? Mehr hat die Kanzlerin ja auch nicht gesagt.
Dabrock: Ich finde alle Äußerungen, die nicht darauf hinweisen, dass wir in der Gesellschaft – und ich glaube, wir haben nicht nur ein Milieu-Problem und wir haben nicht nur ein Problem des Umgangs mit Rechtsextremismus und ein Problem, was auch heute in der Presseschau bei Ihnen wieder zum Tragen gekommen ist, der Aufdeckung dieser Fragestellung. Sondern wir haben auch ein strukturelles und kulturelles Problem, warum so etwas überhaupt passieren kann.
Das angesichts dieses Mordes zu thematisieren - noch ist ja nicht klar, ob Stephan E. wirklich den Mord begangen hat; es wurde darauf hingewiesen, es gilt natürlich die Unschuldsvermutung, auch wenn es sehr starke Indizien gibt. Aber das Milieu, das vorher und hinterher reagiert hat, darauf zu reagieren und wie wir die Mitte der Gesellschaft, und zwar in Ost und West davor bewahren können und stärken können, sich nicht von diesen Tendenzen einfangen zu lassen, das ist die große Herausforderung.
Müller: Herr Dabrock, das bleibt es abzuwarten. Er ist ein Verdächtiger. Die Hinweise, die Indizien sprechen offenbar dafür bislang. Aber selbst Horst Seehofer hat gestern auch gesagt, wir sind da noch nicht am Ende der Beweiskette. - Ich weiß nicht, ob das jetzt so korrekt ist, aber vielen wird jetzt auch einfallen, es hat auch RAF-Terror gegeben, RAF-Morde gegeben, es hat politische Verbindungen der RAF oder RAF-Sympathisanten gegeben, bis in die politischen Parteien hinein, bis in die Grünen zum Beispiel auch hinein. Das war jedenfalls damals der Vorwurf vor 30 Jahren. Wir hatten diese Diskussion schon einmal.
Dabrock: Das macht es ja nicht besser! Es macht es nicht besser, ob links oder rechts.
Förderung von Pluralität in den Grenzen des Rechtsstaates
Müller: Wertfrei wollen wir das vielleicht jetzt erst mal diskutieren. - Das macht es nicht besser. Das ist wohl auch Konsens, jedenfalls in der Mehrheitsgemeinschaft. Die Frage ist, wenn wir von der AfD einmal weggehen, von den Politikern, und gehen auf die AfD-Wähler. Vielleicht da auch noch mal die Frage der Ausgrenzung, die These der Ausgrenzung: Wenn in Ostdeutschland immer mehr Menschen die AfD wählen - Görlitz ist ein Beispiel; die Umfragen, das ist noch kein Wahlergebnis, klar, in den ostdeutschen Bundesländern, Sachsen beispielsweise, auch Sachsen-Anhalt, Thüringen und so weiter, deuten auf einen sehr, sehr hohen Anteil hin, dass die AfD dort Zuspruch gewinnt und auch bei den Wahlen hohe Prozentzahlen erreicht. Wie problematisch ist das, auch diesen Wählern zu sagen, ihr seid nicht mit dabei?
Dabrock: Ich glaube, da muss man ganz klar unterscheiden. Der Kirchentag hat alle Menschen eingeladen, an dem Kirchentag teilzunehmen, und der Kirchentag ist ja ein Forum, ich würde sogar sagen ein Fest der Zivilgesellschaft, einer am Gemeinwohl orientierten Zivilgesellschaft - und zwar nicht nur des Glaubens, sondern, wenn Sie auf den Markt der Möglichkeiten gehen, wirklich aller gesellschaftlichen Gruppierungen. Dort können überall Menschen sich einbringen und es gibt auch Foren, in denen auch ganz bewusst mit rechtskonservativen Kreisen debattiert wird. Es gibt ein Barcamp, heißt das. Das heißt: "Das soll doch noch gesagt werden dürfen." Dort werden tatsächlich auch mit Mitgliedern der AfD Gespräche geführt.
Müller: Soviel Toleranz ist da?
Dabrock: Da ich ja nicht zu der Programmkommission gehöre – das ist der Grundgedanke des Kirchentages, ein Gesprächsforum zu bieten, das aber auch Pluralität in den Grenzen des demokratischen Rechtsstaates fördern soll und das auch geprägt sein soll von Inklusion, von Solidarität mit Schwachen und einer Offenheit auf die anderen und einer Problemlösungsorientierung hin für die Gesamtgesellschaft. So verstehe ich den Kirchentag und empfinde ihn von daher auch immer wirklich als ein ganz großes Signal, wenn nicht Fanal dafür, dass wir in der Gesellschaft nicht immer nur klagen müssen, sondern dass sehr, sehr viele Menschen bereit sind, sich zu engagieren.
"Duldungstoleranz ist die schwierigste Form der Missachtung"
Müller: Herr Dabrock, ich muss da bitte noch mal einhaken. Ich hatte gerade dazwischengefunkt und gesagt, soviel Toleranz ist dann doch da. Joachim Gauck, der gerade jetzt in dieser Situation - das passt ja im Grunde ganz gut zum Evangelischen Kirchentag - gesagt hat, mehr Toleranz gegenüber Rechts, mehr Toleranz gegenüber schwer konservativ, wie auch immer. Man muss unterscheiden zwischen diesen Strömungen und extremistischeren radikaleren Strömungen. Was antworten Sie ihm?
Dabrock: Ich sehe in der Tat - und ich gebe auch zu, mich verstört das – in Deutschland auch so viele Jahre nach dem Mauerfall offensichtlich noch immer deutliche Unterschiede in der Gesamttendenz der Mentalitäten. Aber ich glaube, dass wir uns auch wahrnehmen müssen, dass diese Unterschiedlichkeit nicht die einzige ist. Sondern wir haben natürlich auch gesellschaftliche Spannungen und Spaltungen zwischen Alt und Jung, und ich glaube, das was ich gerade mit Blick auf Klimapolitik und Nationalismus gesagt habe, spiegelt das wieder. Wir haben eine zwischen Arm und Reich, wir haben vor allen Dingen eine zwischen Stadt und Land, und ich glaube, da müssen wir tatsächlich schauen, dass wir hier nicht nur kulturell aufeinander zugehen, sondern dass wir auch Strukturen schaffen, die es deutlich machen, dass die anderen Bereiche gestärkt werden, zum Beispiel Ausbau der Infrastruktur, und ich sage nur Digitalisierung bis hin zur letzten Milchkanne.
Müller: Herr Dabrock, wir haben nur noch eine halbe Minute. Sagen Sie ein Wort zu Joachim Gauck.
Dabrock: Joachim Gauck war für Deutschland meines Erachtens ein Geschenk, weil er dem Amt des Bundespräsidenten, das wir meines Erachtens unbedingt brauchen, …
Müller: Und seine Toleranzthese jetzt?
Dabrock: Und seine Toleranzthese? – Ich habe Schwierigkeiten mit dem Begriff der Toleranz, wenn er den Eindruck einer Duldungstoleranz hat. Da wurde schon, ich glaube, von Goethe gesagt, dass das die schwierigste Form der Missachtung ist. Ich möchte die Auseinandersetzung, ich möchte Respekt und ich möchte Anerkennung. Das sind für mich die Worte, die mich prägen. Aber Anerkennung gelingt nur, wenn man auch die Bedingungen schafft, dass Menschen sich wechselseitig anerkennen können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.