Sarah Zerback: Wenn sich die AfD auf Parteitagen trifft, dann gehört immer auch ein gewisses Überraschungspotenzial mit dazu. Immer mit dabei sind allerdings auch die Proteste rund um den Tagungsort. Und so hat auch der Bundesparteitag heute in Hannover unter dem Schutz von mehreren Hundertschaften der Polizei begonnen. Und in die Analyse gehen können wir jetzt mit Everhard Holtmann, Politikwissenschaftler an der Uni Halle-Wittenberg. Guten Tag, Herr Holtmann!
Everhard Holtmann: Guten Tag, Frau Zerback!
"Vorstandswahlen noch völlig offen"
Zerback: Alexander Gauland haben wir vor dem Parteitag über den Parteitag sagen hören, man müsse jetzt dann mal sehen, wie die Partei tickt. Wie tickt sie denn, Herr Holtmann?
Holtmann: Ja, das ist die Frage, auch für die außenstehenden, nicht unkundigen Beobachter. Der Parteitag hat offensichtlich im Unterschied oder im Vergleich mit den anderen zum Teil ja als Altparteien abqualifizierten Parteien eine Besonderheit, dass das unkalkulierbare Überraschungsmoment beispielsweise bei den anstehenden Vorstandswahlen vergleichsweise groß ist. Das hängt auch damit zusammen, dass die AfD als eine vergleichsweise junge, vor Kurzem erst gegründete Partei offenbar noch nicht in der Lage ist, zwischen unterschiedlichen Parteiflügeln und auch unterschiedlichen Landesverbänden belastbare Absprachen zustande zu bringen, möglicherweise auch deshalb, weil man das als Markenzeichen der verfehlten Altparteien sieht, Stichwort Kungelei. Aber auf der anderen Seite, es ist schlicht notwendig und auch im Sinne der Berechenbarkeit geboten, dass man sich im Hinblick auf Vorstandswahlen, die ja nicht nur die äußere Visitenkarte der Partei in einem personellen Sinne darstellen, sondern auch immer für richtungspolitische Profilierungen stehen, da auch entsprechend verlässlich aufstellen kann. Und das ist ja derzeit noch völlig offen.
"Gauland ist die Gallionsfigur der Partei"
Zerback: Also offen auch, wie dieser Machtkampf zwischen national-konservativ und liberal-konservativ ausgehen wird. Das könnte ja ein Machtkampf auch werden, Jörg Meuthen ist gesetzt, haben wir gerade gehört, relativ zumindest, aber es könnte tatsächlich Georg Pazderski noch Gefahr für eine Wahl in den Bundesvorstand drohen, an die Bundesspitze, durch Alexander Gauland. Wie schätzen Sie das ein, plant er eine Kampfkandidatur?
Holtmann: Wenn Gauland sich tatsächlich dazu entschließen sollte, gegen Pazderski anzutreten – wobei wir, wenn ich das richtig sehe, noch nicht genau wissen, gegen Pazderski eigentlich antreten wird, ob er es beispielsweise für möglich oder auch machbar hält, bereits gegen Meuthen den Hut in den Ring zu werfen –, wenn Alexander Gauland tatsächlich antreten sollte, dann dürfte Pazderski wahrscheinlich relativ wenige Chancen haben, weil Gauland ja doch die Gallionsfigur der Partei ist, weil es ihm auch bisher gelungen ist, die Partei in ihren unterschiedlichen Strömungen und Flügeln nach außen hin jedenfalls zusammenzuhalten, und weil er auch über ein entsprechend professionelles Know-how im Umgang mit solchen unklaren Lagen verfügt.
Zerback: Würde ja heißen: Die Partei rückt noch ein Stückchen weiter nach rechts.
"Hoffähig für die Stimmabgabe auf dem rechten Flügel"
Holtmann: Ja, das wäre wohl die Konsequenz, denn Alexander Gauland hat ja durch mehrfach wiederholte Äußerungen, auch solche, die er nicht als sagen wir mal spontan dahergesagt kennzeichnen lassen kann und will, seine Nähe zu rechtskonservativen, nationalvölkischen Positionen bekundet, beispielsweise in einem Interview nach den Bundestagswahlen. Für ihn ist Auschwitz sozusagen eine historisch bereits abgehandelte, nicht mehr die Gegenwart betreffende gar bewegendes Ereignis in der deutschen Politik. Also im Grunde genommen, das rückt ihn nach meiner Einschätzung ein wenig in die Nähe von berüchtigten Äußerungen Höckes in der Dresdner Rede, er eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad gefordert hat. Solche Dinge machen ihn hoffähig für die Stimmabgabe auf dem rechten Flügel innerhalb der rechtspopulistischen AfD.
Zerback: Er selbst, also Alexander Gauland sagt allerdings – und zwar vor wenigen Tagen im "Tagesspiegel" –, er wisse gar nicht, was völkische und nationalistische Tendenzen sind. Da können Sie ihm also auf die Sprünge helfen, eben genau das, was Sie gerade zitiert haben.
Holtmann: Da wird man ihn nur an seine eigenen Äußerungen, die er ja auch in autorisierten Interviews dann gemacht hat – übrigens, wenn ich das richtig im Kopf habe, in demselben Interview, was Sie gerade noch mal angesprochen haben – erinnern dürfen.
Zerback: Und diesen Flügelkampf nun, kann den denn tatsächlich jemand in der Partei gewinnen oder wird es da immer eine Art Balance geben müssen, damit es die AfD nicht zerreißt?
Holtmann: Es wird mutmaßlich eine Art instabile Balance auch in Zukunft geben, denn es geht ja nicht nur um die Vorsitzenden, also um die führenden Repräsentanten in der erste Reihe, sondern es geht ja beispielsweise auch um die künftige Zusammensetzung des Bundesvorstandes, immerhin 13 Personen. Der rechtsnationale Flügel, der heißt ja dann auch in der eigenen Wahrnehmung oder im eigenen Verständnis Flügel, hat bereits gefordert, drei bis vier Personen seines Vertrauens dort unterzubringen. Also auch das dürfte ein Gradmesser sein, wie die Kräfteverhältnisse innerhalb der Bundespartei insgesamt tatsächlich sind.
"Die Bundestagsfraktion der AfD zeigt eine doch bemerkenswerte Geschlossenheit"
Zerback: Ja, zum rechten Flügel um Björn Höcke gibt es ja jetzt seit Kurzem, seit Oktober erst erstmals eine organisierte Konkurrenz innerhalb der Partei, die Alternative Mitte, die liberal-konservativ sich bezeichnet. Könnte das bedeuten, dass der AfD jetzt durch die Forderung eben dieser Alternativen Mitte, sich von rechts abzugrenzen, in der Konsequenz der AfD weitere Mitglieder davonlaufen? Was schätzen Sie?
Holtmann: Von außen betrachtet ist die Verankerung und auch die Einflussposition der Alternativen Mitte innerhalb der AfD offenbar begrenzt. Das zeigt sich auch daran, dass im Grunde genommen in der kontroversen Debatte, die teilöffentlich geführt wird, für mich erkennbar keine eigenen Positionen dieser Alternativen Mitte artikuliert werden, laut werden. Wenn es denn so kommen sollte, dass der rechtsnationale Flügel in der AfD in der Spitze gestärkt wird, dann ist nicht auszuschließen, dass der eine oder die andere diese Partei möglicherweise verlässt. Es könnte auch bedeuten, dass der eine oder die andere auch in der Bundestagsfraktion der AfD vielleicht sich anders orientiert, wenngleich dafür derzeit es eigentlich keine Anzeichen gibt. Die Bundestagsfraktion der AfD zeigt eine doch bemerkenswerte Geschlossenheit, was möglicherweise auch damit zusammenhängt, dass ja die Doppelspitze in der Fraktion zumindest vergleichsweise professionell agiert.
Zerback: Gleichzeitig haben wir in den letzten vier Jahren ja beobachtet, dass da auch an der Spitze verhältnismäßig viel Fluktuation war, also so viele Vorsitzende wie in allen anderen Bundestagsparteien zusammen gab es dort. Warum bleibt dort keiner? Und bleibt der Nächste, die Nächsten?
Holtmann: Ja, das hat sicherlich auch etwas mit den von den ausgetretenen Parteivorsitzenden vertretenen Grundpositionen zu tun. Wenn man sich mal das anschaut, von Lucke über Petry bis hin zur jetzigen Konstellation, so zeigt das, dass die Partei insgesamt, auch repräsentiert eben durch diese beiden, von ihren ursprünglichen Gründungsintentionen einer wirtschaftsliberalen, aus dieser Sicht heraus eurokritischen Partei sich doch vergleichsweise stark entfernt hat. Also der sogenannte wirtschaftsliberale Flügel, wobei das auch ein etwas unscharfes Kriterium ist, ist geschwächt worden; auf der anderen Seite, der rechtskonservative Flügel ist offensichtlich gestärkt worden, auch begünstigt durch den Aufwind der durchaus ja beachtlichen Wahlerfolge in den ostdeutschen Ländern.
Zerback: Bleibt abzuwarten, was der Bundesparteitag der AfD an diesem Wochenende ergibt, denn einen kleinen Überraschungsmoment müssen wir da immer miteinkalkulieren. Danke, Everhard Holtmann, Politikwissenschaftler an der Uni Halle-Wittenberg!
Holtmann: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.