Das Interview der Woche können Sie am Sonntag ab 11:05 Uhr an dieser Stelle nachhören.
Gleichwohl bekräftigte Gauland die Ablehnung seiner Partei gegen ein Einwanderungsgesetz. Mit den derzeitigen gesellschaftlichen Mehrheiten würde dabei nichts Gutes herauskommen. Er kritisierte Grüne, Linke, Kirchen und Gewerkschaften. Diese Kräfte würden es nicht bei der Behebung von Fachkräftemangel bewenden lassen, sondern wollten eine Masseneinwanderung aus fremden Kulturen unter der Überschrift "mehr Facharbeiter".
Gauland: Ohne Angela Merkel kein Chemnitz
Gauland führte die Vorfälle von Chemnitz auf die Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Merkel zurück. Er nannte es zielführend, dass der stellvertretende FDP-Chef Wolfgang Kubicki das ähnlich sehe. Gauland meinte, in Chemnitz sei ein Unschuldiger getötet worden durch zwei Menschen, die nicht in Deutschland sein dürften und ohne die Politik der Kanzlerin auch nicht hier wären.
Mit Blick auf die Proteste und Ausschreitungen in Chemnitz verwahrte sich Gauland gegen ein "Sachsen-Bashing". Die Tötung habe Emotionen hervorgerufen, weil die Täter mutmaßlich Asylbewerber seien. Darauf hätten sich besorgte Chemnitzer Bürger versammelt. Diese Versammlung sei von einigen Hooligans und Spinnern missbraucht worden. Die AfD sei gegen Selbstjustiz, aber für Selbstverteidigung.
"Europa muss als Festung behandelt werden"
Gauland distanzierte sich für seine Partei vom Zeigen des Hitlergrußes und genauso von der Veröffentlichung eines Haftbefehls im Internet. Beamte dürften keine kriminellen Akte begehen.
Gauland begrüßte Hilfe in den Herkunftsländern zur Bekämpfung der Fluchtursachen. Dies reiche aber nicht aus, auch weil viele der Staaten, zum Beispiel in Afrika, nicht gut regiert würden. Deshalb müssten auch Zäune gebaut werden, da habe der ungarische Regierungschef Viktor Orban recht. Gauland betonte, Europa müsse als Festung behandelt werden.
"Wir treiben die anderen Parteien vor uns her"
Vor den kommenden Landtagswahlen wollte sich Gauland zum Thema mögliche Koalitionen nicht festlegen. Als deutlich schwächerer Partner werde man aber in keine Regierung gehen. Im Übrigen müsse die AfD nicht regieren, um zu wirken. Gauland sagte, seine Partei bewirke viel, weil sie ununterbrochen auf dem Gaspedal stehe und die anderen vor sich hertreibe.
Gauland äußerte sich auch zur Finanzpolitik. Die Abschaffung des Solidaritätszuschlags sei überfällig. Das stehe aber mehr Investitionen zum Beispiel in Schulen und Polizei nicht im Wege, meinte er. Diese beiden Punkte könnten angesichts der Einnahmen des Staates als sowohl-als-auch gesehen werden, nicht als entweder-oder.
Volker Finthammer: Herr Gauland, eine Woche ist seit dem mutmaßlichen Mord in Chemnitz vergangen und noch immer wissen wir so gut wie nichts über den eigentlichen Tathergang. Aber das, was folgte, was da an bewussten Falschmeldungen und Aufrufen unterwegs war, steht trotz der Tragik der Ereignisse in keinem Verhältnis zur vorangegangenen Tat. Aber Sie und Frau Weidel haben den Umgang von Politik und Medien mit dem Thema als unanständig bezeichnet und als normal bezeichnet, dass die Menschen nach so einer Tat ausrasten. Ist das die Art, wie man als verantwortungsvoller Politiker mit solchen Vorgängen umgehen sollte?
Alexander Gauland:: Also, ich habe nur etwas formuliert, was einfach Tatsache ist. Diese Tötung, um es mal neutral auszudrücken, hat Emotionen hervorgerufen, Emotionen, die damit zu tun haben, dass es wahrscheinlich Asylbewerber waren. Ich weiß es auch nicht genau, aber jedenfalls wird gesagt ein Iraker und ein Syrer. Und damit kommt – das ist völlig klar – die gesamte Flüchtlingspolitik sozusagen auf den Tisch. Und an dieser Flüchtlingspolitik, wissen Sie, üben wir heftige Kritik, weil wir genau das, was da immer wieder passiert, vorausgesagt haben. Aber ich lerne ja, wir sind nicht die Einzigen. Auch Herr Kubicki sagt, an dem, was in Chemnitz geschehen ist, ist Frau Merkel mit schuldig. Und ich weiß, er hat enorme Kritik dafür erfahren, aber jedenfalls ist es von einer Partei, die nun der AfD nicht nahesteht. Ich glaube, was völlig falsch ist, ist dieses ewige Sachsen-Bashing, was Sie ja auch ununterbrochen in den Medien finden, dass die Sachsen als Hinterwäldler und Dunkeldeutsche verunglimpft werden. Und wir haben nur formuliert, was ganz normal ist, was in Freiburg und Wiesbaden und Kandel ebenso war, nämlich eine Empörung.
"Kein Aufruf zur Selbstjustiz, sondern zur Selbstverteidigung"
Finthammer: Aber die, die den Hitlergruß gezeigt haben, waren weniger die Sachsen, sondern oftmals angereiste Neonazis, die aus der ganzen Bundesrepublik dorthin gekommen sind. Und, weil Sie den FDP-Mann Kubicki schon angesprochen haben, es gibt da schon noch einen kleinen Unterschied. Es war ein Mitglied Ihrer Fraktion, der Abgeordnete Markus Frohnmaier, der gleich am ersten Tag in den sozialen Medien schrieb, es sei Bürgerpflicht, die todbringende Messermigration zu stoppen. Also, dann doch ein indirekter Aufruf zur Selbstjustiz. Ich habe aus der AfD nicht eine Stimme gehört, die gesagt hätte, das geht nicht, das untergräbt den Rechtsstaat, wenn wir selbst zu so etwas aufrufen.
Gauland: Also, Markus Frohnmaier hat sich selbst dazu geäußert, zu der Formulierung. Und er hat klar gesagt, das war kein Aufruf zur Selbstjustiz, sondern zur Selbstverteidigung. Und dabei muss es auch bleiben. Ich sehe nicht so ganz, weshalb wir über die Tötung kaum reden. Am Anfang haben wir kaum geredet. Aber die Tatsache, dass – das will ich gern zugeben – Hooligans, Rechtsradikale sich auf eine Demonstration oder eine Versammlung besorgter Chemnitzer Bürger gesetzt haben und die auch missbraucht haben, das will ich ja auch gar nicht bestreiten, warum das sozusagen das wichtigere Thema ist. Nein, das wichtigere Thema ist der Tod eines Unschuldigen durch zwei Menschen, die nicht hier sein dürften und die nicht hier wären, hätte es Frau Merkels Flüchtlingspolitik nicht gegeben. Und …
"Wir treten für den Rechtsstaat ein"
Finthammer: Aber der Tod der muss doch aufgeklärt werden. Da wissen wir so gut wie nichts über die Umstände, wie es dazu kam.
Gauland: Da haben Sie völlig recht.
Finthammer: Aber den Aufruf – der blieb ja nicht ohne Folgen. Es war in dieser Woche ein Dresdner Justizbeamter, der inzwischen ja suspendiert wurde, der ist dem gefolgt und hat den Haftbefehl für einen der mutmaßlichen Täter im Netz veröffentlicht, weil er sich damit im Recht sah. Also hat der Aufruf Ihres Parteimitglieds Frohnmaier doch gewirkt.
Gauland: Nein, das kann man nun nicht zusammenbinden. Das geht überhaupt nicht, dass ein Beamter seine Beamtenpflichten verletzt und einen kriminellen Akt begeht. Das hat mit dem Aufruf von Herrn Frohnmaier auch wirklich nichts zu tun. Das hat er weder gemeint, noch kann man das zusammenbinden. Natürlich treten wir ganz klar für den Rechtsstaat ein und es geht nicht, dass Justizangestellte sozusagen nach Gusto Haftbefehle ins Internet stellen. Das ist eine wirklich völlig andere … ein anderes Paar Schuhe. Das hat nichts mit dem Aufruf von Herrn Frohnmaier zu tun.
"Ruhigen Protest besorgter Bürger nicht delegitimierten"
Finthammer: Sie versuchen das immer gerne wieder zu relativieren. Das ist mir bekannt. Aber man hat trotzdem bei all diesen Aufrufen oder bei der ganzen Entwicklung in dieser Woche den Eindruck, die AfD sucht mit allen Mitteln immer wieder nach neuen Grenzüberschreitungen am äußersten rechten Rand auch zu fischen und auch den harten Kern der NPD, der dort ja vertreten war, ins Boot zu ziehen, und dass aus diesem Grund ganz bewusst zu wenig Grenzen gezogen werden. Mit hat der Appell in dieser Woche von der AfD gefehlt, dass das, was da aus der eigenen Partei passiert ist, so nicht geht.
Gauland: Herr Finthammer, das ist völlig falsch. Also, wir haben uns klar dazu geäußert, dass wir für den Rechtsstaat eintreten, dass wir Gewalt für völlig verfehlt halten, dass Leute, die den Hitlergruß zeigen, mit uns nichts zu tun haben. Das haben wir ganz klar gesagt. Aber noch mal, ich bin nicht bereit, die Tatsache, dass ein paar rechtsradikale Schreihälse oder Hooligans eine Demonstration instrumentalisieren, jetzt sozusagen dazu beizutragen, dass dieser völlig vernünftige und gute und ruhige Protest besorgter Dresdner Bürger nachträglich delegitimiert wird. Wir unterhalten uns nur über die paar Spinner, aber wir unterhalten uns nicht – oder nur sehr viel weniger – über die Ursachen für diese Entwicklung. Und da fand ich den Beitrag von Herrn Kubicki sehr zielführend.
Finthammer: Aber die beiden Baden-Württembergischen AfD-Abgeordneten Stefan Räpple und Hans Peter Stauch haben auf Twitter Fotos von sich bei den Protesten am vergangenen Montag in Chemnitz veröffentlicht und dazu geschrieben: "Falls ich später mal gefragt werden sollte, wo ich am 27. August 2018 war, als die Stimmung in Deutschland kippte, ja, ich war in Chemnitz dabei."
Gauland: Müssen Sie bitte Herrn Räpple fragen und Herrn Stauch – Herrn Räpple kenne ich, Herrn Stauch im Moment nicht –, was Sie in Chemnitz gemacht haben. Ich kann es Ihnen nicht sagen. Ich gehe nicht davon aus, dass AfD-Abgeordnete sich an Nazi-Protesten beteiligt haben, sondern, wenn sie da waren, dann haben sie sich an der Demonstration oder der Versammlung der Bürger beteiligt, die finden, das geht alles so nicht. Und, wenn Sie gesehen haben, wie die Menschen reagiert haben, die gefragt wurden am Rande der Veranstaltung mit Herrn Kretschmer, dann haben viele gesagt: "Wir wollen nicht in die rechte Ecke, wir gehören nicht in die rechte Ecke, aber uns hat ja bis jetzt keiner zugehört. Wir trauen uns nicht mehr nachts raus. Wir haben hier eine Situation, die wir so nicht akzeptieren und deswegen gehen wir auf die Straße." Und genau diese Haltung unterstützt natürlich die AfD.
Gauland: Asylsuchende nicht in den Arbeitsmarkt integrieren
Finthammer: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk, heute mit dem AfD-Partei- und Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland. Herr Gauland, bleiben wir bei der Flüchtlingspolitik, aber schauen wir auf eine andere Frage, den sogenannten "Spurwechsel". Was halten Sie von dem Vorstoß, gut integrierten Asylsuchenden eine Chance zur Einwanderung zu geben, sofern sie einen dauerhaften Arbeitsplatz vorweisen können?
Gauland: Das habe ich schon deutlich in dem Interview mit der Welt gesagt: Nichts! Weil es nur eine neue Möglichkeit ist, Menschen anzuziehen, illegal in dieses Land zu kommen und dann zu hoffen, dass über diesen Begriff "Spurwechsel", wenn sie eben kein Asyl bekommen, sie doch irgendwie hierbleiben können. Und genau diese Politik halten wir für völlig verfehlt. Nicht nur ich, sondern die gesamte AfD. Und deswegen halte ich den "Spurwechsel" von A bis Z für eine falsche Lösung für ein völlig anderes Problem.
Finthammer: Also, dann wären Sie auf der anderen Seite für ein klar definiertes Einwanderungsrecht, um die Probleme auf dem Arbeitsmarkt zu lösen? Da werden ja überall händeringend Menschen gesucht. Ich muss ja an die Pflege beispielsweise gar nicht denken.
Gauland: Ich bin deswegen nicht für ein Einwanderungsgesetz, weil bei den derzeitigen gesellschaftlichen Mehrheiten – leider – ich genau weiß, was passiert. Wenn wir ein Einwanderungsgesetz hätten, was sich wirklich genau darauf konzentriert, dass die Menschen kommen, die wir in unserer Gesellschaft brauchen können – Sie haben gerade die Pflege genannt –, dann wäre das keine schlechte Idee. Aber ich weiß doch aus dem, was wir bis jetzt erleben, dass die Haltung starker gesellschaftlicher Kräfte – also der Grünen, der Linken, der Kirchen, der Gewerkschaften – ist: Alle sollen hierher kommen und alle sollen bleiben. Und ich weiß doch genau, was passiert. Wenn dann jemand sozusagen eigentlich nicht hierher passt und wir sagen, nein, der darf nicht kommen, dann gibt es gesellschaftliche Kräfte, die sagen: "Doch, doch, und der wird auch hier Arbeit finden." Genau das wollen wir nicht. Und deswegen ist sowohl der "Spurwechsel" falsch. Wir sollten sehr viel mehr in die Ausbildung der eigenen Leute stecken. Es ist nicht möglich, diese Arbeitskräfteproblematik – die nun im Moment in Zeiten der Hochkonjunktur in der Tat da ist – durch Einwanderung zu lösen, zumal die Einwanderer, die kommen, über das Asylrecht, ja nun bestimmt nicht die sind, die wir als Arbeitskräfte brauchen. Das sind immer wieder die falschen. Und das erleben sie ja nun auch anhand der Vorfälle in Freiburg.
"Gegen Polen, Ungarn, Italiener haben wir ja nichts"
Finthammer: Aber unterliegen Sie da nicht einer Illusion, der Fachkräftezuwachs allein wäre durch die… nur durch die Zuwanderung zumindest aus den europäischen Nachbarländern ist der im Moment überhaupt aufrechtzuerhalten. Es gibt gar nicht genügend junge Deutsche in den vielen Bereichen, die sie dort beschäftigen könnten.
Gauland: Herr Finthammer, aus den Nachbarländern haben wir ja auch gar nichts dagegen. Das ist ja auch ganz normal. Wir haben Niederlassungsfreiheit innerhalb der EU. Dass junge Polen, Ungarn, Italiener ja auch immer kommen, dagegen hat ja niemand was. Wir haben nur etwas dagegen, dass Menschen aus einer völlig fremden Kultur mit völlig fremden Vorstellungen plötzlich da sind, und dass hier der Versuch gemacht wird, unsere Gesellschaft deswegen anzupassen an Entwicklungen – nennen wir das Entwicklungen, die aus dem Islam kommen, die wir nicht haben wollen. Und das ist natürlich etwas anderes. Und da ich nicht sicher bin, dass ein Einwanderungsgesetz wirklich hart und deutlich darauf Rücksicht nimmt, sind wir nicht dafür.
Finthammer: Also, Ihre Alternative wäre: gar kein Einwanderungsgesetz.
Gauland: Meine Alternative wäre, so viel wie möglich aus dem europäischen Umfeld Menschen Angebote zu machen und meine Alternative wäre, wenn überhaupt, dann ein Einwanderungsgesetz, das sich wirklich an die Regel hält. Es kommt auf unsere Gesellschaft an, wen wir wollen und nicht auf die Wünsche der anderen. Da das in Deutschland leider – so sehe ich das im Moment – nicht durchzusetzen ist, bin ich in der Tat gegen ein Einwanderungsgesetz.
"Wer kein Asyl bekommt, der muss abgeschoben werden"
Finthammer: Da sind Sie ja ganz nah bei Thilo Sarrazin, der in dieser Woche sein neues Buch vorgestellt hat und dessen "feindlicher Übernahme", aber das Bild geht doch am Ende nur auf, wenn wir uns nicht um Integration bemühen und die Menschen immer wieder als Fremde und Gastarbeiter behandeln. Aber es gibt viele Menschen, die versuchen sich zu integrieren, die einen guten Willen haben, den man ihnen nicht absprechen kann. Soll man die tatsächlich alle abschieben und nicht beispielsweise über eine Stichtagsregelung doch hierlassen, weil sie integrationswillig sind?
Gauland: Herr Finthammer, wir haben einen Rechtsstaat und wir haben ein Asylrecht. Und wer kein Asyl bekommt, weil er gar kein Asylrecht wahrnehmen kann, weil er gar nicht politisch verfolgt ist, der muss abgeschoben werden. Es kann doch nicht sein, dass Menschen hierherkommen und wie Frau Bundeskanzlerin zu sagen pflegt: "Nun sind sie mal da." Das ist die Abschaffung des Rechtsstaates. Und deswegen, ja, es müssen alle abgeschoben werden, deren Asylrecht nicht trägt, die hier im Grunde genommen nur ein anderes Leben suchen. Und es gibt ja Regeln schon der Zuwanderung. Es gibt ja Fachkräftezuwanderung. Das ist ja nicht so, als ob es da so gar keine Regeln gäbe. Aber jedenfalls eine Masseneinwanderung aus fremden Kulturen unter der Überschrift "Dann haben wir mehr Facharbeiter" halte ich für völlig verfehlt und halte ich auch für Unsinn.
"Die Zäune von Herrn Orbán sind durchaus richtig"
Finthammer: Müssen Sie in diesen Tagen nicht ausnahmsweise mal die Kanzlerin loben, die in Georgien war und in mehreren afrikanischen Ländern und sich dort jeweils für Rückführungsabkommen eingesetzt hat und dazu beitragen will, dass die Menschen eben dortbleiben und nicht nach Europa kommen? Die Bundeskanzlerin ist ja da im Moment eine der wenigen EU-Politiker, die das aktiv betreiben. Also, Hilfe vor Ort, anstatt, wie beispielsweise Viktor Orbán einfach nur Zäune zu bauen?
Gauland: Also, Hilfe vor Ort haben wir immer für richtig gehalten. Die große Frage bei dieser Hilfe vor Ort ist, ob das alles überhaupt funktioniert. Und da habe ich große Zweifel, denn fast alle afrikanischen Staaten sind leider in der Nähe von Failed States. Das ist nun mal so. Da können wir jetzt lange darüber diskutieren. Ich glaube nicht, dass nach zwei Generationen noch der Kolonialismus daran schuld ist. Aber Sie wissen, dass nur wenige afrikanische Staaten eine gute Regierung haben, und dass das Problem letztlich durch das, was die Kanzlerin da vertritt, nicht zu lösen ist, weil sie nicht die Regierungsfähigkeit dieser Staaten herstellen können, sondern sie müssen mit den Menschen leben, die vor Ort die Macht haben. Und das sind oft die, die nicht bereit sind, die sozialen Verhältnisse in ihrem Land zu verbessern. Das ist halt leider so.
Finthammer: Also, lieber Zäune bauen, anstatt aktiv vor Ort zu helfen, dass die Menschen dortbleiben?
Gauland: Das habe ich nicht gesagt. Aktiv helfen vor Ort, damit die Menschen dort bleiben ist richtig, aber Zäune bauen ist auch richtig, weil sie mit dem Ersteren im Grund genommen kein wirkliches Ergebnis herbeiführen oder erst in einer langen Zukunft, in einer Zukunft, bei der ich… das ist mir zu wenig. Die Zäune von Herrn Orbán sind durchaus richtig. Wir müssen Europa als Festung behandeln. Das ist leider so.
"Das Rentenkonzept der Großen Koalition ist ja auch keins"
Finthammer: Das Interview der Woche im Deutschlandfunk heute mit Alexander Gauland, dem Partei- und Fraktionsvorsitzenden der AfD. Herr Gauland, schauen wir mal auf andere Themen. Über Ihre relative Ratlosigkeit bei der Rente im ZDF-Sommerinterview ist ja viel gesprochen worden. In dieser Woche aber hat die Bundesregierung ihr Rentenkonzept bis zum Jahr 2025 verabschiedet, das bist dahin Sicherheit garantieren soll. Es gibt viele Reaktionen aus den anderen Parteien, auch aus der AfD, aber von dort habe ich kaum wirklich etwas vernommen. Hängt das damit zusammen, dass die Partei noch nicht weiß, was sie in der Rentenfrage will?
Gauland: Die Partei hat immer gesagt, dass sie im Jahre 2019 – das habe ich auch in diesem Sommerinterview gesagt – einen Rentenparteitag abhält. Ja, wir haben verschiedene Konzepte, verschiedene politische Positionen. Sie sehen ja an der Diskussion in der Regierung zwischen Herrn Scholz und Frau Nahles auf der einen Seite und Frau Merkel und Herrn Kauder auf der anderen Seite, dass die Rentenfrage nun nichts ist, wo Sie ausgerechnet der AfD vorwerfen können, dass sie keine Lösung hat. Denn das Rentenkonzept der Großen Koalition ist ja auch keins, auf die Zukunft gerichtet. Und, ja, es gibt bei uns unterschiedliche Auffassungen zu der Frage: Ist das Umlagesystem auf Dauer tragfähig oder muss man eine andere Säule dazustellen? Und da gibt es unterschiedliche Meinungen. Die müssen wir diskutieren. Die müssen wir sozusagen …
Finthammer: Sie haben sich ja schon gegen die Pläne von Ihrem Ko-Vorsitzenden Jörg Meuthen beispielsweise ausgesprochen, der das Umlagesystem abschaffen will. Wie wollen Sie denn Jörg Meuthen darauf vorbereiten, dass er mit seinen Ideen ins Leere laufen wird?
Gauland: Herr Finthammer, es geht nicht darum, dass man jemanden ins Leere laufen lässt, sondern wir müssen einen Kompromiss finden. Ich glaube nicht, dass das Umlagesystem zu ersetzen ist. Es ist allenfalls zu ergänzen. Die Schwäche des Umlagesystems hat Jörg Meuthen völlig richtig dargestellt. Und es gibt ja auch kluge Rentenpolitiker aus anderen Parteien, die die Problematik der Demographie sehen. Was trotzdem meine Meinung bleibt, dass das Umlagesystem nicht wirklich ersetzbar ist, sondern, dass man es allenfalls ergänzen kann und muss. Und da wird man über einiges bei uns reden müssen. Sie kennen die ganze Diskussion um die Frage, ob es eine Bürgerversicherung geben soll. Da hat Björn Höcke andere Vorstellungen als Jörg Meuthen. Das werden wir auf einem Parteitag diskutieren.
Finthammer: Aber so, wie ich Sie bislang verstanden habe, sympathisieren Sie viel stärker mit den Ideen des Flügels und den Vorschlägen von Björn Höcke, der ja einen Zuschlag nur für Deutsche in der Rente fordert. Widerspricht das eigentlich nicht dem Gleichheitsgebot? Und würden Sie damit nicht automatisch vor die Wand fahren?
Gauland: Das sehe ich nicht so. Das kommt ganz darauf an, wie Sie das konstruieren. Ich kann mir das vorstellen. Ich habe aber auch deutlich gesagt, auch da habe ich keine abgeschlossene Meinung, auch das muss man diskutieren. Und, wenn wir nach dem Parteitag ein in sich geschlossenes Konzept haben, dann ist das völlig in Ordnung.
"Natürlich sind wir für die Abschaffung des Soli"
Finthammer: Die hohen Überschüsse bei den Steuereinnahmen haben in dieser Woche wieder zu der Frage geführt, ob man den Solidaritätszuschlag schneller und vielleicht gleich ganz abschaffen sollte. Auch da habe ich von der AfD nicht wirklich etwas gehört. Sind Sie wie die FDP auch für eine schnelle Entlastung? Oder sollte man nicht zumindest Teile des Geldes dafür nutzen, um etwa die maroden Schulen im Land auf Vordermann zu bringen. Viele Eltern beispielsweise würden sich darüber viel mehr freuen als über die kleine Steuerersparnis.
Gauland: Also, sie sollten das eine tun und das andere nicht lassen. Ich sehe gar nicht bei dem vielen Geld, das der Staat plötzlich hat, dass es da Alternativen geben muss. Natürlich sind wir – das haben wir immer gesagt – für die Abschaffung des Soli, und zwar für die schnelle Entlastung. Ich habe den Soli immer für etwas gehalten, was längst so seine Berechtigung verloren hat. Er kommt mir vor wie die berühmte Sektsteuer, die noch immer für die Kaiserliche Flotte erhoben wird. Insofern, da bin ich bei der FDP. Das sollte man sehr schnell machen. Aber da der Staat im Moment sehr viel Geld einnimmt, ist die Frage, dass Schulen saniert werden, natürlich sozusagen keine des Entweder-oder, sondern des Sowohl-als-auch.
Finthammer: Aber sollte das nicht Priorität haben, beispielsweise, wenn wir an die Polizei in Sachsen denken, die über Jahre zurückgebaut wurde, weil kein öffentliches Geld da ist, wenn wir an die Schulen denken, wenn wir an die Verkehrswege denken? Es gäbe doch viel zu tun, um den Staat innerlich wieder auf Vordermann zu bringen.
Gauland: Bestreite ich gar nicht. Und, dass in Sachsen offensichtlich schwere Fehler gemacht worden sind beim Polizei-Abbau, ist auch etwas, was man natürlich erst jetzt durch diese Ereignisse in Chemnitz mitbekommen hat. Das ist völlig richtig. Aber noch mal, wenn so viel Geld eingeht, kann ich ja sozusagen die Entlastung durch eine Abschaffung des Soli auf der einen Seite natürlich machen und ich kann natürlich im Bereich der Kommunen und der Länder Geld für das ausgeben, was Sie zu Recht gerade angemahnt haben.
"Allzu rechtslastig sind wir nicht"
Finthammer: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk mit Alexander Gauland, dem Partei- und Fraktionsvorsitzenden der AfD. Herr Gauland, jetzt beginnt die heiße Phase der Landtagswahlen in Hessen und in Bayern. Freuen Sie sich schon darauf, dass die CSU in Bayern wegen der AfD allen Prognosen zu Folge nach die absolute Mehrheit verlieren wird?
Gauland: Herr Finthammer, was heißt "freuen Sie sich darauf"? Wir sind Konkurrenten und je stärker wir werden und je schwächer die CSU wird, umso mehr bin ich als Politiker der AfD gehalten, das gut und richtig zu finden. Ich freue mich nicht über besondere Wahlergebnisse. Ich wünsche mir ein sehr starkes Ergebnis der AfD und dann wird man sehen, was man damit anfängt.
Finthammer: Dabei ist ja gerade die CSU auch ein Beispiel dafür, wie es der AfD schon gelingt, die anderen Parteien vor sich her zu treiben. Wenn wir an die ganze innenpolitische Debatte denken, wenn die AfD nicht so rechtslastig wäre, könnte man doch fast mit dem Koalitionsgedanken spielen.
Gauland: Allzu rechtslastig sind wir nicht. Ich habe immer gesagt, dass wir in der Tat dadurch sehr viel bewirken, dass wir die anderen vor uns hertreiben. Und ich glaube, dass Herr Seehofer diesen Kampf nicht aufgenommen hätte mit dieser verfehlten Flüchtlingspolitik – so schwach die Ergebnisse bis jetzt sind –, wenn es uns nicht gäbe und wir ununterbrochen sozusagen auf dem Gaspedal stünden und sagen: Das reicht alles nicht. Insofern, ja, wir wirken. Wir müssen gar nicht in einer Regierung sein. Und Sie wissen, da ist die Haltung der Partei auch ziemlich einhellig. Nur, wenn wir ungefähr auf Augenhöhe agieren, haben wir eine Chance, unsere Positionen durchzusetzen. In eine Koalition als sehr viel schwächerer Koalitionspartner zu gehen, das habe ich immer für falsch gehalten, weil sie da von den anderen über den Tisch gezogen werden.
"Das würden unsere Wähler als Verrat ansehen"
Finthammer: Aber das Potenzial der AfD scheint nach allen Umfragen bei ungefähr 20 Prozent im Moment im Bundesdurchschnitt ausgereizt zu sein. Da stellt sich doch schon die Frage nach den Koalitionen oder wollen Sie tatsächlich in dieser Rolle immer Oppositionspartei bleiben?
Gauland: Also, im Moment sind wir Oppositionspartei. Bei den 20 Prozent – dieses Potenzial nennen Sie – ist ja die Frage, wie stark die anderen sind. Noch mal: Wenn die anderen sich zusammenschließen können und jeweils das, was wir politisch wollen, verhindern, hat eine Koalition keinen Zweck. Sie hat für unsere Wähler nur Sinn, wenn wir etwas durchsetzen können. Ich habe das mal eher symbolisch so formuliert: Sie können nicht den Menschen versprechen, dass die Grenzen gesichert werden und dann eine Koalitionsvereinbarung abschließen, dass die Hälfte der Grenzen gesichert wird. Das geht nicht und das würden unsere Wähler auch als Verrat ansehen. Und deswegen muss man sehr genau hinschauen und das kann man vor dem Wahlergebnis nicht abschließend beurteilen.
Finthammer: Das heißt aber doch, wenn ich das politisch weiterdenke, die AfD will letztlich kompromisslos bleiben?
Gauland: Das habe ich nicht gesagt. Ich habe ja deutlich gesagt, dass man mit einer … wenn man mit den anderen einigermaßen auf Augenhöhe agieren kann, dass man natürlich Kompromisse eingehen muss. Nur, Kompromisse sollten sie nicht zu früh eingehen und nicht, wenn sie das Gefühl kriegen, dass die anderen auch diese Kompromisse nicht erfüllen werden. Denken Sie an die … vor zwei Bundestagswahlen, die FDP und Westerwelle mit der Steuersenkung. Da hat man die FDP am langen Arm verhungern lassen und es ist nie zu einer Steuersenkung gekommen und die FDP ist am Ende aus dem Bundestag geflogen. Diesen Weg wird die AfD bestimmt nicht gehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.