
Mit 20,8 Prozent der Stimmen hat die AfD ihren Stimmenanteil im Vergleich zur vergangenen Bundestagswahl verdoppelt. Sie ist nun zweitstärkste Kraft hinter der Union. Union und AfD kommen zusammen auf 360 von insgesamt 630 Sitzen, eine komfortable Mehrheit. Doch CDU/CSU unter ihrem Kanzlerkandidaten Friedrich Merz schließen eine Zusammenarbeit mit der in Teilen rechtsextremen AfD aus. Welche Rolle wird sie in der Opposition spielen – auch ohne Sperrminorität?
Wie will die AfD die anderen Parteien unter Druck setzen?
Einerseits betont die AfD, dass sie an der Regierung beteiligt werden will, andererseits kündigt Co-Chefin Alice Weidel an, die anderen Parteien zu „jagen“. Sie zitiert damit Ex-Parteichef Alexander Gauland, der sich 2017 nach der Wahl ähnlich geäußert hatte.
Die Zeichen sind deutlich: Die AfD dürfte beständig Druck auf eine mögliche Große Koalition von Union und SPD machen, vor allem in der Asylpolitik. Die Strategie umschreibt die stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende Beatrix von Storch so: „Wir werden diese Dinge, die die CDU versprochen hat, auf den Tisch legen. Wir werden sie einbringen in den Deutschen Bundestag – und dann werden wir sehen, dass die CDU nur zustimmen müsste.“
Wie also will die Union ihre versprochene Verschärfung der Migrationspolitik umsetzen? Mit dem potentiellen Koalitionspartner SPD – und dann wohl auch mit nötigen Kompromissen? Merz hatte im Wahlkampf mehrfach betont, zu Kompromissen in der Migrationspolitik nicht mehr bereit zu sein. Die AfD wird hier beständig Angebote machen.
CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz verspricht aber: keine Zusammenarbeit mit der AfD. Ende Januar 2025 allerdings hatte er die Stimmen der AfD billigend in Kauf genommen - für seine Vorschläge zu einer Begrenzung der Migration. Die SPD hatte wie Grüne und Linke empört reagiert, sahen sie doch die Brandmauer zu der in Teilen rechtsextremen Partei eingerissen.
Fest scheint zu stehen: Sollte die kommende Bundesregierung vor allem bei diesem Thema scheitern, droht die AfD bei der nächsten Bundestagswahl noch stärker zu werden.
„Außenpolitik“ mithilfe des Weißen Hauses
Es zeichnet sich außerdem ab, dass die AfD ihre Kontakte zum Weißen Haus nutzen will, um eine Art „Neben-Außenpolitik“ zu betreiben. Im Wahlkampf hatten sich Elon Musk, Berater von US-Präsident Trump, und Vizepräsident JD Vance eindeutig für die AfD ausgesprochen.
Co-Parteichef Tino Chrupalla betonte nach der Wahl: „Wir sind ernstzunehmende Gesprächspartner, und genau das wird auch unsere weitere außenpolitische Zielsetzung sein, dass wir mit allen Ländern der Welt, auch in Europa, reden werden, auch Kanäle offenhalten.“
Was bedeutet es, dass die AfD keine Sperrminorität hat?
Von einer Sperrminorität - also einem Drittel der Stimmen – ist die AfD mit ihren 20,8 Prozent noch einiges entfernt. Damit kann sie nicht allein Vorhaben im Bundestag blockieren, wie zum Beispiel eine Änderung des Grundgesetzes. Zusammen mit der Linken aber kommt die AfD auf 216 der 630 Sitze und damit über ein Drittel. Die Linke steht zwar nicht im Verdacht, gemeinsame Sache mit der Rechtsaußenpartei zu machen. Allerdings lehnt sie bisher eine Lockerung der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse zugunsten höherer Verteidigungsausgaben ab.
Doch genau darum dürfte es bei einer neuen Bundesregierung gehen – angesichts wachsender Anforderungen vonseiten der NATO und infolge der Abwendung der Trump-Administration von Europa. Für eine Änderung der Schuldenbremse, ein Sondervermögen für die Bundeswehr bräuchte die potentielle Große Koalition also eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag. Ein Ja der Grünen würde dafür nicht ausreichen. Was heißen würde: Entweder müsste die AfD oder die Linke noch zustimmen. Auch hier steht die Union vor einem Dilemma, denn weder will sie mit der AfD zusammenarbeiten, noch mit der Linken.
Welche Posten beansprucht die AfD im Bundestag für sich?
Alles läuft darauf hinaus, dass die AfD wieder größte Oppositionspartei wird. Nach den deutlichen Zugewinnen beansprucht sie wichtige Leitungsposten für sich. AfD-Co-Chefin Alice Weidel sagte nach der Wahl, es müsse „Normalität im Bundestag“ einkehren. Ihre Partei müsse bekommen, was ihr nach Wählerstimmen zustehe. Zum Beispiel einen der Posten als Bundestagsvizepräsident.
In der vergangenen Legislaturperiode scheiterten die Kandidaten der AfD jeweils für dieses Amt – genauso wie für den Vorsitz von Ausschüssen. Die Partei hatte drei dieser Posten entsprechend ihrer Fraktionsgröße verlangt: für den Innenausschuss, den Ausschuss für Entwicklungszusammenarbeit und den Gesundheitsausschuss.
Die AfD war deshalb vor das Bundesverfassungsgericht gezogen. Dieses urteilte: Die Partei hat keinen Rechtsanspruch auf einen Ausschuss-Vorsitz. Die Geschäftsordnung des Bundestags sieht zwar vor, dass die Ausschuss-Vorsitze nach der Größe der Fraktionen vergeben werden. Aber das bedeute nicht, so die Richter, dass die Fraktionen den Vorsitzenden oder die Vorsitzende einfach bestimmen könnten.
Die AfD will auch in den parlamentarischen Kontrollausschuss. Als „absolut unterirdisch“ und eine „Frechheit“ bezeichnet es Alice Weidel, dass die AfD „seit sieben Jahren“ nicht in dieses Gremium gewählt werde. Es überwacht die Arbeit der Nachrichtendienste des Bundes. Mit einem Sitz dort hätte die Partei mehr Zugang zu vertraulichen Informationen.
Das Pikante: Laut Medienberichten arbeitet das Bundesamt für Verfassungsschutz an einer Neubewertung der AfD – und damit eventuell an einer Hochstufung der Gesamtpartei zu einer gesichert rechtsextremistischen Bestrebung. Bisher gilt die Bundes-AfD als Verdachtsfall.
Was bedeutet das starke Abschneiden der AfD in den ostdeutschen Bundesländern?
Die AfD dürfte vor allem in Ostdeutschland den Druck auf die CDU und deren Politik erhöhen: Die Wählerinnen und Wähler dort haben die AfD zur stärksten Kraft gemacht. In Thüringen kommt sie zum Beispiel auf 38,6 Prozent der Stimmen, in Sachsen auf 37,3 Prozent. Von 48 Wahlkreisen gewann die AfD 45 und konnte die CDU damit deutlich abhängen.
Der Co-Vorsitzende Tino Chrupalla leitet daraus indirekt eine Forderung ab: Rücktritte bei der CDU. Im Jahr 2017 habe der damalige sächsische Regierungschef Stanislaw Tillich entsprechend reagiert. Das müsse sich nun bei Michael Kretschmer, der in Dresden eine Minderheitsregierung führt, wiederholen.
Der frühere Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke), der in seinem Wahlkreis ein Direktmandat gewann, sieht durch die Zugewinne bei der AfD vor allem ein Problem bei der aus seiner Sicht dringend notwendigen Zuwanderung. Alle hätten im Wahlkampf nur noch über „kriminelle Ausländer“ geredet, und nicht über das Thema Migration „im wahrsten Sinne des Wortes, nämlich gelingende Zuwanderung und gelingende Migration“.
Thüringen brauche aber Migration: „Bei uns gehen 300.000 Menschen in Rente und nur 150.000 junge Leute sind da, die nachrücken können. Wir zerstören uns gerade unsere eigene Zukunft, indem wir alles reduzieren nur noch auf kriminelle Ausländer.“ Menschen anderer Herkunft würden aus Thüringen weggehen. Die Stärke der AfD hat damit Ramelow zufolge Konsequenzen für den Wirtschaftsstandort.