Christiane Kaess: Rechtsradikale in der AfD – immer wieder ist das ein Thema. Inwieweit grenzt sich die Alternative für Deutschland von Rechtsextremen ab? Gerade nach den Demonstrationen in Chemnitz, bei denen AfD-Politiker sich teilweise mit Neonazis zeigten, wurde diese Frage oft gestellt. Auch wird diskutiert, ob die Partei vom Verfassungsschutz beobachtet werden muss. Gestern nun hat der Bundesvorstand der AfD die Notbremse gezogen. Er hat erklärt, sich möglicherweise von der Jugendorganisation Junge Alternative zu trennen, wo es offenbar besonders viele mit rechtsextremer Gesinnung gibt. Der Parteikonvent soll einen Antrag auf Änderung der Parteisatzung prüfen, um eine mögliche Trennung vorzubereiten. Entscheiden müsste über diesen Schritt aber dann ein Bundesparteitag. Hintergrund sind dem Bundesvorstand zufolge menschenverachtende Einzeläußerungen von Mitgliedern der Jungen Alternative, die – so heißt es wörtlich – mit Abscheu zur Kenntnis genommen wurden.
Andreas Speit ist Journalist und Buchautor. Er gilt als einer der besten Kenner der rechtsextremen Szene in Deutschland und er ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Speit.
Andreas Speit: Einen schönen guten Morgen.
Kaess: Wie rechtsextrem ist die Junge Alternative?
Speit: Die Junge Alternative hat eigentlich von Anbeginn damit zu kämpfen, dass weit rechte Personen in führenden Positionen innerhalb des Jugendverbandes präsent sind und dort auch die Politik mitgestaltet haben.
Kaess: Können Sie Beispiele nennen, wie sich das äußert?
Speit: Das hat sich teilweise darin geäußert, dass wir erleben konnten, dass zu bestimmten Themenfeldern sich immer weit rechts positioniert wurde, dass es sogar Äußerungen gegeben hat, dass man die AfD nach rechts drücken müsste und dass das gerade die Rolle des Jugendverbandes sei. Das ist, glaube ich, auch der Hintergrund, warum in Baden-Württemberg, Bremen und Niedersachsen der Verfassungsschutz ja schon angefangen hat, den Jugendverband zu beobachten. Gerade in Baden-Württemberg muss man sagen, da konnten wir schon 2016 belegen, dass da ganz offensichtlich der Jugendverband von Rechtsextremen unterwandert war.
Kaess: Nun kennen wir ja viele Äußerungen von AfD-Politikern, die auch große Diskussionen ausgelöst haben. Aber was ist jetzt so eindeutig bei der Jungen Alternative oder bei bestimmten Mitgliedern, dass man sie wirklich als rechtsextrem einordnen kann?
Speit: Ja, ich wäre da auch sehr vorsichtig. Ich habe auch eher den Eindruck, dass das eine Reaktion auf die Debatte ist, inwieweit die Partei selber ins Visier des Verfassungsschutzes rücken könnte. Denn eigentlich gibt es aktuell gerade keinen großen Skandal. Alles, worauf sich bezogen wird, sind Vorfälle, die schon seit Jahren bekannt sind, oder in den letzten Monaten bekannt geworden sind. Hier scheint eher wirklich, wie Sie es auch gesagt haben, eine Notbremse gezogen zu werden, dass man Sorge hat, dass man vom Geheimdienst beobachtet werden könnte.
Kaess: Was für Vorfälle waren das? Können Sie uns da ein paar Beispiele nennen?
Speit: Da ging es beispielsweise darum, dass jemand vom 20. Juli(*), vom Widerstand, tatsächlich als Volksverräter bezeichnet worden ist. Dann ging es auch um gewaltverherrlichende Formulierungen, antisemitische Positionierungen, die es auch gegeben hat. Das zieht sich aber quer durch den ganzen Jugendverband.
"Die Junge Alternative hat schon selbst einmal die Notbremse gezogen"
Kaess: Sie sagen "quer durch den ganzen Jugendverband". Auf der anderen Seite haben Sie die beiden Bundesländer genannt, wo der Verfassungsschutz schon aktiv geworden ist. Man kann nicht sagen, dass die Junge Alternative bundesweit so einzuordnen ist?
Speit: Das ist wirklich schwer zu sagen. Die Junge Alternative hat nun gerade auch schon selbst einmal die Notbremse gezogen. Der Jugendverband in Niedersachsen ist aufgelöst worden, in Bremen interessanterweise nicht. Dort hieß es dann, da hätte man doch nicht so viele Belege für, dass die so weit rechts sind. Dabei können wir dort auch sagen, da ist die rechtsextreme Gruppe der Identitären Bewegung sehr stark involviert gewesen. Da merkt man die Spannung und auch die Spaltung innerhalb des Jugendverbandes und das spiegelt sich auch beispielsweise an Personen wieder. Der Bundessprecher, der die Pressearbeit beispielsweise für die Junge Alternative macht, betont explizit, dass sie jetzt Verfassungsfeinde rausdrücken möchten, ist da auch sehr stolz drauf, kommt aber selbst aus einer weit rechtsextremen Burschenschaft.
Kaess: Auf der anderen Seite sagt der AfD-Bundesvorstand in dieser Affäre um Rechtsradikale in der Jungen Alternative, man nehme das mit Abscheu zur Kenntnis, die teilweise menschenverachtenden Einzeläußerungen von Mitgliedern der Jungen Alternative, und er erwarte, dass sich die Junge Alternative unverzüglich von diesen Mitgliedern trennt. Wie glaubhaft ist das, dieser Aufruf zur Trennung?
Speit: Ich glaube, dass dieser Aufruf zur Trennung wirklich glaubhaft ist, weil es auch in der AfD selber diese Problematik der Spaltung gibt: Wie weit rechts positioniert man sich? Wie weit rechts lässt man dort was offen oder zieht eine Grenze? De facto ist aber auch in der AfD selber dieses Phänomen immer wieder selbst zu belegen. Ich glaube, der Fall Björn Höcke ist da wirklich bundesweit der bekannteste. Er gilt als weit, weit rechts, ein Parteiausschlussverfahren ist gescheitert, das konnte nicht durchgesetzt werden. Aktuell erleben wir auch unter anderem, dass sich der Landesverband in Brandenburg, Andreas Kalbitz beispielsweise, auch schon gegen einen Ausschluss des Jugendverbandes ausgesprochen hat und dort offensichtlich keine Probleme sieht, was ich, wenn ich das sagen darf, auch nicht ganz überraschend finde. Er ist selbst Gast gewesen eines Lagers der Heimattreuen Deutschen Jugend 2007, die dann später verboten worden ist, weil sie zu weit rechts war.
"An diesem Punkt könnte die AfD selbst in eine große Krise geraten"
Kaess: Sie haben den Fall Björn Höcke schon angesprochen. Da kommt ja die Frage: Würde diese Abgrenzung eventuell auch der AfD bei ihren Anhängern schaden? Denn man sieht das ja bei Parteimitgliedern wie Björn Höcke, dass man teilweise ganz bewusst eine Gratwanderung eingeht, um auch Rechtsaußen-Anhänger an die Partei zu binden.
Speit: Ja. Das weiß, glaube ich, die AfD auch ganz genau. Das ist auch einer der Gründe, warum eigentlich doch nicht so stark auf einen Ausschluss von Herrn Höcke hingearbeitet worden ist. Ich selbst habe das oft erleben dürfen auf Parteitagen. Wenn er kam, hat er Standing Ovations bekommen, und das drückt auch etwas in der Partei aus. Man merkt einfach, dass jetzt die Angst unglaublich stark innerhalb der Partei ist, sie könnten vom Verfassungsschutz beobachtet werden, und jetzt suchen sie nach Wegen, das zu verhindern. Aber man merkt auch, da ist die Partei selbst im Wesenskern so weit rechts in vielen Positionen und hat auch entsprechendes Personal, dass das wirklich eine Frage ist, inwieweit die AfD an diesem Punkt auch selbst in eine große Krise geraten könnte.
Kaess: Und eventuell sogar eine Spaltung. Das haben Sie auch gerade schon angedeutet. Ist das eventuell tatsächlich das Zukunftsszenario für die AfD, die Partei wird zerfallen?
Speit: Da wäre ich sehr vorsichtig. Wir haben das Beispiel der Republikaner. Da begann es tatsächlich so: Nach den ersten großen Wahlerfolgen hat es dann auch eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz gegeben. Das hat die Partei sehr belastet. Und da konnte man sehen, dass quasi ein Drittel der Kader sich weiter radikalisierte, ein anderes Drittel dann sehr zurückhaltend war und ein anderes Drittel sehr schnell die Partei verließ. Aber man muss sehr deutlich sagen: Die AfD hat hier eigentlich ein ganz anderes personelles Volumen mittlerweile, ist in allen Landtagen und im Bundestag. Dass sich die kritische Masse jetzt sofort an so einer Frage auflösen könnte, sich zerreiben könnte, das sehe ich nicht. Das wird wenn ein langfristiger Prozess, alleine schon, weil sie in allen Landtagen und im Bundestag sind.
Kaess: Warum ist die Sorge in der Partei so groß, vom Verfassungsschutz beobachtet zu werden? Man könnte ja auch sagen, Die Linke wurde auch mal vom Verfassungsschutz beobachtet, und es gibt ja auch diese These, fast so etwas wie ein Opfermythos könnte sich daraus entwickeln um die Partei, der ihr letztlich dann noch mehr Anhänger bescheren würde.
Speit: Zum Rechtspopulismus gehört immer, dass sie sich als Opfer verstehen. Sie sind immer in der Verteidigung und sie müssen irgendetwas retten. Das ist fast unabhängig davon, wie wir uns verhalten oder wie die Politik sich verhält oder wie die Journalisten darüber berichten. Die Sorge ist deswegen bei der AfD eine andere als bei der Linkspartei, wie Sie angedeutet haben – schlicht und einfach, weil hier die Sorge da ist, dass sie das gesellschaftliche mittelständische Milieu, Verwaltungspersonen, Behördenmitarbeiter, diese als Personen in der Partei verlieren könnten und auch letztlich als Wählerinnen und Wähler.
*Anmerkung der Redaktion: Im Live-Interview nannte Andreas Speit irrtümlich ein falsches Datum; gemeint war das Datum des Stauffenberg-Attentats am 20. Juli 1944. Auf seine Bitte hin haben wir die Abschrift korrigiert.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.