Im Umfeld der Thüringer AfD-Fraktion tauchte diese Woche eine Mail auf, die der heutige Partei-und Fraktionsvorsitzende, Björn Höcke, vor einem Jahr an einen Parteifreund geschrieben haben soll. In dieser Mail fordert Höcke im Namen der Meinungsfreiheit äußerst vehement die Abschaffung der Paragrafen 86 und 130 des Strafgesetzbuches. Volksverhetzung, der Aufruf zur Gewalt, die Verbreitung von Propagandamitteln verbotener Parteien, aber auch das Leugnen der Verbrechen des Nationalsozialismus wären dann straffrei. In der Höcke zugeschriebenen Mail heißt es wörtlich: "Wir brauchen keine Begriffstabuisierung, keine Antidiskriminierungsgesetze und keine politische Strafjustiz. Hinfort damit - und zwar schnell." Für den Historiker Volkhard Knigge, dem Direktor der Gedenkstätte-Buchenwald-Stiftung kommt diese Mail einem Outing Höckes gleich:
"Einem Outing, dass ihn als einen rechtsnationalistischen, völkischen Denker zeigt, der in einer langen Reihe derjenigen steht, die behauptet, dass es in der Demokratie der Bundesrepublik ein - wie auch immer - linksliberales, liberales Meinungsdiktat gibt, dass in bestimmter Weise vorschreibt, wie zum Beispiel über den Nationalsozialismus, über Auschwitz, über den Zweiten Weltkrieg und die Erinnerung daran zu reden sei."
Mit dem Argument der Meinungsfreiheit gegen die Paragrafen vorzugehen, die die deutsche Demokratie wehrhaft machen, enthülle Höckes antidemokratische Gesinnung, so Knigge. Die wütende Mail gegen die Strafbarkeit von Volksverhetzung und verfassungswidrige Propaganda jedenfalls rückt den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke in ein Licht, in dem er sich nicht oder nicht mehr sehen möchte. An die Mail kann er sich nicht erinnern.
"Das kann ich eben nicht genau sagen, ob sie von mir ist! Ich wollte es nachvollziehen, ich bin aber gescheitert an der nicht mehr vorhandenen Speicherkapazität meines Rechners, dass entsprechend zu recherchieren. Deswegen kann ich das nicht verifizieren."
In der ehemaligen Landesgeschäftsstelle jedoch weist man die Mail klar Höcke zu. Dem scheint sie auch, zumindest inhaltlich, nicht ganz fremd zu sein.
"Also, wir haben in der Partei sicher über die Grenzen von Meinungsfreiheit diskutiert. Und ich kann nicht ausschließen, dass wir mal diese Diskussion um diese von ihnen gerade genannten Paragrafen geführt haben. Aber die Diskussion kam dann auch relativ schnell zu einem Ende."
Amtsenthebungsverfahren steht noch im Raum
Weiter sagt Höcke, dass er die Paragrafen inzwischen auch respektiere und dass Deutschland mit seiner Vergangenheit eine besondere Verantwortung habe, für die auch er und die AfD einstünden. Völkisches Denken weist er empört von sich, ebenso Anschuldigungen ehemaliger AfD-Fraktionsmitglieder, die behaupten, Höcke sei ein Rechtsaußen, der "unter einer bürgerlichen Fassade NPD-Positionen unter das Volk bringen" möchte. Volkhard Knigge jedoch, der auch andere Äußerungen Höckes analysiert hat, bleibt skeptisch:
"Das Interessante an der Mail ist ja, dass sie nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war, und da redet man eher so, wie man wirklich denkt. Dass man dann taktische Rückzieher macht, gerade in dieser Zeit, wo die AfD sich selber zerlegt und wo sich der demokratisch-neoliberale Teil sich von diesem völkisch-rechten, im Prinzip antidemokratischen, in jedem Fall ethno-nationalistischen Teil distanziert, dass man da zurückrudert, das kann man alles verstehen, darauf hereinfallen sollte man da nicht. Man sollte hier weiter sehr genau und sehr kritisch hingucken."
Der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke bleibt also in ideologisch schwerem Fahrwasser. Das vom Bundesvorstand angestrengte Amtsenthebungsverfahren gegen ihn steht noch im Raum; für Parteichef Bernd Lucke hat sich Höcke nicht ausreichend von der NPD distanziert. Höcke selbst erwägt Klagen gegen ehemalige Fraktionsmitglieder, die behauptet hatten, er strebe einen "Führerstaat" und eine "NPD 2.0" an. Und er erwägt, auf dem Parteitag in zwei Wochen für den Bundesvorstand zu kandidieren. Vorher aber wollen sich die Unterzeichner der rechtskonservativen "Erfurter Resolution" auf dem Kyffhäuser treffen. Zum "Kennenlernen bei gutem Essen". Dass dies eine Woche vor dem entscheidenden Parteitag der AfD geschieht - "reiner Zufall" sagt Björn Höcke sehr ernst.