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AfD-Ko-Vorsitzender Tino Chrupalla
"Natürlich leben wir nicht in einer Diktatur"

Wie AfD-Parteichef Jörg Meuthen sieht auch der Ko-Bundesvorsitzende der AfD Tino Chrupalla keine Diktatur in Deutschland. Diese wolle man aber auch zukünftig verhindern, sagte er im Dlf. Er sei stolz auf die Oppositionsarbeit seiner Partei und warnte vor Pauschalisierung von Demonstranten.

Tino Chrupalla im Gespräch mit Sandra Schulz |
AfD-Co-Parteichef Tino Chrupalla am 30. November 2019 in Niedersachsen beim AfD-Parteitag
"Ich halte nichts davon, dass man sich von Organisationen, die eine große Unterstützung auch in der Mittelschicht haben, die für ihre Grund- und Freiheitsrechte auf die Straße gehen, distanziert", sagte Tino Chrupall (AfD) im Dlf (dpa / Sina Schuldt)
Tief zerstritten auf ihrem Präsenzparteitag in Kalkar wollte die AfD die Inhalte in den Vordergrund stellen. Nachdem die Partei am Samstag (28.11.2020) ihr Sozial- und Rentenkonzept mit großer Mehrheit beschlossen hatte, kam es dann aber zu einem heftigen Machtkampf auf offener Bühne. Auslöser war die Rede von Jörg Meuthen, einem der beiden Parteichefs, in der er unter anderem gemahnt hatte:
Jörg Meuthen: Ich frage mich, ist es wirklich klug, von einer Corona-Diktatur zu sprechen? Wir leben in keiner Diktatur, sonst könnten wir diesen Parteitag heute wohl auch kaum so abhalten. Und die Behauptung, es sei anders, stellt im Grunde die Systemfrage und bringt uns ohne jede Not in ein Fahrwasser, das uns massiv existenziell gefährdet und durch die darin liegende Maßlosigkeit bei vielen Menschen Kopfschütteln auslöst.
Er forderte Disziplin und Professionalität ein sowie Distanz von Querdenkern. Spalterisch nannte Alexander Gauland dann die Rede, von einem Fehler sprach der Thüringer Björn Höcke und es wurde eine hitzige Debatte geführt, in der es um die Frage ging, ob Meuthens "spalterisches Gebaren" durch den Parteitag zu missbilligen sei.
 Jörg Meuthen, Bundessprecher der AfD und Abgeordneter im Europaparlament, spricht, spricht am Rande einer mündlichen Verhandlung des AfD-Bundesschiedsgerichts zur Frage, ob der Brandenburger AfD-Fraktionsvorsitzende Kalbitz rechtmäßig Mitglied der Partei ist oder nicht, mit Journalisten.
AfD-Parteitag: Meuthen verspricht Einhaltung der Maskenpflicht
Während Gastronomiebetriebe schließen müssen und im Privaten Kontaktbeschränkungen gelten, hält die AfD ihren Parteitag als Präsenzveranstaltung mit etwa 600 Delegierten ab. AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen kündigte im Dlf an, seine Partei werde sich akribisch an das Hygienekonzept halten.
Sandra Schulz: Hat Jörg Meuthen recht mit seiner Kritik?
Tino Chrupalla: Zunächst muss man erst mal sagen, weil Sie im Eingangstext gesagt hatten, dass wir in der Kursfrage auch zerstritten seien, da muss ich widersprechen. Wir haben mit großer Mehrheit den Leitantrag zur Renten- und Sozialpolitik mit fast 89 Prozent verabschiedet, also wir haben eine sozialpolitische Komponente, die haben wir am Samstag gefüllt. Wir haben dort wie gesagt ein Rentenkonzept verabschiedet, was die Familien in den Mittelpunkt stellt, was die soziale Marktwirtschaft stärken soll und was vor allem auch die Rentner stärken soll, diejenigen, die in dieses System eingezahlt haben und die auch auskömmliche Renten bekommen sollen für ein hartes Leben in Arbeit.
Schulz: Das verstehe ich, dass Sie das loswerden wollen, aber noch mal die Erinnerung an meine Frage: Hat Jörg Meuthen mit seiner Kritik recht?
Chrupalla: Er hat in seiner Rede sicherlich einige Punkte angesprochen, die man diskutieren muss, die man aber, finde ich, in einigen Punkten aber auch intern erst mal diskutieren sollte und auch ansprechen sollte. Das habe ich auch in meinem Redebeitrag am Ende des Parteitages so ausgedrückt. Es war eine heftige Diskussion – wir sind eine lebendige Partei, das hat man gesehen, das ist auch gut so, bei uns laufen die Parteitage nicht so ab wie bei der CDU. Diese Diskussion war nötig, wir haben gesehen, dass über 50 Prozent das auch wollten. Von daher hat die Diskussion, die Aussprache hat uns eigentlich in der Weise auch weitergebracht. Ich sehe das positiv.
Schulz: Aber wenn er in Teilen recht hat, warum dann diese scharfe Kritik? Warum war es dann aus Sicht von Björn Höcke ein Fehler, warum spricht Alexander Gauland von spalterischem Gebaren, und noch on top die Frage: Warum hat er dann so wütende Reaktionen gestern auf dem Parteitag damit ausgelöst? Da hören wir jetzt noch mal rein:
O-Töne Parteitag: Professor Dr. Meuthen hat es sich gestern mit Hunderttausenden Corona-Maßnahmengegnern verdorben, aber ich sage, wir sind diejenigen, die diesen Menschen draußen eine Stimme geben. / Das Ganze hat Methode. Herr Dr. Meuthen, Ihre Zeit in der AfD ist vorbei! / Er hat schweren Schaden unserer Partei und diesem Parteitag zugefügt. Welche Motive haben ihn geleitet? Ich weiß es nicht. / Er kann und darf so nicht weitermachen, sonst ist das das Ende der AfD.
"Ich halte nichts davon, dass man sich pauschal distanziert"
Schulz: Was denken Sie, was ist das Erscheinungsbild einer Partei, die sich auf einem Parteitag, auf einem Parteitreffen zwei Stunden lang damit beschäftigt, ob ihr Vorsitzender missbilligt werden soll?
Chrupalla: Nun, Sie sehen wie gesagt die lebendige Diskussion daran, und ich will noch mal auf die Straßenbewegung, auch auf Querdenken zurückkommen: Ich halte nichts davon, dass man sich von Organisationen, die eine große Unterstützung auch in der Mittelschicht haben, auch in der Bürgerschaft haben, für Menschen, die auf die Straße gehen, die für ihre Grund- und Freiheitsrechte auf die Straße gehen, dass man sich pauschal distanziert. Das haben diese Bürger auch zum Ausdruck gebracht. Wir sind zum Teil auf Straßenbewegungen, da sind wir auch [unverständliches Wort, Anm. d. Red.] grad in Ostdeutschland, und da sollte man sich wirklich nicht mit diesen Meinungen so auseinandersetzen, dass man das pauschal kritisiert. Das mach ich nicht und das tu ich nicht und das haben auch viele Parteimitglieder so gesehen.
Berlin, Bundestag Deutschland, Berlin - 28.09.2020: Im Bild ist das Reichstagsgebäude zu sehen. Berlin Berlin Deutschland *** Berlin, Bundestag Germany, Berlin 28 09 2020 The picture shows the Reichstag building Berlin Berlin Germany
Protest gegen Corona-Maßnahmen
In Berlin wollen am Mittwoch sogenannte "Querdenker" gegen die Corona-Maßnahmen und das Infektionsschutzgesetz demonstrieren. Die Kundgebungen sollen im Regierungsviertel und am nahen Potsdamer Platz stattfinden – aber nicht zu nahe am Parlament.
Schulz: Und da stört Sie auch nicht - Sie sagen eine Verankerung in der bürgerlichen Mitte. Wir wissen aber auch, dass es jedes Mal, wenn es geknallt hat sozusagen bei diesen Querdenker-Demos, dann waren da bekannte Rechtsextreme dabei, NPD-Funktionäre waren dabei, Reichsbürger waren dabei, Reichsflaggen waren zu sehen. Es gibt ein Zitat, das nennt der MDR, von einem Querdenken-Anwalt, der sagt, wenn die NPD sich den Protesten anschließe, dann sei das ein Erfolg. Sie denken nicht, dass man sich da abgrenzen muss?
Chrupalla: Wissen Sie, genau das ist doch diese Pauschalisierung, die Sie jetzt gerade betreiben, vor allen Dingen dieses Schwarzweißdenken …
Schulz: Nein, das waren ganz konkrete Beispiele.
Chrupalla: Deswegen antworte ich Ihnen doch gerade darauf. Diese Pauschalisierung, die lehnen wir ab. Genau das ist die Pauschalisierung, die insgesamt auch die Bundesregierung macht bei allen Protesten, die ihnen nicht passt. Wenn Bürger auf die Straße gehen und für ihre Freiheits- und Grundrechte demonstrieren. Und wenn dort Leute natürlich mit auf die Straße gehen, die gegen Gesetz verstoßen, dann wird die Polizei das auch ahnden und auch die Justizbehörden, das ist doch ganz klar, und Gewalt lehnen wir generell ab. Aber eine Pauschalisierung, wer dort immer mitläuft oder wer irgendwo dabei ist, das lehne ich generell ab.
"Zum Teil werden Grund- und Freiheitsrechte ausgesetzt"
Schulz: Dann lassen Sie uns noch mal ohne Pauschalisierung ganz konkret darauf schauen, was Jörg Meuthen gestern gesagt hat. Er sagt: In einer Diktatur hätte ein Parteitag wohl gar nicht stattfinden dürfen. Leben wir in einer Corona-Diktatur, was denkt der AfD-Parteivorsitzende Tino Chrupalla über diese Frage?
Chrupalla: Natürlich leben wir nicht in einer Diktatur, da hat auch Jörg Meuthen völlig recht. Aber wir sehen doch gerade, was die Corona-Maßnahmen angeht, dass hier zum Teil Grund- und Freiheitsrechte ausgesetzt werden, die freie Bestimmung, ob man an Demonstrationen teilnehmen möchte, teilweise werden Grundrechte ausgesetzt, was die Wohnung angeht. Das sind Dinge, die hier sehr wohl mittlerweile gefährdend sind für die Demokratie, und das sehen viele Bürger so.
Schulz: Wenn es so selbstverständlich ist …
Chrupalla: Es gibt de facto, was die Corona-Maßnahmen angeht, Berufsverbote, wo Restaurants schließen müssen, die Hygienekonzepte vorgelegt haben, der Mittelstand wird vernachlässigt. Das sind doch Dinge, die die Bürger umtreibt, das kann man doch nicht einfach negieren und wegdrücken. Man sollte sich einfach auch mal damit auseinandersetzen, warum gehen die Bürger denn auf die Straße, warum demonstrieren sie, und nicht immer gleich sofort pauschalisiert sagen, das sind die, das sind die, das sind die.
Schulz: Herr Chrupalla …
33D-Modell des Coronavirus SARS-CoV2
Chrupalla: Genau dieses Schwarzweißdenken …
Schulz: Geben Sie mir die Chance, noch zu einer Rückfrage. Sie sagen jetzt ja, natürlich leben wir nicht in einer Corona-Diktatur, Jörg Meuthen ist aber genau für diese Kritik seinerseits scharf kritisiert worden, Alexander Gauland spricht von einer Corona-Diktatur, hat er auch im Bundestag gemacht, Sie haben da geklatscht – warum?
Chrupalla: Er hat das nicht verallgemeinert, auch Alexander Gauland hat das nicht verallgemeinert. Wir wollen darauf aufmerksam machen, dass wir nicht in eine Diktatur kommen, dass die Bundesregierung hier bei vielen Gesetzesvorhaben – das haben wir im Bundestag ja erlebt –, die durchgewunken wurden, ohne das Parlament miteinzubeziehen, dass hier jedes Maß verloren gegangen ist. Das haben wir kritisiert, und das werden wir auch in Zukunft tun, natürlich auch überspitzt. Das ist doch die Aufgabe einer Opposition, dies zu tun.
"Natürlich ist bei der AfD alles viel schlimmer"
Schulz: Aber Ihre Partei hat noch das Maß, wenn wir auch noch mal dran denken, was Jörg Meuthen anmahnt. Er sagt, wir brauchen Tugenden, Fleiß, Eigenverantwortung, Anstand, Ehrlichkeit, Respekt und auch Demut. Das ist das Erscheinungsbild der AfD, wenn wir denken an den Tag, an dem das Infektionsschutzgesetz im Bundestag beschlossen wurde, was es da für Szenen gegeben hat mit beleidigten und bedrängten Abgeordneten, von Menschen, die eben von AfD-Fraktionsmitgliedern in den Bundestag gelassen wurden.
Austritt aus der AfD - Zu viele Ausfälle und Grenzüberschreitungen
Er saß für die AfD in einer Berliner Bezirksverordnetenversammlung. Nun ist Clemens Torno aus der Partei ausgetreten, behält aber sein Mandat. Der Eklat im Bundestag, als AfD-Gäste Abgeordnete bedrohten, brachte das Fass für den 30-Jährigen zum Überlaufen.
Chrupalla: Ja, absolut, das haben wir kritisiert, dafür haben wir uns auch entschuldigt, für diese Dinge, aber man muss auch da sagen: In den Bundestag sind in den vergangenen Jahren etliche Personen hineingekommen, auch von anderen Fraktionen, die dort Störaktionen durchgeführt haben, was nicht so einen medialen Aufschrei erlebt hat. Natürlich ist bei der AfD alles viel schlimmer und viel gravierender, ist klar, dass die Medien sich gerne darauf stürzen und das natürlich auch in ihrer Wohlwolle ausschlachten wollen. Aber ich sage auch, die wirklichen Probleme, die werden natürlich dadurch gerne in den Hintergrund gerückt, und das ist das, was natürlich die Medien interessiert. Aber insgesamt werden wir weiterhin auch auf Missstände in diesem Land aufmerksam machen, das ist unsere Arbeit als Opposition, als Fraktion, als größte Fraktion der Opposition im Bundestag, und das werden wir auch in Zukunft tun.
"Ich bin stolz auf meine Partei"
Schulz: Dass es diese hitzige Debatte gegeben hat, das ist jetzt keine Erfindung von uns, das war gestern in Kalkar der Fall. Da sind tiefe Gräben erkennbar geworden. Wie wird diese Partei künftig zusammenarbeiten, wie werden diese Lager, die da so aufeinandergetroffen sind, künftig zusammenarbeiten?
Chrupalla: Das ist natürlich auch meine Aufgabe, die ich natürlich dort auch – wo ich mich einbringen werde, wo ich auch diese Lager natürlich zusammenbringen werde. Wie gesagt, im Endeffekt sehe ich viel Positives aus diesem Parteitag. Ich fange nicht mit dem Negativen an, sondern immer mit dem Positiven. Wir haben wie gesagt programmatisch einen riesigen Schritt nach vorne gemacht, wir haben Antworten geliefert, was die Sozialpolitik angeht, für nächstes Jahr für den Bundestagswahlkampf, der sehr intensiv sein wird und vor allem, der genau diese Probleme in der Sozial-, Renten-, aber auch gerade in der Mittelstandspolitik auch bringen wird, denn wir steuern ja wirklich auf riesige Probleme nach der Corona-Zeit hin, auch was die Konkurse angeht, was den Mittelstand angeht. Dafür haben wir Antworten geliefert und darauf bin ich sehr stolz, auf meine Partei und auch auf die Basis in der Partei.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.