Debatte nach Merz-Aussagen
Wenn mit der AfD Politik gemacht werden muss

Friedrich Merz hat mit seiner Aussage zur Zusammenarbeit mit der AfD auf kommunaler Ebene viel Kritik geerntet. Er beschreibe nur die Wirklichkeit, verteidigte der CDU-Chef sich. Ist eine Art Zusammenarbeit mit der AfD in manchen Kommunen schon Realität?

    Wahlplakate in der Sonneberger Innenstadt am Tag der Stichwahl des Landrats im Kreis Sonneberg. Der AfD-Landtagsabgeordnete Robert Sesselmann trat in der Stichwahl gegen Jürgen Köpper (CDU) an, 25.06.2023.
    Erster AfD-Landrat in Deutschland: Robert Sesselmann hat sich im Kreis Sonneberg in Thüringen gegen Jürgen Köpper von der CDU durchgesetzt, der von einem Parteienbündnis unterstützt wurde. (picture alliance / dpa / Martin Schutt)
    CDU-Parteichef Friedrich Merz sorgt mit seiner Aussage zur Zusammenarbeit mit der rechten AfD auf kommunaler Ebene für Aufregung. "Wenn ein Bürgermeister gewählt wird, der der AfD angehört, ist es selbstverständlich, dass man nach Wegen sucht, wie man dann in dieser Stadt weiter gemeinsam arbeiten kann", sagte er im ZDF-Sommerinterview. Mit diesen Sätzen löste Friedrich Merz quer durch die Parteienlandschaft Widerspruch und Empörung aus. Auch aus den eigenen Reihen hagelte es Kritik.
    Denn die CDU hat 2018 auf ihrem Bundesparteitag eine Kooperation mit der AfD, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wird, ausgeschlossen. In dem damaligen Beschluss heißt es: "Die CDU Deutschlands lehnt Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit sowohl mit der Linkspartei als auch mit der Alternative für Deutschland ab."
    Merz reagierte auf die Kritik und betonte in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa, die Beschlusslage von 2018 gelte nach wie vor. "Es wird auch auf kommunaler Ebene keine Zusammenarbeit der CDU mit der AfD geben", sagte der CDU-Chef.
    Von seiner umstrittenen Aussage im Sommerinterview wollte er trotz allem nicht abrücken. "Ich habe schlicht und ergreifend die Wirklichkeit beschrieben, dass nämlich in Sachsen-Anhalt ein Bürgermeister und in Thüringen ein Landrat gewählt worden ist von der Mehrheit der Bevölkerung. Und dass alle Parteien jetzt in dieser Stadt und in diesem Landkreis mit diesem Wahlergebnis umgehen müssen." Hat Friedrich Merz also das ausgesprochen, was längst Praxis auf kommunaler Ebene ist?

    Inhaltsverzeichnis

    Wo auf kommunaler Ebene zusammengearbeitet wird

    In Stadträten und Kreistagen kommt eine Zusammenarbeit mit der AfD durchaus vor. Beispielsweise in Sachsen. Dort hat der Politikwissenschaftler Steven Hummel zwischen 2019 und 2022 20 Fälle von Zusammenarbeit zwischen der AfD und demokratischen Parteien auf kommunaler Ebene recherchiert. Bis auf in zwei Fällen war immer die CDU mit beteiligt.
    „20 Fälle klingen auf den ersten Blick nicht so viel", sagt Hummel von der Linkspartei-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung. "Die Zahl ist aber gleichzeitig auch besorgniserregend, weil sie zeigt, dass es um ein Phänomen geht, das vorhanden ist und nicht kleingeredet werden kann."

    Sonneberg

    Im thüringischen Sonneberg wurde Robert Sesselmann zum ersten AfD-Landrat gewählt. Sein engster Mitarbeiter, der erste Beigeordnete, ist Jürgen Köpper (CDU). Er war auch der unterlegene Kandidat der CDU bei der Landratswahl im Juni.
    Nach der verlorenen Wahl sagte Köpper, er müsse als Christdemokrat zusammen mit dem Landrat der AfD das Beste für den Landkreis herausholen. Dafür seien beide gewählt worden. Ein Boykott des AfD-Landrats sei ihm als gewähltem Beamten unmöglich, und im Kreistag habe man als CDU schon bisher mit der AfD gemeinsame Beschlüsse gefasst. Anders sei das im Kommunalen gar nicht möglich. Robert Sesselmann (AfD) bestätigte, auf der Kreistagsebene laufe die Zusammenarbeit mit den Fraktionen ganz gut.
    Vor einem Jahr klang das noch anders. Eine Zusammenarbeit mit der AfD käme nicht infrage, sagte der für den Wahlkampf in Sonneberg angereiste Merz. Das wäre in dem Augenblick der Fall, "wo Gespräche geführt werden, wo Verabredung getroffen werden, wo gemeinsame Texte eingebracht werden, und das schließe ich unverändert aus. Das wird es nicht geben."

    Bautzen und Chemnitz

    Im sächsischen Bautzen sorgte die CDU-Kreistagsfraktion im Dezember 2022 für Schlagzeilen: Damals stimmte sie nahezu geschlossen für einen AfD-Antrag, der ausreisepflichtigen Asylbewerbern freiwillige Integrationsleistungen kürzen wollte.
    Das stieß zwar bei der CDU Sachsen auf scharfe Kritik. CDU-Landrat Udo Witschas schien davon jedoch weitgehend unbeeindruckt zu sein: Für ihn sei es grundsätzlich unerheblich, wer im Kreistag einen Antrag stelle, sagte er. In einer auf Facebook veröffentlichten Weihnachtsbotschaft sprach er sich insbesondere gegen die Unterbringung von Asylbewerbern in Turnhallen im sächsischen Hoyerswerda aus. Parteichef Friedrich Merz und der Parteivorstand distanzierten sich "mit Nachdruck von der Wortwahl des Bautzener Landrates", erklärte der damalige CDU-Generalsekretär Mario Czaja.
    Ähnliche Beispiele finden sich auch in anderen Kommunen: Im Stadtrat in Chemnitz haben beispielsweise Abgeordnete der CDU gemeinsam mit der FDP und AfD und der rechtsextremen Vereinigung Pro Chemnitz für eine neue Besetzung des Jugendhilfeausschusses gestimmt.

    Was Befürworter einer Kooperation auf kommunaler Ebene mit der AfD sagen

    Trotz reichlich Kritik an der Aussage von CDU-Parteichef Merz, begrüßten auch einige CDU-Politiker seine Aussage: zum Beispiel Michael Brychcy, langjähriger Bürgermeister der CDU in Waltershausen und Präsident des Thüringer Städtetages. "Jetzt erkennt man in Berlin auch, dass man miteinander reden muss", kommentierte er die Aussage des CDU-Parteichefs. Er habe kein Verständnis dafür, dass Merz jetzt "zurückrudert".
    Die strikte Absage an eine Kooperation mit der AfD löse in der täglichen Sacharbeit keine Probleme, betonte der Bürgermeister weiter. „Wenn wir immer wieder sagen, wir reden mit denen nicht, dann treiben wir noch mehr Wähler in die Arme der AfD, davon bin ich überzeugt." Natürlich gebe es eine Brandmauer gegen Extremisten der AfD, mit einem Björn Höcke werde er sich nicht an den Tisch setzen, so Brychzy. Doch in den Kommunalparlamenten funktionierte die Zusammenarbeit mit der AfD "doch schon lange".
    "Es funktioniert nicht, wenn man sagt, wir ignorieren die AfD, weil das auf Dauer einen großen Schaden anrichtet für die etablierten Parteien und Wählergemeinschaften", sagt auch der parteilose Bürgermeister von Rudolstadt in Südthüringen, Jörg Reichl. "Deswegen müssen wir auch mit der AfD reden."
    Steven Hummel von der Rosa-Luxemburg-Stiftung geht jedenfalls davon aus, dass sich "die Zusammenarbeit mit der AfD zuerst auf der kommunalen Ebene etablieren wird und dort eine Art Normalisierung stattfinden wird, und dass sie sich perspektivisch nach oben fortsetzen wird". Langfristig prognostiziert er sogar, dass es "vielleicht auch auf Landes- oder Bundesebene zu solchen Kooperationen" kommen könnte.
    Im Jahr 2024 stehen Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen an. Dann könnten einige CDU-Politiker, die schon heute die sogenannte Brandmauer gegen rechts ganz offen für nicht praktikabel halten, von der Kommunalpolitik in den Landtag wechseln wollen.

    Was Gegner einer Kooperation auf kommunaler Ebene mit der AfD befürchten

    Auch wenn Friedrich Merz eine Kooperation mit der AfD nochmals ausgeschlossen hat, befürchten viele, dass der Tabubruch nicht mehr eingefangen werden kann. Das könnte der Zusammenarbeit mit der AfD, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wird, den Weg ebnen. Für viele eine Gefahr für die Demokratie: "Ob Ortschaftsrat oder Bundestag, rechtsradikal bleibt rechtsradikal. Für Christdemokraten sind Rechtsradikale IMMER Feind!", twitterte beispielsweise die Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas (CDU).

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    Ähnlich äußerte sich die Bundesvorsitzende der Frauen-Union, Annette Widmann-Mauz (CDU) bezüglich der AfD. "Die Partei und ihre menschenverachtenden und demokratiefeindlichen Inhalte bleiben die gleichen, egal auf welcher Ebene", erklärte sie. Auch Kommunalpolitiker wie der Altenburger Oberbürgermeister André Neumann (CDU) schlossen eine Zusammenarbeit mit der AfD kategorisch aus: "Ich werde niemals mit einer Partei paktieren, die nationalsozialistisches Gedankengut offen verbreitet und in ihren Reihen rechtsextreme Strukturen duldet und nutzt", sagte er. "Werde ich dafür nicht mehr gewählt, dann ist das so. Ich möchte in den Spiegel schauen können."
    War Merz' Äußerung einfach missglückt oder der Tabubruch bewusst geplant? Die nachgeschobene Erklärung, er habe "schlicht und ergreifend die Wirklichkeit beschrieben", lässt Heribert Prantl von der "Süddeutschen Zeitung" jedenfalls nicht gelten. Schließlich habe Merz nicht gesagt, dass man mit der AfD "umgehen müsse", so Prantl. "Er sagte, dass man zusammenarbeiten soll und zusammenarbeiten muss auf lokaler Ebene, und das ist Kooperation." Das sei ein Hinausschleichen aus der Grundgarantie der CDU, es gebe keine Zusammenarbeit mit der AfD. "Zusammenarbeit ist für mich eine Art Vorstufe zur Koalition, ein Aushandeln von Dingen."
    "Natürlich könne das Kooperationsverbot nicht heißen, wenn die AfD sagt, wir bauen das Schwimmbad, dass die Gemeinde schon lange braucht, dass dann die CDU sagt: Wir brauchen das Schwimmbad nicht", sagte SZ-Journalist Heribert Prantl. "Natürlich wird sie dann mitstimmen. Aber man wird nicht verhandeln. Man wird nicht kooperieren."

    "Kommunalpolitik ist keine mindere Form von Politik"

    Was Prantl jedoch am meisten an der Äußerung von Merz stört: "Dass man so tut, als wäre die Kommunalpolitik eine mindere Form von Politik." Dabei sei die Kommunalpolitik vielmehr "die Schule der Demokratie". Das bedeute: "Wenn ich jetzt hier kooperiere, wenn ich gar irgendwann Koalitionen betreibe, dann wird das Schule machen. Dann wird die sogenannte Brandmauer, die klare Trennlinie zwischen der CDU und den demokratischen Parteien und dieser in Teilen neonazistischen AfD eingerissen."
    Ähnlich sieht es die Politikwissenschaftlerin Andrea Römmele von der Hertie School. Im Dlf-Interview sagte sie: "Kommunalwahlen sind genauso legitimiert wie Landtagswahlen oder Bundestagswahlen. Da darf man keine Unterscheidung machen."
    Merz dürfe weder in der Partei, noch in Bautzen, Sachsen oder Thüringen Gelüste auf kommunaler und auf Landesebene wecken, so Prantl. Er erwarte von Merz als Parteichef, "den Parteitagsbeschluss umzusetzen und gegebenenfalls den Parteikollegen in Bautzen und sonst wo klarzumachen: Leute, es geht nicht, wenn, dann müsst ihr bei bestimmte Maßnahmen eigene Anträge formulieren, die nicht die ausländerfeindlichen Agitationsanträge der AfD übernehmen."
    Prantl zeigt sich angesichts der Aussage des CDU-Vorsitzenden besorgt: "Man hat das Gefühl, das Sichere ist nicht mehr sicher, nämlich die Sicherheit, dass demokratische Parteien, solche Kooperationen nicht eingehen." Deswegen sei die Kernaussage im Parteiprogramm mit Parteibeschluss der CDU auch so wichtig. "Wir werden nie und nimmer eine Kooperation eingehen. Wenn da etwas bröselt oder auch nur der Anschein erweckt wird, es könnte bröseln, hilft es der AfD."

    dh, dpa