Im Mai hat der AfD-Bundesvorstand mit einer knappen Entscheidung den damaligen brandurgischen Landesschef Andreas Kalbitz aus der Partei geworfen. Grund waren seine mutmaßlichen Mitgliedschaften in der Neonazi-Organisation "Heimattreue Deutsche Jugend" und der Partei "Die Republikaner". Das Bundesschiedsgericht der Partei bestätigte diese Entscheidung, dagegen geht Kalbitz juristisch vor.
Zudem möchte Kalbitz trotz der Annullierung seiner Mitgliedschaft weiter Fraktionschef bleiben. Dies wäre möglich, weil die Fraktion in Brandenburg die Geschäftsordnung so geändert hat, dass eine Parteizugehörigkeit nicht mehr zwingend Voraussetzung ist.
In der AfD finde nun ein Machtkampf ohne absehbares Ende statt, sagte der Politikwissenschaftler Hajo Funke: "Es gibt gar keine Chance, nicht absehbar, nicht in den nächsten Monaten, dass einer der beiden Flügel, also der sogenannten Meuthen-Flügel oder sogenannte Flügel-Flügel, es drangeben und sich unterordnen. Ich sehe da überhaupt keine Chance, und Gauland als Vermittler war immer ein Vermittler nach ganz rechts."
Funke ist Professor für Politische Wissenschaft am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin und forscht seit vielen Jahren zu Rechtsextremismus und Rechtspopulismus.
Stefan Heinlein: Die Partei ist tief gespalten, so
die Einschätzung unseres Korrespondenten
. Herr Funke, wie wichtig ist der heutige Tag, die Kalbitz-Entscheidung in Potsdam, für die Bundespartei AfD?
Hajo Funke: Eine unter vielen. Es ist ein Machtkampf ohne absehbares Ende, und wenn Alexander Gauland davon spricht, dass er den Zerfall der Partei sieht, dann ist das genau das, was vor Monaten schon hat formuliert werden können.
Heinlein: Geht es in diesem Fall Kalbitz um personalpolitische Querelen, oder ist es vor allem auch nicht zuletzt ein inhaltlicher Machtkampf?
Funke: Es ist natürlich ein inhaltlicher Machtkampf. Der rechtsextreme Flügel, der weitgehend die Partei auf den letzten Parteitagen dominiert hat um Höcke und Kalbitz, wehrt sich gegen die Angriffe von Meuthen.
Meuthen hat noch vor einem Jahr hier in Oranienburg bei der Landtagswahl in Brandenburg davon gesprochen, dass Kalbitz zu loben sei und dass er ein harter Hund sei. Das war das Einzige an Differenz zwischen den beiden. Meuthen hat dann eine 180-Grad-Kehrtwende vollzogen und gesagt, jetzt bekämpfen wir genau den Flügel, mit dem er fünf Jahre zusammengearbeitet hat.
Das heißt, es ist ein taktischer Machtkampf – man nutzt eine Unklarheit beim Beginn der Mitgliedschaft von Kalbitz –, und es ist eben keiner um die weltanschauliche Ausrichtung. Das kommt jetzt ein Stück nachgezogen von Meuthen, er sagt, wir sind moderater und dergleichen, aber er hat eben auch gegen die "Kulturfremden", in Anführungsstrichen, den rassistischen Code der Partei gehetzt.
"Der Zauber ist entzaubert, und zwar durch Meuthen selbst"
Heinlein: Aber warum lässt sich Meuthen tatsächlich auf diesen, wie Sie sagen, taktischen Machtkampf mit den Flügelleuten ein? Warum versucht er nicht wie in der Vergangenheit das Bündnis mit dem rechtsextremen, mit dem völkischen Lager der Partei?
Funke: Das liegt daran, dass er schon seit Langem, wie ich weiß, versucht hat, die rechtsextremen Zuspitzungen, wie Sie das wohl formulieren würden, zu kappen.
Es gab schon die ein oder andere Entscheidung gegenüber der AfD Saarlands und gegenüber einer Person in Schleswig-Holstein, aber man hat sich nicht so recht getraut. Das lag auch daran, dass der Parteitag beziehungsweise dass Meuthen auch im letzten Parteitag von der de facto Mehrheit des Flügels abhängig war und nur seine knapp 70 Prozent bekommen hat.
Davon versucht er sich zu lösen in der Annahme, dass dann ein erneuter Wiederaufschwung der Partei erfolgen könnte dadurch, dass er sich moderater gibt. Das aber steht in den Sternen, denn im Westen war das auch eine Partei des je entschiedener und je radikaler, desto erfolgreicher. Dieser Zauber ist entzaubert, und zwar genau durch Meuthen selbst.
Heinlein: Wenn Sie auf die Kräfteverhältnisse innerhalb der AfD bundesweit gucken, schauen, wie sind die Kräfte verteilt, die Machtverhältnisse? Ist das letztendlich auch ein Kampf Ost gegen West?
Funke: Es ist auch ein Kampf Ost gegen West, aber wenn Sie nach Bayern gucken oder nach NRW, also in die westdeutschen Länderfraktionen, sehen Sie auch dort Minderheiten oder manchmal Mehrheiten, je nachdem, derer, die eher dem Höcke-Flügel zuneigen. Das heißt, die Mehrheitsverhältnisse sind unklar. Meuthen rechnet damit, dass auf einem Parteitag, was weiß ich, im September oder später, er eine Mehrheit bekommt.
Was ist dann damit gewonnen? Es ist ein weiterer Pyrrhussieg, weil die andere Seite, also sagen wir, die vor allem im Osten Dominierenden, sehr einflussreich bleiben und nicht gehen werden. Die Idee Meuthens, dass da eine Abspaltung passiere – und das wurde denen ja auch empfohlen –, die wird nicht kommen, weil jeder weiß von dem sehr starken Höcke-Flügel im Osten, wenn man sich abspaltet, ist man verloren.
"Was Meuthen versucht, ist, die Partei in der Mitte zu spalten"
Heinlein: Ich habe eingangs Alexander Gauland zitiert mit seinem "gärigen Haufen". Wenn Sie auf die Parteigeschichte schauen, ist es dann nicht normal, dass eine vergleichsweise junge Partei, wie es ja die AfD ist, inhaltlich noch kämpft mit sich selbst – denken Sie an die Frühzeit der Grünen, Realos gegen Fundis, oder auch an das Zusammengehen der ehemaligen SED, der PDS, heute zur Linkspartei.
Funke: Ja, Sie haben recht, und Gauland hat auch den Blick auf die Grünen gehabt, als er sagte, der gärige Haufen. Aber wie ich in meinem Buch jetzt formuliert habe, es ist eine Veränderung passiert, nämlich vom gärigen Haufen zur rechtsextremen Flügelpartei.
Das heißt, was Meuthen versucht, ist, die Partei in der Mitte zu spalten und nicht abzuspalten. Also es gibt gar keine Chance, nicht absehbar, nicht in den nächsten Monaten, dass einer der beiden Flügel, also der sogenannten Meuthen-Flügel oder sogenannte Flügel-Flügel, es drangeben und sich unterordnen.
Ich sehe da überhaupt keine Chance, und Gauland als Vermittler war immer ein Vermittler nach ganz rechts. Er hat die Hand über den Höcke-Flügel gehalten, über Höcke persönlich, ihn verteidigt bei unseligen Äußerungen zur 180 Grad geschichtspolitischen Wende, die Hand gehalten über Kalbitz – das ist sein Zögling –, die Hand gehalten über den Pegida-Flügel als natürlichen Verbündeten.
Das heißt, Gauland ist der wirkliche sozusagen Repräsentant des Flügels und hat für einen Teil der Öffentlichkeit offenbar wirksam gesagt, ich bin mit der Krawatte derjenige, der moderat ist und altersweise. Aber das ist nur eine Rolle, die nicht stimmt.
Heinlein: In diesem Zusammenhang, Alexander Gauland hat ja angedroht, die Partei zu verlassen und sich von der politischen Bühne zu verabschieden. Welche Folgen hätte das tatsächlich für die Partei, wenn er diese Drohung wahrmacht?
Funke: Die Folge, die in den Medien verbreitet war hinsichtlich der Vermittlungsfigur, Gauland zu zerstören und zu sagen, "das war’s für mich. Der Kampf gegen Merkel, den habe ich verloren. Ich wollte Merkel stürzen, deswegen bin ich aus der CDU gegangen. Ich wollte in der Flüchtlingspolitik anders agieren, deswegen hab ich auch die Rhetorik entfesselt" – insbesondere dort, wo er auf Höcke traf. Das ist vorbei. Deswegen ist es eine nicht nur resignative oder pessimistische Äußerung, die er in diesen Tagen getan hat, sondern eine depressive.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.