Mit dem Begriff Neue Rechte distanzieren sich die Vordenker dieser politischen Strömung vom Nationalsozialismus. Trotzdem bleibt die Erinnerung an den Terror des von den Nazis ausgerufenen „Dritten Reiches“, an die Verfolgung und Ermordung des europäischen Judentums und an den Zweiten Weltkrieg eine politische Belastung für die extreme Rechte, von der sie sich befreien will. Da sie die Vergangenheit nicht leugnen kann, argumentiert sie, dass die Erinnerung einer Entwicklung Deutschlands im Weg stehe – weg vom herrschenden „System“.
Kubitschek will die "Vorherrschaft" im "geistigen Bürgerkrieg"
"Die Vergiftung der Vergangenheit durch moralisierende Geschichtserzählung zählt zu den Grundsteinen unserer Republik", sagt der rechte Vordenker Götz Kubitschek. Er ist Mitgründer der Denkfabrik „Institut für Staatspolitik“, die lange als intellektuelles Zentrum der Neuen Rechten galt und von ihm dieses Jahr offiziell aufgelöst wurde.
Mit dem Verlag Antaios und der Zeitschrift „Sezession“ hat Kubitschek aber zwei weitere Wege gefunden, das Denken der Neuen Rechten breiter in den öffentlichen Diskurs einzubringen. Und der ist für ihn wichtig für den politischen Erfolg, wie Kubitschek in einem Editorial der „Sezession“ im Oktober 2023 schreibt:
In Deutschland tobt ein geistiger Bürgerkrieg. Es geht um die Vorherrschaft auf medialem, sprach- und geschichtspolitischem Feld, und die Heftigkeit der Abwehr gegen Neudeutungsvorstöße von rechts erlaubt die Bezeichnung „Krieg“.
Götz Kubitschek
Kubitschek gehörte früher auch zu den Autoren der Zeitung "Junge Freiheit", die für sich in Anspruch nimmt, nicht der Neuen Rechten anzugehören. Sie definiert sich als konservativ, wird allerdings von Beobachtern aus Politik und Wissenschaft als „Scharnier“ zwischen noch verfassungskonformem Nationalismus und Rechtsextremismus gesehen. Immer wieder werde im Feuilleton des Blattes Geschichtsrevisionismus betrieben, so die Düsseldorfer Kulturwissenschaftlerin Anke Hoffstadt.
Am eigenen Leib erlebt hat das zum Beispiel der Historiker Martin Cüppers, der eine Dissertation über die Waffen-SS verfasst hat. Der Autor und Historiker Stefan Scheil urteilte in der „Jungen Freiheit“ über die Arbeit, diese sei ein „Gemisch aus Tatsachen und Gerüchten“. Für Cüppers, inzwischen wissenschaftlicher Leiter der Forschungsstelle Ludwigsburg, ist das ein Versuch, das Narrativ von unschuldig schuldig gewordenen Deutschen weiterzutragen, das längst von der Forschung widerlegt sei. Rezensent Scheil ist mittlerweile politisch für die AfD aktiv und schreibt auch für „Sezession“.
Es geht um die "Normalisierung" der Vergangenheit
Wie Helmut Kellershohn vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung bestätigt, gibt es inzwischen viele persönliche Verbindungen zwischen AfD-Mitarbeitern, der "Jungen Freiheit" und dem ehemaligen "Institut für Staatspolitik". Benedikt Kaiser, ein früherer Mitarbeiter des Instituts und Autor der „Sezession“, ist zum Beispiel für einen Bundestagsabgeordneten der AfD tätig.
Allen gemeinsam: Sie arbeiten an der „Normalisierung“ der deutschen Vergangenheit. "Mit einer Nation, die sich selbst infrage stellt, so argumentiert man, lässt sich kein Blumentopf gewinnen", sagt Kellershohn.
In die gleiche Richtung der Verharmlosung und Normalisierung weisen Äußerungen von AfD-Politikern wie Alexander Gauland, der in einer Rede die Zeit von „Hitler und den Nazis“ als „Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“ bezeichnete.
Sein Parteifreund Maximilian Krah spricht in weit verbreiteten Clips auf TikTok vom sogenannten Schuldkult der Deutschen. Björn Höcke, AfD-Chef in Thüringen, griff die Erinnerungskultur 2017 direkt an: "Die Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk, das ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat", sagte er über das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas.
Erfolge bei der Diskursverschiebung
Höckes Satz wurde in der breiten Öffentlichkeit mit Empörung aufgenommen, und doch kann die Neue Rechte auch Erfolge im Sinne einer Diskursverschiebung verbuchen. Der Politikwissenschaftler Richard Gebhardt sieht sie zum Beispiel in einem Porträt, das die Wochenzeitung „Die Zeit“ kürzlich Benedikt Kaiser widmete.
Kaiser hatte die Gelegenheit, „mehr Mut zu Extremen“ zu fordern, und konnte seine Entwicklung vom Neonazi zum „Vordenker“ in eigenen Worten schildern. Für Gebhardt ein Indiz, dass die „führenden bürgerlichen Medien natürlich manchmal auch der Faszination für ihren Gegenstand derart erliegen, dass sie gar nicht mehr merken, dass sie längst schon als Diskursverstärker fungieren“.