Peter Sawicki: Seit dem vergangenen Herbst ist die AfD in allen großen Parlamenten der Bundesrepublik vertreten, im Bundestag und in sämtlichen Landtagen. In den ostdeutschen Bundesländern hatte die AfD schon davor hohe Ergebnisse zum Teil erzielt, und sie will das in diesem Jahr in Brandenburg, in Sachsen und in Thüringen noch einmal überbieten. Doch sie bekommt jetzt sozusagen unerwartete Konkurrenz, und gewissermaßen aus den eigenen Reihen, denn der bisherige Landeschef in Sachsen-Anhalt, André Poggenburg, ist nicht mehr AfD-Mitglied, und er will mit einer eigenen Partei im Landtagswahlkampf im Osten antreten. Über die möglichen Aussichten darauf können wir jetzt mit Professor Hans Vorländer sprechen, Politikwissenschaftler an der TU Dresden. Ich grüße Sie, Herr Vorländer!
Hans Vorländer: Guten Tag, Herr Sawicki!
Sawicki: Ein Ex-AfDler tritt dann also gewissermaßen gegen die AfD im Osten an. Kann die Konkurrenz aufatmen?
Vorländer: Ja, es wird zumindest so sein, dass sich einige der Stimmen, die an die AfD gehen könnten und werden, sich aufteilen auf unterschiedliche Gruppierungen. Wobei abzuwarten ist, ob Poggenburg mit seinem "Aufbruch deutscher Patrioten" eine wirkliche Konkurrenz zur AfD wirklich darstellt. Aber einige Stimmen gehen verloren, und in Sachsen war es auch schon so, dass Frauke Petry sich ja aus der AfD herausgelöst hat mit ihrer sogenannten Blauen Partei. Die Fragmentierung des rechten, rechtspopulistischen, rechtsextremen Lagers schreitet voran.
"Poggenburg macht es sehr geschickt"
Sawicki: Dann verstehe ich Sie richtig, das ist schon ein Problem für die AfD?
Vorländer: Es ist jetzt zunächst einmal ein Problem, und Poggenburg macht es ja auch sehr geschickt. Genau da, wo die AfD in Riesa zusammenkommt, um das Programm und die Liste für die Europawahl zu machen, da funkt er dazwischen und lenkt die Aufmerksamkeit auch von der AfD auf sich selbst und die neue Partei. Das ist zunächst einmal ein Aufmerksamkeitsverlust für die AfD.
Sawicki: In welchem Bundesland, glauben Sie, hat er denn die besten Aussichten? Wo könnte er der AfD am meisten wehtun, der drei genannten?
Vorländer: Das ist im Augenblick schwierig zu sagen. Ich glaube, dass er in Sachsen natürlich versuchen wird, dort aus dem sehr extremen Flügel der AfD Leute herauszubrechen. Und nach dem, was man schon liest oder hört, hat er ja auch schon einen Erfolg gehabt. Er hat für seine neue Partei Przybilla oder Ermer aus Sachsen gewinnen können. Und es gibt eben Randbereiche …
Sawicki: Also Politiker hat er, Unterstützer.
Vorländer: … Politiker, aus der AfD heraus schon für seine neue Partei gewinnen können. Insofern, da in Sachsen die AfD ja auf Sieg gesetzt hat, könnte das die AfD in Sachsen schwächen und vielleicht Poggenburg dort einen gewissen Erfolg sichern. In Brandenburg ist die AfD ja relativ stark auch, sie liegt im Augenblick in den Umfragen bei 20 Prozent. Ob er da richtig hineingrätschen kann, würde ich fast bezweifeln. Thüringen könnte dann für ihn noch interessanter sein, denn in Thüringen gibt es ja auch Höcke, und der ist nicht allzu weit von Poggenburg in der programmatischen Orientierung entfernt.
"Ganz klarer, rechtsextremer Kurs"
Sawicki: Genau. Wie würde so ein Wahlkampf denn da zum Beispiel aussehen? Eine Poggenburg-Partei gegen Björn Höcke, den Chef der dortigen AfD?
Vorländer: Sie ist ganz offensichtlich nationalistisch. Das wäre die verschärfte Variante der AfD, und sie würde operieren auch mit völkischen Semantiken. Das ist ja genau, was Poggenburg ja auch schon gemacht hat. "Volksgemeinschaft", das war sein Wunsch für das neue Jahr, "den Mitbürgern unserer Volksgemeinschaft ein patriotisches 2019". Das ist also ein ganz klarer, rechtsextremer Kurs. Und auch die Kornblume, das Erkennungszeichen von Poggenburg, ist ja Erkennungszeichen der österreichischen Nationalsozialisten in den 30er-Jahren gewesen. Hier zeichnet sich fast eine Brücke ab zu ehemaligen NPD-Leuten, die sich bisher eher zur AfD orientiert haben, aber jetzt vielleicht der Radikalisierung durch Poggenburg etwas abgewinnen können. Darauf, glaube ich, setzt Poggenburg.
Sawicki: Und würde dann Björn Höcke beispielsweise darauf dann selbst mit einem noch schärferen Kurs reagieren? Oder wie könnte er sich denn dann abgrenzen von ihm?
Vorländer: Das wird man jetzt sehen, wie die AfD auch darauf reagiert. Die AfD versucht ja im Augenblick, einen gewissen Pragmatismus an den Tag zu legen, um auch der Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu entgehen. Und sie versucht auch, andere Themen, beispielsweise Rente nach vorn zu spielen. Und das ist dann für die Hardliner – dazu gehört eben auch Höcke, ein Grund, zu überlegen, diesem neuen Poggenburgischen Aufbruch deutscher Patrioten beizutreten. Insofern wäre sicherlich Höcke jemand, von dem man erwarten könnte, dass er überlegt, eben den Aufbruch der Patrioten auch selbst beizutreten. Das würde dann eben auch in Thüringen zu einer Spaltung der AfD führen.
Höcke-Abschied? - "Nicht auszuschließen"
Sawicki: Glauben Sie, dass er auch die AfD verlassen könnte?
Vorländer: Das ist nicht auszuschließen, denn er hat ja dort auch in Thüringen keine ganz unumstrittene Position, und die AfD ist im Augenblick in einem Kampf der Flügel zwischen sagen wir mal nationalem, konservativem Patriotismus auf der einen Seite, und wirklich rechtsextremen, radikalen Positionen, die auch patriotisch daherkommen, aber deutlich eine ethnisch-völkische Komponente haben und in der Semantik eben an frühere rechtsextremistische, fast schon proto- und krypto-nationalsozialistische Strömungen erinnert. Und das ist der Kampf im Augenblick, glaube ich, auf dem rechten Flügel des Parteiensystems, innerhalb der AfD ausgetragen. Und durch Poggenburg gewinnt das Ganze an Dynamik.
Sawicki: Bei uns heute im Deutschlandfunk der Politikwissenschaftler Hans Vorländer von der TU Dresden. Vielen Dank für das Interview, und Ihnen einen schönen Tag!
Vorländer: Danke Ihnen, auf Wiederhören!
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