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AfD-Reaktionen auf Höcke-Rede
"Die Partei ist nicht glaubwürdig"

Die Reaktion der AfD-Spitze auf die umstrittene Rede von Björn Höcke beurteilt der Antisemitismus-Forscher Wolfgang Benz als "taktisches Geplänkel". Die Partei bemühe sich zwar, bürgerlich-seriös aufzutreten. Solange sie aber Mitglieder nicht ausschließe, die rechte Positionen vertreten, sei sie keine "bessere Version der schmuddeligen NPD".

Wolfgang Benz im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Prof. Wolfgang Benz (deutscher Historiker der Zeitgeschichte und international anerkannter Vertreter der Vorurteilsforschung, Antisemitismusforschung und NS-Forschung)
    "Die ganze AfD fährt eine politische Taktik, nämlich die Provokation der Mehrheit", sagte der Historiker und Antisemitismusforscher Wolfgang Benz. (Deutschlandradio / Bettina Straub )
    Martin Zagatta: Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, die NPD nicht zu verbieten, wird heute darüber diskutiert, ob man der rechtsextremen Partei den Geldhahn abdrehen kann, sie abschneiden von öffentlichen Mitteln. Und es geht eigentlich sogar um die Frage, ob die AfD sich sogar Verdienste erworben hat, indem sie der NPD das Wasser abgegraben hat. Doch ausgerechnet in dieser Situation sorgt jetzt der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke schon wieder für Empörung mit höchst umstrittenen Äußerungen, die in den Medien schon als Nazi-Rede Schlagzeilen machen.
    Und das an einem Tag, nachdem es das Bundesverfassungsgericht wie gesagt abgelehnt hat, die NPD zu verbieten. Aber das Gericht hat der Politik nahegelegt, der rechtsextremen Partei den Geldhahn zuzudrehen. 2015 waren das 1,3 Millionen Euro an staatlicher Parteienfinanzierung. Und die SPD hat am Vormittag schon reagiert. Christine Lambrecht, die Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion, will jetzt die Union für eine Änderung des Grundgesetzes gewinnen.
    O-Ton Christine Lambrecht: "Ein Verbot war nicht möglich aus Sicht des Gerichts, aber dieser Weg wurde aufgezeigt und wir werden uns jetzt an die Arbeit machen. Ich gehe davon aus, man muss die Verfassung ändern dafür, und wir halten es schon für sinnvoll, dass eine verfassungsfeindliche Partei dann eben nicht auch noch mit Steuergeldern finanziert werden kann."
    Zagatta: Christine Lambrecht von der SPD. - Während in Berlin jetzt über die Konsequenzen aus diesem NPD-Urteil diskutiert wird, rückt die AfD mit höchst umstrittenen Aussagen wieder einmal in den Blickpunkt: Wieder einmal der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke bei einer Veranstaltung in Sachsen.
    Mitgehört hat der Historiker Wolfgang Benz, der lange Jahre das Zentrum für Antisemitismus-Forschung geleitet hat an der TU Berlin. Herr Benz, guten Tag. Das sind jetzt Äußerungen, die sofort große Empörung hervorgerufen haben. Wie ordnen Sie das ein? Sind das Töne, die wir immer wieder aus den Reihen der AfD gehört haben, oder wird da jetzt eine Grenze überschritten?
    "Diese ewige Gestrigkeit, diese monströsen Vergleiche"
    Wolfgang Benz: Zum einen: Wir hören seit 70 Jahren, seit dem Ende der NS-Herrschaft immer und ewig das gleiche wieder, dieses selbstmitleidige Herumpöbeln, das den Anteil der Deutschen auf die Opfer und Leiden der Zivilbevölkerung reduzieren will, die Forderung, die Vergangenheit Vergangenheit sein zu lassen. Das kennen wir ja alles von rechtsextremen Studienräten in den 50er-, in den 60er-Jahren und so weiter.
    Man sieht, ein Verbot der NPD wäre auch gar nicht notwendig gewesen, denn die Nachfolgepartei, die AfD ist ja schon am Werke, denn Herr Höcke ist ja nicht irgendein Irrläufer, sondern er vertritt als Landeschef ja eine wichtige Stelle und Position in der Partei, und das was er da gestern wieder verzapft hat, das ist Rechtsradikalismus pur, nichts Neues, das ewig Alte, über das man sich aber, auch weil es so stupide und trotzdem wirkungsvoll ist, durchaus aufregen muss.
    Zagatta: Aufregen, passt das jetzt in den Geist dieses NPD-Urteils von gestern? Aus dem Urteil haben wir ja gelernt, dass Gesinnung, auch eine schlimme Gesinnung nicht strafbar ist. Passt das genau in dieses Urteil?
    Benz: Ja, das passt in das Urteil. Die Gesinnung ist nicht strafbar. Aber man wird denen und man muss denen, die diese Gesinnung ob mit Jubel oder ohne Beifall verbreiten, auf die Finger hauen und sagen, wir wollen diesen Schmuddel nicht hören, das hängt uns zum Halse raus. Diese ewige Gestrigkeit, diese monströsen Vergleiche, dieses wehleidige Herumpöbeln, das sollen sie am Stammtisch machen, aber dafür muss es nun wirklich auch kein öffentliches Geld durch Parteienfinanzierung geben. Und wenn das Gericht dazu Wege weist, dann war das gestrige Urteil besonders sinnvoll.
    "Das halte ich nun für ein ziemlich schwachsinniges Argument"
    Zagatta: Welche Rolle spielt denn da die AfD? Sie haben die jetzt eingangs mit der NPD gleichgesetzt. Es gibt jetzt andere, die sagen, die AfD hat zumindest das Verdienst, dass sie der NPD das Wasser abgegraben hat. Sehen Sie da keinen Unterschied?
    Benz: Das ist ja ein trauriges Verdienst, wenn der Teufel den Beelzebub verjagt. Das halte ich nun eher für ein ziemlich schwachsinniges Argument. Die AfD bemüht sich, bürgerlich-seriös aufzutreten, und die Mehrheit der AfD-Funktionäre und Mandatsträger tut das auch. Aber es gibt Leute wie den Herrn Höcke oder in Stuttgart den Herrn Gedeon, der ein bekennender Antisemit ist, und es gibt andere Antisemiten, die werden dann aus der Schusslinie genommen oder irgendwo aus der Fraktion ausgeschlossen, aber nicht aus der Partei.Und solange die Partei sich nicht deutlich distanziert und sagt, das sind Rechtsextreme, das sind völkische Ewiggestrige, mit denen wollen wir nichts zu tun haben, solange ist diese Partei nicht glaubwürdig, weder als Alternative zu Deutschland, noch als eine bessere und geläuterte Version der schmuddeligen NPD.
    "Das sehe ich als taktisches Geplänkel"
    Zagatta: Ich habe jetzt, Herr Benz, gerade auch Agenturen entnommen, dass zumindest der nordrhein-westfälische AfD-Landesvorsitzende und der Ehemann von Parteichefin Frauke Petry, also Marcus Pretzell, dass der diese Äußerungen von Herrn Höcke scharf verurteile. Sehen Sie in der AfD wenigstens irgendwo noch eine Differenzierung, oder müsste die Partei, so wie Sie jetzt sagen, Höcke wirklich ausschließen, um entsprechend auf Distanz zu gehen?
    Benz: Das sehe ich als taktisches Geplänkel. Da soll Schaden begrenzt werden. Diese Äußerung wird jetzt gebrandmarkt, damit derjenige, der sie getan hat, ob der jetzt Höcke oder Gedeon oder wie auch immer woanders heißt, dass der weitermachen kann.
    Deshalb sagt man, ja, da hat er sich vergaloppiert oder das missbillige ich zutiefst. Ich habe auch mit AfD-Leuten gesprochen, die nach den antisemitischen Tiraden in Baden-Württemberg kamen und sagten, das bedauern wir zutiefst und das ist ganz schlimm, der Mann muss raus. Er ist aber immer noch drin und deshalb ist das vollkommen unglaubhaft. Das ist nur Taktik, um Schaden zu begrenzen, damit nicht die ganze Partei in den Verdacht kommt, eine genauso rechtsradikale Veranstaltung zu sein wie die NPD oder etliche andere.
    "Noch ist die AfD eine Sekte und das sollte sie auch bleiben"
    Zagatta: Taktik, man kommt mit solchen Äußerungen in die Schlagzeilen, man geht ein bisschen auf Distanz, rudert ein bisschen zurück. Aber das geht ja jetzt auch wieder auf. Die Öffentlichkeit springt auf, wir reden ja jetzt auch heute Mittag, Herr Benz, und wir fragen uns, wie geht man mit so etwas um. Müssen wir da aufspringen, was wir ja jetzt gerade machen? Man kann es auf der anderen Seite ja auch nicht totschweigen. Wie geht man damit um?
    Benz: Ich weiß um die Werbewirkung, und darauf ist das ja auch berechnet. Die ganze AfD fährt eine politische Taktik, nämlich die Provokation der Mehrheit. Da müssen wir ja doch, wenn wir das für unzulässig halten, wenn wir das als einen Verstoß gegen unsere demokratischen Überzeugungen halten, protestieren, auch wenn es dann vielleicht am Stammtisch als Bestätigung für den richtigen Kurs genommen wird. Noch ist die AfD eine Sekte und das sollte sie auch bleiben.
    Wenn sich dann ewig gestriger Stumpfsinn, alter Nationalpatriotismus da sammelt und gegen den Rest der Welt wettert, dann muss aber die Mehrheit immer wieder deutlich machen, die sprechen nicht für uns, sondern die sprechen nur für ihre Clique.
    Zagatta: Aber immerhin wählen 15 Prozent der Menschen bei der nächsten Bundestagswahl eventuell sogar die AfD. Irgendwo knapp darunter oder um die 15 Prozent ist die ja bei den Umfragen.
    Benz: Und denen müssen die übrigen 85 Prozent klar machen, dass sie sich da außerhalb des Konsenses von Vernunft, Sitte und Anstand begeben.
    Zagatta: Und Sie glauben, das gelingt, wenn man darüber vernünftig redet? Oder gibt es dieses Klientel in Deutschland, dass vielleicht dann 10, 15 Prozent der Leute für solche Parolen anfällig sind?
    Benz: Ein solches Klientel gibt es immer und überall und man darf sich keinen Illusionen hingeben, dass man die alle läutern kann. Aber man muss es immer deutlich machen, wo die Grenzen sind zwischen unerfreulichem und unproduktivem Demagogentum und den vernünftigen Überzeugungen der Mehrheit.
    Zagatta: … sagt der Historiker und Antisemitismus-Forscher Wolfgang Benz. Herr Benz, ich bedanke mich für dieses Gespräch heute Mittag.
    Benz: Bitte sehr!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.