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AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel
"Wir schaffen Anreize für eine Schlepperindustrie"

"Wir haben weder eine effektive Grenzsicherung nach außen noch nach innen", kritisierte Alice Weidel im Dlf. So schaffe man Anreize für Menschen, die eigentlich kein Aufenthaltsrecht hätten. Die AfD-Politikerin forderte eine Obergrenze für die Zahl von Asylbewerbern und eine sogenannte Mindestabschiebequote.

Alice Weidel im Gespräch mit Stefan Maas | 13.08.2017
    Die Spitzenkandidatin der Partei Alternative für Deutschland (AfD), Alice Weidel
    Die Spitzenkandidatin der AfD, Alice Weidel, wirft der Bundesregierung eine "unverantwortliche Sicherheitspolitik" vor. (dpa/Soeren Stache)
    Das Interview der Woche können Sie am Sonntag, den 13. August, um 11:05 Uhr im Deutschlandfunk nachhören.
    Stefan Maas: Das Interview der Woche im Deutschlandfunk heute mit Alice Weidel, guten Tag.
    Alice Weidel: Guten Tag, hallo.
    Maas: Frau Weidel, Sie sind 1979 geboren, also 38 Jahre alt, wenn ich richtig gezählt habe. Sie waren Unternehmensberaterin, sind seit 2013 in der AfD und seit dem Parteitag Ende April in Köln neben Alexander Gauland die Spitzenkandidatin Ihrer Partei für den Bundestagswahlkampf. Haben Sie sich schon daran gewöhnt, immer im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen?
    Weidel: Ich glaube, man kann sich nie so richtig dran gewöhnen. Also, das war für mich wirklich am Anfang sehr ungewohnt nach meiner Wahl. Das muss ich sagen. Und natürlich kommt man so ein bisschen in den Tonus rein. Aber es ist natürlich was ganz anderes als vorher. Also, ich mache das jetzt ja schon insgesamt, Sie haben es ja gerade gesagt, vier Jahre mache ich das ja jetzt schon ehrenamtlich für die AfD, wie viele andere Mitglieder eben auch. Und dass aus diesem, sage ich jetzt mal, Ehrenamt als einfaches Mitglied jetzt das geworden ist, das hätte ich mir natürlich niemals träumen lassen, als ich in die AfD 2013 eingetreten bin.
    Maas: Ihr Wahlprogramm hat über 70 Seiten. Das jetzt alles im Detail zu besprechen, das würde auch den Rahmen dieser Sendung sprengen - auch wenn sie etwas länger ist. Deswegen würde ich jetzt am Anfang Sie um eine kleine Prioritätenliste bitten. Mit welchen drei Schlagworten soll die Alternative für Deutschland nach diesem Wahlkampf verbunden werden?
    Weidel: Es sind drei Hauptthemen. Das ist die Garantie der inneren Sicherheit. Das ist eine Hauptpriorität. Wir haben gesehen, dass sich die Kriminalitätsstatistik drastisch verschlechtert hat innerhalb der letzten zwei Jahre. Dann Steuersenkung und Steuervereinfachung zur Entlastung der Steuerzahler und eben auch zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Und dann natürlich als dritten Punkt eine nachhaltige, verantwortungsvolle Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik. Das sind meine drei Prioritäten und die Prioritäten der AfD.
    "Gefährder müssen so schnell wie möglich ausgewiesen werden"
    Maas: Über diese Themen werden wir gleich noch detaillierter sprechen. Am Mittwoch hat das Außenministerium mitgeteilt, dass nach einer Neubewertung der Sicherheitslage in Afghanistan weiter wie bisher abgelehnte Asylbewerber nach Afghanistan abgeschoben werden können, wenn sie kriminell geworden sind zum Beispiel oder als Gefährder gelten, Sammelabschiebungen soll es aber weiterhin nicht geben. So ist ja die Lage im Moment auch. Aus Ihrer Sicht eine richtige Entscheidung?
    Weidel: Also, im Grundsatz muss es so sein, dass Gefährder ausgewiesen werden müssen, und zwar so schnell wie möglich, weil Sie die innere Sicherheit unseres Landes gefährden. Wir müssen uns da auch die Frage stellen, warum diese Menschen überhaupt erst mal bei uns sind. Durch eine, sage ich jetzt mal, effektive Grenzkontrolle mit gültigen Papieren wären diese Menschen erst gar nicht bei uns. Da muss man sich auch die Frage stellen: Was ist im Vorfeld schiefgelaufen? Und mit diesen Folgen sind wir jetzt konfrontiert. Und, ob jetzt Sammelabschiebungen oder nicht - noch mal zurück auch zu Ihrer Frage. Im Grundsatz muss immer gelten, dass Gefährder sofort zurückgeführt werden müssen.
    "Man muss über Abschiebehaft nachdenken"
    Maas: Dennoch, wenn wir jetzt auch noch mal auf die Sammelabschiebung schauen, dann kommt ja auch die Frage: Was macht aus Ihrer Sicht ein sicheres Land, in das man ohne Bedenken auch um Leib und Leben für diese Menschen, abschieben kann?
    Weidel: Also, bei Gefährdern muss man sich die Frage stellen, ob sie nicht auch zur Destabilisierung ihres eigenen Herkunftslandes beigetragen haben. Und da können wir in Deutschland keinen Unterschied machen für diese Personengruppen, ob es jetzt nun - das muss ich Ihnen auch ganz klar sagen -, ob es sich um ein sicheres, nach unserer Einordnung sicheres Herkunftsland handelt oder auch eben nicht. Und wenn es in der Bewertung so ist, dass eine Abschiebung, sage ich jetzt mal, in ein Kriegsgebiet inhuman ist, wäre ja sogar so nach unseren Standards, dann muss man natürlich über Abschiebehaft nachdenken. Dann müssen diese Leute, dann müssen sie in Abschiebehaft kommen.
    Maas: Das gilt ja für Gefährder. Aber es gibt natürlich auch noch andere, die nicht als Gefährder gelten, aber die trotzdem nicht in Deutschland bleiben können. Was macht man mit denen?
    Weidel: Menschen, die natürlich nicht in Deutschland bleiben können, deren Asylgesuch abgelehnt wurde, müssen ausgewiesen und zurückgeführt werden.
    Maas: Dann sind wir aber wieder bei der Frage nach eben dem sicheren Land. Also, die Sicherheitsbewertung im Moment jetzt für Afghanistan sagt, es wird weiterhin keine Sammelabschiebungen geben. Das heißt, das trifft ja dann eben nicht Gefährder, sondern Menschen, die aus anderen Gründen zurückmüssen. Was macht man dann mit denen?
    Weidel: Also, Sie haben ja eben - so habe ich Ihre Frage verstanden - ja explizit nach Gefährdern gefragt. Jetzt geht es ja um andere Personengruppen ...
    Maas: Auch nach den anderen, ja.
    Weidel: ... und da ist es natürlich ganz klar. Wenn die Sicherheitslage es in diesem Land nicht zulässt, dass man diese Personengruppen ausweist, dann muss man noch mal eine erneute Bewertung vorziehen.
    Maas: Das heißt, man bewertet solange, bis man dann zu dem Ergebnis kommt, ach, man kann sie doch einfach wieder in das Land zurückschicken?
    Weidel: Das ist richtig. Wenn es das Ergebnis erlaubt und wenn das der Schluss der Analyse ist, dann sollte man und vor allen Dingen dann muss man das auch tun.
    Obergrenze für Asylbewerber und Mindestabschiebequote
    Maas: Sie fordern, wie die CSU, eine Obergrenze für die Zahl der Asylbewerber. Wie soll das umgesetzt werden und wie hoch soll diese Grenze sein?
    Weidel: Ich finde es grundsätzlich erst mal gut, dass die CSU sich auch unseren Positionen auch mit annähert. Das ist immer eine Position auch der AfD gewesen. Das Asylgesetz braucht eine Obergrenze. Also, das ist veraltet. Das kommt noch aus den, ja, Nachwehen des Zweiten Weltkrieges und es sieht eben keine Obergrenze vor. Und diese Obergrenze, die hat sich zu orientieren an den Kapazitäten eines Landes. Und das haben wir im Jahre 2015 gesehen. Da haben ja auch die Kommunen eigentlich ziemlich genau durchgegeben, wann sie das Gefühl hatten, dass die Kapazitäten erreicht sind, diese Kapazitätsobergrenzen. Und das kann man eigentlich auch so jedes Jahr mit eruieren.
    Maas: Das heißt also nicht, wie die CSU das fordert, eine feste Obergrenze von 200.000, sondern Sie würden sagen, eher eine atmende Obergrenze?
    Weidel: Richtig, genau. Und wir sehen als AfD auch überhaupt gar kein langfristiges Konzept dieser Bundesregierung, um überhaupt in irgendeiner Form diesem Problem zu begegnen.
    Maas: Sie fordern nicht nur eine Obergrenze, sondern Sie fordern auch eine Mindestabschiebequote. Wie hoch soll die sein?
    Weidel: Das … ja, also, natürlich ist eine Abschiebequote das Maximale. Was auch ehrlich gesagt erstrebenswert ist, ist natürlich, wenn sie 100 Prozent hätten. Wenn Asylbegehren abgelehnt werden, dann sind diese Menschen, die hier kein Aufenthaltsrecht haben, eben, weil es auch die Grundvoraussetzungen nicht zulassen, hier als Flüchtling, als Asylant eben auch einen Aufenthaltsstatus zu bekommen, beispielsweise, wenn sie Wirtschaftsflüchtling sind, wenn sie aus einem sicheren Herkunftsland kommen, dann sollte diese Abschiebequote bei 100 Prozent sein. Aber es ist natürlich so, so eine Abschiebequote - das ist jetzt rein theoretisch - so eine Abschiebequote hat sich an den realpolitischen Kapazitäten auch der Beamten, der Logistik zu orientieren. Und das muss man sehr genau eruieren. Darum haben wir auch absichtlich das erst mal offengelassen, weil das sehr genau auch mit den zuständigen Bundesministerien eruiert werden muss.
    Maas: Das heißt, aber wie würden Sie die Menschen dann auswählen, die abgeschoben werden sollen? Weil eine Quote von 100 Prozent ist ja nicht sehr realistisch.
    Weidel: Also, der Punkt ist doch, wenn ein Asylbegehren abgelehnt wird, dann haben diese Menschen ihren Aufenthaltsstatus hier verloren. Und die Kriterien, die sind doch recht klar. Die habe ich auch gerade beschrieben. Beispielsweise, wenn es sich um Wirtschaftsflüchtlinge handelt und wenn sie aus sicheren Herkunftsstaaten eben kommen.
    "Rechtswidrige Flüchtlingspolitik der Bundesregierung"
    Maas: Sind Sie eigentlich für eine Verteilung der Flüchtlinge in Europa?
    Weidel: Also, ich sehe das durchaus gespalten, weil die jetzt diskutierte Verteilung, die entsteht ja so, dass wir Flüchtlinge, teilweise auch eben Asylbewerber innerhalb von Europa haben, die eigentlich gar kein Aufenthaltsrecht hätten, dass die erst zustande gekommen sind aufgrund einer in meinen Augen rechtswidrigen Flüchtlingspolitik, wie sie jetzt seit zwei Jahren eben auch betrieben wird. Also, wenn wir uns das anschauen, dann wurde gegen geltendes deutsches Asylgesetz verstoßen, aber auch gegen geltendes europäisches Recht. Ich denke da beispielsweise an das Dublin-III-Abkommen. So, und aufgrund dieser rechtswidrigen - in meinen Augen rechtswidrigen - Politik der Bundesregierung haben wir ja erst diese Fehlanreize geschaffen, dass wir es jetzt mit Millionen von Menschen zu tun haben, die sich auf den gefährlichen Weg zu uns begeben haben. Im Übrigen eine absolut inhumane Flüchtlingspolitik, die ja auch mit alimentiert wird. Ich halte das für unverantwortlich.
    Maas: Aber jetzt sind …
    Weidel: Und …
    Maas: Jetzt sind die Menschen da.
    Weidel: Und die Lösung kann jetzt nicht sein, dass wir unseren europäischen Nachbarn aufzwingen, uns Flüchtlinge abzunehmen ...
    Maas: Sondern?
    Weidel: … wo doch diese Bundesregierung damit angefangen hat, eine - in meinen Augen - rechtswidrige Politik zu betreiben.
    Maas: Das heißt, entweder bleiben sie alle bei uns oder was passiert sonst mit den Flüchtlingen, die jetzt in Europa sind?
    Weidel: Diejenigen, die keinen Aufenthaltsstatus haben, müssen wir ausweisen. Die hätte man schon an den Außengrenzen abweisen müssen, weil das ist in den europäischen Verträgen festgesetzt. Das besagt eben auch Schengen. Das besagt Dublin III. Wir brauchen einen effektiven Grenzschutz an den europäischen Außengrenzen. Das war ja auch immer die Grundvoraussetzung, dass wir permeable, also durchlässige, offene Binnengrenzen haben. Und wir haben festgestellt, wir haben gar nichts von den beiden. Wir haben weder eine effektive Grenzsicherung nach außen, noch nach innen. Und das ist eben auch eine, wenn ich es so sagen darf, unverantwortliche Sicherheitspolitik, die hier betrieben wird.
    "Europa unterstützt Schlepperkriminalität"
    Maas: Ihr Co-Spitzenkandidat, Alexander Gauland, hat gesagt, die Nichtregierungsorganisationen, die Flüchtlingen auf dem Mittelmeer helfen, die betrieben auch das Geschäft der Schlepper. Was würden Sie denn stattdessen mit diesen Booten und diesen Menschen machen, die da auf dem Mittelmeer sind?
    Weidel: Alexander Gauland hat recht. Es ist nachweislich so, dass diese NGO-Schiffe vor der libyschen Küste in einem sehr engen Radius diese Boote aufgreifen und an die italienische Küste bringen - und nicht zurück. Es handelt sich hier nicht um Seenotrettung, sondern es handelt sich hier um einen Transfer. Und die Aufgabe von Frontex, also der europäischen Grenzsicherungsbehörde, wäre, diese Flüchtlingsboote aufzugreifen, die Flüchtlinge an Bord zu nehmen, aber wieder zurückzubringen auf den afrikanischen Kontinent.
    Maas: Und dann kommen sie direkt wieder.
    Weidel: Und … ja, das würde ja eigentlich mit einer Grenzsicherung nicht passieren. Und das ist ja gerade das Absurde. Wir unterstützen, also diese Bundesregierung, auch Europa unterstützt ja diese absolut - ich sage jetzt mal - unverantwortliche Schlepperkriminalität. Man muss sich das mal vorstellen. Wir schaffen Anreize, Europa schafft Anreize für eine Schlepperindustrie. Und da müssen wir uns auch die Frage stellen, wer eigentlich zu uns kommt. Das sind - nur ganz kurz noch: Das sind ja gerade die Starken, die Finanzkräftigen, die Schlepper bezahlen können. Sind das dann überhaupt die Schwachen, die Hilfsbedürftigen? Ich denke da beispielsweise auch an die christlichen Familien aus Syrien, Frauen und Kinder, die in jordanischen Flüchtlingscamps auch festsitzen. Wir müssen uns …
    Maas: Aber, wenn Sie sagen "Grenzsicherung" …
    Weidel: Wir müssen uns genau diese Frage eben stellen.
    "Mittelmeerunion" für Grenzsicherung, humanitärer Hilfe und nachhaltige Stabilisierung
    Maas: Ja, aber - genau, deswegen stelle ich die Frage. Wie soll das aussehen? Das heißt, mit Ländern wie Libyen, die selber eine schwierige Struktur haben, schließt man Abkommen, dass die die Flüchtlinge im Land halten? Und wie garantiert man dann, dass es menschenwürdige Zustände da gibt?
    Weidel: Sie müssen in der Tat, müssen sie die Mittelmeerroute schließen. Und das ist Aufgabe der europäischen Grenzsicherung. Das Ganze muss natürlich einhergehen, dass man eine gemeinschaftliche Lösung sucht. Also, Europa und die nordafrikanischen Staaten, ich denke jetzt da in erster Linie an die Maghreb-Staaten, Tunesien, Marokko, die sind da einigermaßen stabil. Das sind stabile Staaten. Dass man mit denen eine Art Mittelmeerunion schließt. Also die Mittelmeerunion, das ist ja eine ältere Idee von Frankreich. Das heißt Grenzsicherung bei gleichzeitiger humanitärer Hilfe, aber auch einer vernünftigen, nachhaltigen Stabilisierung und Entwicklungspolitik. Das ist beispielsweise klassischerweise ein Blauhelmeinsatz. Die UN muss da auch auf den Plan gerufen werden, beispielsweise, Sie haben gerade ganz konkret Libyen genannt, diesen Staat auch mit zu stabilisieren, dort die Voraussetzung zu schaffen, auch in Tunesien und auch in Marokko, dass die Menschen, die dort ankommen, vor allen Dingen mit gültigen Papieren, unter humanitären Bedingungen ihren Asylantrag stellen dürfen.
    "Wir wollen die Anrechnung von Erziehungsleistung "
    Maas: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk mit Alice Weidel. Sie ist die Spitzenkandidatin der AfD im Bundestagswahlkampf. Frau Weidel, schauen wir in Ihr Wahlprogramm. Da steht: Vorrangige Aufgabe für die Politik muss sein "der Erhalt des eigenen Staatsvolkes". Das heißt, Sie wollen dafür sorgen, dass wieder mehr deutsche Kinder geboren werden, und schlagen zum Beispiel ein Familiensplitting vor. Das wollen die Grünen auch, wollen dafür das Ehegattensplitting abschaffen. Wollen Sie das auch?
    Weidel: Also wir wollen schon seit Jahren das Familiensplitting-Modell, also die einkommensteuerliche Entlastung von Familien. Aber nicht nur das. Es ist schön, ich finde das auch sehr löblich, dass die Grünen dieses Thema auch jetzt für sich entdeckt haben. Und wir wollen natürlich nicht das Ehegattensplitting abschaffen. Das ist eine Wirtschaftsgemeinschaft, wenn man eine Ehe eingeht, unter anderem auch. Und die gehört einkommensteuerlich entlastet. So, das ist der ganz große Unterschied. Aber es geht noch weiter. Wir wollen Familien auch dahingehend entlasten und auch eine Gleichstellung herbeiführen, indem endlich mal Bundesverfassungsgerichtsurteile umgesetzt werden. Also, das heißt in concreto die Anrechnung von Erziehungsleistung, beispielsweise auf die Kranken- und auf die Rentenversicherung. Und das ist bisher nicht passiert, obwohl es das Bundesverfassungsgericht eben einfordert. Und das ist in unseren Augen eine nachhaltige Familienpolitik, um eben auch das Umfeld kinderfreundlicher zu machen und Familien finanziell zu entlasten.
    "Als Politikerin habe ich die Wichtigkeit der Ehe im Blick"
    Maas: Frau Weidel, wie würden Sie Ihren Kindern erklären, wenn die nach Hause kommen und sagen: Mama, wir sind eigentlich keine Familie, weil mir hat jemand gesagt, Familie ist nur "Vater, Mutter, Kinder". Sie erziehen die Kinder mit Ihrer Partnerin zusammen ...
    Weidel: Mhm.
    Maas: ... das ist, wenn man in Ihr Parteiprogramm schaut, eigentlich nicht das, was Ihre Partei sagt, was Familie ist.
    Weidel: Der Hintergrund ist ja folgender. Wir müssen uns einfach anschauen, dass in Deutschland zwei Drittel der Paare in einer heterosexuellen Ehe leben. Das ist nun mal einfach Fakt. Und in dieser Konstellation leben rund, ich glaube, so zwischen 8,5 und 9 Millionen Kinder. Und das sind drei Viertel. So und das ist …
    Maas: Aber das heißt ja nicht dass andere Konstellationen …
    Weidel: Moment. Ich komme gerade da hin, wenn Sie erlauben. Und darüber sprechen wir. Und ich habe natürlich als Politikerin die Wichtigkeit der Ehe, auch als tragendes Element in der Gesellschaft, habe ich natürlich im Blick. Es gilt aber auch das Prinzip der Wahlfreiheit. Und ich privat, das haben Sie jetzt gerade gesagt, ich habe mich für eine andere Lebensform entschieden. Das heißt aber nicht, dass ich nicht hinter der Förderung der Familie, dass ich dagegen wäre. Ganz, ganz im Gegenteil.
    Maas: Vater, Vater, Kinder oder Mutter, Mutter, Kinder - das ist doch eigentlich noch was, was dazukommt. Dadurch verlieren die anderen Familien doch nichts und haben auch nichts weniger. Oder?
    Weidel: Eben. Aber das sage ich ja eben auch. Das ist die …
    Maas: Aber es gibt ja …
    Weidel: Das ist ja die Wahlfreiheit.
    "Wir sollten nicht an die Ehe rangehen und die Kriterien aufweichen"
    Maas: Aber das ist ja immer dieses Bild, was aufgebaut wird, dass man eben immer Angst hat, auch zum Beispiel das Thema Eheöffnung, dass man dann immer sagt, dadurch verliert die traditionelle Ehe. Und ich frage mich immer: Was verliert sie denn eigentlich genau?
    Weidel: Die verliert etwas ganz, ganz Entscheidendes. Es ist nicht nur so die Ehe, die verliert, sondern die Gesellschaft an sich. Schauen Sie, die Ehe ist ja nicht nur ein Begriff. Wir führen ja keine semantische Debatte. Es ist erstens ein Rechtsinstitut, ja, in unserer Verfassung, das verfassungsrechtlich geschützt ist. Und es ist ein Wert in unserer Gesellschaft. Es ist ein ganz wichtiger Wert, weil es ist die tragende Säule unserer Gesellschaft. Und jeder kann so leben, wie er möchte, aber wenn wir anfangen, die Kriterien für tragende Säulen unserer Werte und unserer Gesellschaft anzufassen, dann kommen wir in einen Zustand der Beliebigkeit. Und das halte ich bei diesem wichtigen Institut, bei diesem wichtigen Wert für eine Gesellschaft auch für hochgradig gefährlich.
    Maas: Aber man könnte ja auch sagen, es ist doch eigentlich schön, dass eben der Wert der Ehe so hoch betrachtet wird, dass eben auch gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften eben genau dieses Instrument haben wollen, also sagen wollen: Wir sind verheiratet, weil wir eben füreinander einstehen, weil wir Verantwortung füreinander übernehmen. Das ist ja auch eine wichtige tragende Säule einer Ehe.
    Weidel: Ja, aber dafür gibt es eben auch - und ich bin ja schon seit Jahren im Übrigen in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft - dafür gibt es, genau richtig, die eingetragene Lebenspartnerschaft. Und ich habe noch erlebt, wie das auch steuerrechtlich nicht ganz gleichgestellt war. Und das ist eigentlich die Rechtsform dafür. Und wir sollten nicht an die Ehe rangehen und die Kriterien aufweichen. Also, ich halte das wirklich für den ersten Schritt, weil schauen Sie, wenn man sich andere Länder anschaut, ja, also man jubelt jetzt vielleicht, also, es jubeln nicht so viele Leute, so wie immer angenommen wird, ja, dass jetzt hier die Ehe für alle kommt und die geöffnet wird für homosexuelle Paare. Ja, das ist aber, auch in meinen Augen ist das vielleicht auch nur der erste Schritt, nachdem es aufgeweicht wurde, obwohl das ziemlich klar definiert ist und verfassungsrechtlich geschützt. Ich will das einfach noch mal …
    Maas: Was wäre dann der zweite Schritt?
    Weidel: Schauen Sie einfach nach Kolumbien, was passiert ist. In Kolumbien dürfen urplötzlich drei Leute heiraten. Und ich halte dieses Gesamte, dieses Aufweichen für absurd. Ich halte das nicht für gut. Die Ehe ist verfassungsrechtlich geschützt und die AfD wird auch dort Verfassungsklagen einreichen.
    "Patriotismus ist für mich ein positiv aufgeladener Begriff"
    Maas: Deutschlandfunk, Interview der Woche mit Alice Weidel, der AfD-Spitzenkandidatin. Frau Weidel, laut Sonntagsfrage würde Ihre Partei derzeit in den Bundestag einziehen. Wollen Sie einen AfD-Bundestagsvizepräsidenten stellen?
    Weidel: Man versucht ja gerade alles, um das zu verhindern.
    Maas: Das heißt, ich nehme das mal als Ja.
    Weidel: Natürlich würden wir das gerne.
    Maas: Können Sie sich das vorstellen?
    Weidel: Für mich selbst? Also, ich habe ehrlich gesagt noch nicht darüber nachgedacht. Also, mein Fokus ist wirklich dann, sobald wir in den Bundestag dann hoffentlich auch eingezogen sind …
    Maas: Was für eine Rolle sehen Sie denn für sich selbst in der Fraktion?
    Weidel: Das wird sich rausstellen. Also, das entscheidet letztendlich die Fraktion in einer konstituierenden Sitzung.
    Maas: Wenn man über die AfD spricht, spricht man natürlich auch immer über das Thema "Abgrenzung nach rechts". In mehreren Landesverbänden haben sich jetzt Gruppierungen gebildet, die gesagt haben: Wir sprechen eher für die gemäßigte Mitte oder die gemäßigten Kräfte in der Partei. So, wie es ja auch am rechten Rand der AfD eben Gruppierungen gibt. Und die Begründung eben dieser Leute, die sich in den neuen Gruppierungen, also in den gemäßigten zusammengetan haben, ist eben die Außenwirkung der Partei, ist ganz schrecklich, weil eben in Umfragen auch immer viele Leute sagen, die AfD ist keine normale demokratische Partei, sondern sie ist irgendwo am rechten Rand des politischen Spektrums einzusortieren. Sehen wir nach der Wahl eine Spaltung in die gemäßigten Kräfte und in die radikalere AfD?
    Weidel: Nein. Also, sicherlich nicht. Es ist in jeder Partei so, dass sie Interessengruppen haben. Und es ist ja auch bekannt, dass innerhalb unserer Partei Diskussionen geführt werden. Und diese Diskussion dreht sich um Begrifflichkeiten wie Heimat, Vaterland, die Rolle der Nation in einem - sage ich jetzt mal - Deutschland in einer globalisierten Welt. Also, da wird ja auch darum gerungen, welche Rolle nimmt denn Deutschland eigentlich ein. Und ich persönlich …
    Maas: Aber Sie haben auch viele Parteimitglieder, also prominente Parteimitglieder, die ja dann durchaus eben auch mit entweder Parolen auffallen wie "Deutschland den Deutschen", also André Poggenburg, der sachsenanhaltinische Landesvorsitzende zum Beispiel in einem internen Chat. Das ist nicht verboten. Das ist aber "NPD-Sprech". Da kommt natürlich gleich wieder die Diskussion auf: Wes Geistes Kind ist die AfD?
    Weidel: Das wollte ich ja gerade ausführen. Also, diese Diskussionen, die werden geführt, intern, eben um die Rolle Deutschlands letztendlich. Und ich persönlich, ich halte es eigentlich lieber so mit dem Begriff Patriotismus. Also, Patriotismus ist für mich ein positiv aufgeladener Begriff. Ich halte natürlich überhaupt gar nichts von diesen Debatten …
    Maas: Das heißt, Sie würden …
    Weidel: … um einen, nur ganz kurz, um einen abgeschotteten Begriff. Ich halte davon wirklich gar nichts. Ich beteilige mich an diesen Diskussionen überhaupt nicht, weil Sie können sich nicht abschotten in einer globalisierten Welt. Darum halte ich es an unserer Programmatik, an unseren Inhalten, wo wir ganz klar einfordern, eine Differenzierung zu tätigen zwischen Einwanderungs- und Asylpolitik. Und dazu gehört natürlich ein Einwanderungsgesetz nach kanadischem Vorbild …
    Maas: Genau, aber ...
    Weidel: … nach klaren Qualifikationskriterien, weil …
    Maas: Darüber haben wir ja eben gesprochen.
    Weidel: Ja.
    Maas: Jetzt waren wir aber ja beim Thema auch, zum Beispiel, weil Sie den Patriotismus angesprochen haben, eben dieser übersteigerte oder dieser sehr nationalistische Patriotismus, den es bei Ihnen in der Partei gibt. Leute, wie Björn Höcke zum Beispiel, der dann eben eine Revidierung oder eine Veränderung der Erinnerungskultur fordert, der auffällt mit Reden, mit dem afrikanischen Ausbreitungstypen, also, wo man auch immer merkt: Das sind Ideen, die einfach sehr am rechten Rand des politischen Spektrums auftauchen. Würden Sie also sagen, die AfD muss sich einfach klarer gegen solche Positionen positionieren?
    Weidel: Aber das hat der Bundesvorstand ja bereits getan. Wir haben ein …
    Maas: Aber man hat immer wieder den Eindruck, es gibt ein bisschen was auf die Finger und ansonsten passiert nichts.
    Weidel: Nein, also, wir haben ein schwebendes Ausschlussverfahren, was bei den Parteigerichten liegt. Und meine Haltung …
    Maas: Das ist der Fall Höcke, ja.
    Weidel: Meine Haltung ist da ganz klar. Und diese Entscheidung liegt jetzt bei den Gerichten.
    Maas: Und abgesehen vom Fall Höcke: Wie sehr braucht Ihre Partei eine klare Abgrenzung nach rechts?
    Weidel: Wir haben ein Wahlprogramm. Wir haben eine Programmatik mit einer ganz klaren Prioritätenliste für unser Land. Und daran halte ich mich. Und daran hält sich auch die Partei.
    "Frauke Petry ist ein wichtiges Gesicht unserer Partei"
    Maas: Wahlkampf - ganz kurz noch mal, um es visuell zu machen. Es gibt Ihre offizielle Plakatserie und es gibt ein Motiv "Frauke Petry mit ihrem Sohn". Das ist auf Ihrer Onlineseite nicht zu finden. Warum nicht? Ist Frauke Petry im Wahlkampf nicht willkommen?
    Weidel: Natürlich ist sie willkommen. Sie ist die erste Bundesvorsitzende unserer Partei. Ich persönlich habe es ja auch bedauert, dass sie nicht für die Spitzenkandidatur zur Verfügung stand. Ich konnte sie natürlich auch andererseits verstehen. Und ich würde mir wünschen, mehr von Frauke Petry im Wahlkampf so zu sehen, weil sie ist nun mal unsere Vorsitzende. Sie ist ein wichtiges Gesicht in unserer Partei. Und das würde ich mir wünschen, ja.
    Maas: Welche Rolle spielt Frauke Petry zukünftig in der AfD?
    Weidel: Sie ist erste Bundesvorsitzende ...
    Maas: Bis Dezember, dann wird neu gewählt.
    Weidel: Richtig.
    Maas: Also, ist sie Vorsitzende auf Abruf?
    Weidel: Ich würde mich freuen, wenn sie erneut kandidieren würde. Genauso freue ich mich über Jörg Meuthen, wenn er kandidiert. Und beide sind sehr, sehr wichtig für diese Partei.
    "Mit anderen Parteien gemeinsame Entscheide treffen "
    Maas: Letzte Frage. Wenn wir jetzt ein bisschen nach vorne gucken, ans Ende der Legislaturperiode, wie wird die AfD in vier Jahren aussehen?
    Weidel: Der Wähler bekommt eine AfD auf Basis unseres Wahlprogrammes. Und die erste Aufgabe ist für uns, Prio eins, im Bundestag vernünftige Politik für unser Land zu machen.
    Maas: Heißt Oppositionsarbeit auf Biegen und Brechen? Oder würden Sie bei bestimmten Punkten auch mit den anderen Parteien stimmen, weil Sie sagen, ja, ist eigentlich eine gute Initiative?
    Weidel: Aber natürlich. Das ist ja Realpolitik. Das ist ja pragmatische Politik. Sie müssen mit anderen Parteien koalieren und auch gemeinsame Entscheide treffen, wenn sie denn vernünftig sind. Genauso praktizieren wir es ja bereits hier in Berlin im Abgeordnetenhaus. Da stellen auch AfD und die FDP beispielsweise, stimmen auch gemeinsamen Anträgen zu, natürlich. Wenn es denn vernünftig ist aus unserer Sicht.
    Maas: Alice Weidel, Spitzenkandidatin der AfD im Bundestagswahlkampf, ich danke herzlich für Ihre Zeit.
    Weidel: Vielen herzlichen Dank, Ihnen noch einen schönen Tag.