Die Feinde der Demokratie sollen nicht die Möglichkeit bekommen, die Demokratie abzuschaffen. Das ist der Grundsatz, der hinter dem Begriff der wehrhaften Demokratie steht. Deswegen ist es auch möglich, demokratiefeindliche Parteien zu verbieten.
Aber was bedeutet das für den Umgang mit einer Partei wie der AfD? 113 Bundestagsabgeordnete sind der Ansicht, dass das Parlament über einen Verbotsantrag entscheiden sollte. Mitte November reichten sie den entsprechenden Antrag bei Bundestagspräsidentin Bärbel Bas ein. Angesichts der anstehenden Neuwahlen im Februar 2025 ist allerdings offen, ob der Punkt noch in dieser Legislaturperiode auf die Tagesordnung kommt. Die fraktionsübergreifende Initiative wirft der AfD unter anderem vor, sich gegen zentrale Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu stellen und damit gegen das Grundgesetz zu verstoßen.
Es gibt aber nicht nur Zustimmung für ein Verbotsverfahren. Manche befürchten, dass ein solcher Schritt unserem demokratischen System sogar schaden könnte.
Was sind die Voraussetzungen, um eine Partei zu verbieten?
Das Verbot von demokratiefeindlichen Parteien oder Vereinen ist eines der Mittel, mit denen eine wehrhafte Demokratie gegen ihre Feinde und somit gegen ihre eigene Abschaffung vorgehen kann. Grundlage für ein solches Verbot ist der Artikel 21 des Grundgesetzes. Dort heißt es:
Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.
Was das genau bedeutet, legte das Bundesverfassungsgericht in weiteren Entscheidungen fest. So muss die Partei sich beispielsweise in „aktiv-kämpferischer Weise“ für die Abschaffung der Demokratie einsetzen. Es genüge nicht, oberste Verfassungswerte abzulehnen, heißt es in einer Erläuterung des Bundesinnenministeriums. „Die Partei muss vielmehr planvoll das Funktionieren der freiheitlichen demokratischen Grundordnung beseitigen wollen“ - also aktiv gegen den Staat vorgehen.
Ein weiter entscheidender Punkt: Es müssen konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die es möglich erscheinen lassen, dass das Handeln der Partei erfolgreich sein kann. Das heißt, eine Partei kann nur verboten werden, wenn sie auch eine gewisse Chance hat, ihre verfassungsfeindlichen Ziele durchzusetzen.
Auch gegen welche Werte des Grundgesetzes die Partei vorgehen müsste, ist recht eng gefasst. Es handelt sich dabei um die drei zentralen Kernwerte. Diese sind die Würde des Menschen - der Grundsatz, dass alle Menschen gleich viel wert sind -, das Demokratieprinzip und schließlich das Rechtsstaatsprinzip, also die Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt und eine Kontrolle durch unabhängige Gerichte.
Den Antrag auf ein Parteiverbot können nur der Bundestag, der Bundesrat oder die Bundesregierung stellen. Über ein Parteiverbot entscheidet dann das Bundesverfassungsgericht.
Welche Parteiverbote und Anträge darauf gab es bereits?
Zweimal hat das Bundesverfassungsgericht bisher Parteien verboten: die nationalsozialistisch orientierte Sozialistische Reichspartei (SRP) und die stalinistische Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), beide in den 1950er-Jahren.
Gegen die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) wurde gleich zweimal ein Verbotsverfahren eingeleitet - und beide scheiterten. Das erste 2003 aus verfahrensrechtlichen Gründen, noch bevor es zur Verhandlung in Karlsruhe kam: Denn damals saßen V-Leute des Verfassungsschutzes in der Führungsebene der Partei und hatten möglicherweise die Entscheidungen der NPD beeinflusst. Drei der sieben Richter des zweiten Senats sahen darin ein Verfahrenshindernis.
2017 entschied das Bundesverfassungsgericht dann erneut über ein NPD-Verbot. Damals stellte das Gericht fest, dass die Partei zwar verfassungsfeindliche Ziele vertrete, die auf die Beseitigung der bestehenden freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet seien. Dem Gericht fehlten jedoch "konkrete Anhaltspunkte von Gewicht, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass dieses Handeln zum Erfolg führt“. Das Parteiverbot wurde deswegen abgelehnt.
Wie wird die AfD vom Verfassungsschutz eingestuft?
„Prüffall“, „rechtsextremistischer Verdachtsfall“ und „gesichert extremistische Bestrebung“ – das sind die drei Stufen des Verfassungsschutzes zur Einordnung möglicher verfassungsfeindlicher Vereinigungen und Organisationen.
Auf Landesebene werden drei AfD-Verbände von den dortigen Verfassungsschutzämtern bereits als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft: in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt. Darüber hinaus betrachtet das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) inzwischen auch die Jugendorganisation der Partei, die „Junge Alternative für Deutschland“ (JA), als "gesichert rechtsextremistisch". Ein Eilantrag dagegen war Anfang Februar 2024 gescheitert.
Auf Bundesebene gilt die Gesamtpartei nach einer Einstufung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) seit März 2021 als „rechtsextremistischer Verdachtsfall“. Diese Einschätzung wurde ein gutes Jahr später in erster Instanz durch das Verwaltungsgericht Köln bestätigt.
Oberverwaltungsgericht Münster bestätigt "rechtsextremistischen Verdachtsfall"
Das Oberverwaltungsgericht in Münster hat das Urteil des Kölner Verwaltungsgerichts am 13. Mai 2024 bestätigt. Die AfD darf weiterhin mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet werden. Es bestehe "der begründete Verdacht, dass es den politischen Zielsetzungen jedenfalls eines maßgeblichen Teils der AfD entspricht, deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund nur einen rechtlich abgewerteten Status zuzuerkennen", so der zuständige Senat. Das sei eine nach dem Grundgesetz unzulässige Diskriminierung. Außerdem würden in der AfD "in großem Umfang herabwürdigende Begriffe gegenüber Flüchtlingen und Muslimen" verwendet.
Verfassungsschutz will laut SZ gesamte Partei als "gesichert rechtsextrem" einstufen
Recherchen der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) vom 25. Februar 2024 (Artikel hinter Bezahlschranke) zufolge arbeitet das BfV inzwischen jedoch daraufhin, die gesamte AfD nicht mehr nur als „rechtsextremistischen Verdachtsfall“ einzuordnen, sondern als „gesichert extremistische Bestrebung“. Ein entsprechendes Gutachten sei bereits weitgehend fertiggestellt, heißt es in dem Bericht.
Darüber hinaus zitiert die Zeitung einen internen Vermerk aus dem BfV. Demnach würden nicht alle Parteimitglieder als Anhänger extremistischer Strömungen betrachtet. Aber die Strömung um Björn Höcke – das sogenannte solidarisch-patriotische Lager – gewinne an Einfluss. Zudem enthalte der Entwurf des neuen Gutachtens nun auch den neuen Punkt „Verhältnis zu Russland“.
Die Behörde selbst wollte die SZ-Recherche nicht kommentieren.
Was spricht für ein AfD-Verbot?
Über ein AfD-Verbot ist schon öfter diskutiert worden - beispielsweise 2022, als über Verbindungen zwischen Reichsbürgern und der AfD berichtet wurde. Eine neuerliche Debatte entfachte im Januar 2024 ein Bericht des Recherchenetzwerks "Correctiv" über ein geheimes Treffen in Potsdam, bei dem unter anderem Vertreter der AfD und der rechtsextremen Identitären Bewegung über die Vertreibung von Millionen Menschen mit Migrationsgeschichte aus Deutschland berieten.
Durch den Bericht sei es leichter geworden, die Partei zu verbieten, sagt der Publizist und Jurist Heribert Prantl - denn „die fatalen Pläne der Partei“ seien noch deutlicher geworden. Für Prantl ist es "höchste Zeit", ein Verbotsverfahren zu initiieren. "Man muss die Kraft haben, intolerant gegenüber denjenigen zu sein, die die Demokratie umbringen wollen."
Zuvor hatten bereits einige SPD-Politiker und -Politikerinnen wie die Parteivorsitzende Saskia Esken oder der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse die Prüfung eines Verbotsverfahrens gefordert. Wenn der Verfassungsschutz die Partei in drei Bundesländern als gesichert rechtsextremistisch einstufe, habe der Staat die Pflicht, ein Verbotsverfahren in die Wege zu leiten, sagte Thierse. Es sei wichtig, „dass über ein AfD-Verbot gesprochen wird und so auch Wählerinnen und Wähler aufgerüttelt werden“, begründete Esken ihren Vorstoß.
„Es ergibt sich aus dem Inneren unseres Grundgesetzes, dass wir nicht einfach nur zuschauen dürfen, wenn da mal welche die Verfassung und die Grundwerte angreifen, sondern dass wir dann auch handeln müssen“, sagte Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig (SPD) nach dem Urteil gegen Björn Höcke wegen der Verbreitung einer verfassungsfeindlichen Parole. Gleichzeitig gehe die politische Auseinandersetzung mit der AfD weiter. „Das können uns die Gerichte und auch der Verfassungsschutz nicht abnehmen. Und wir müssen immer wieder aufmerksam machen, wie gefährlich diese Partei ist. Gerade gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, die sie aus Protest wählen.“
Die AfD ausschließlich politisch zu bekämpfen, reicht auch aus Sicht des Juristen und Politologen Bijan Moini nicht aus. Dieses Konzept sei gescheitert: „Es gehören alle Instrumente auf den Tisch – bevor es für ihren Einsatz zu spät ist.“
Spätestens seit den Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern im September 2024 spricht auch das politische Gewicht und damit die potenzielle Gefährlichkeit der AfD für ein Verbot: In Thüringen wurde die AfD mit 32,8 Prozent stärkste Kraft, in Sachsen mit 30,6 Prozent und in Brandenburg mit 29,2 Prozent der Stimmen jeweils zweitstärkste Kraft. Die AfD verfügt in den Landtagen von Thüringen und Brandenburg nun jeweils über eine Sperrminorität und kann so wichtige Entscheidungen blockieren, etwa Änderungen an der Landesverfassung oder die Ernennung von Richtern.
Was spricht gegen ein AfD-Verbot?
Die Gegner eines AfD-Verbotsverfahrens verweisen auf mögliche negative Folgen und Reaktionen in der Bevölkerung. Ein Verbotsverfahren - so die Befürchtung - würde dazu führen, dass sich erhebliche Teile der Bevölkerung weiter von der Demokratie entfremden.
Letztlich könnte das Verbot der AfD sogar weitere Sympathien einbringen, vermutet der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider (SPD). „Wenn wir eine Partei verbieten, die uns nicht passt, die in Umfragen aber stabil vorne liegt, dann führt das zu einer noch größeren Solidarisierung mit ihr“, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“. „Die Kollateralschäden wären sehr hoch.“
Auch an den rechtsextremen Einstellungen in der Bevölkerung würde das Verbot grundsätzlich nichts ändern, so die Argumentation einiger Verbotsgegner. Es sei besser, sich politisch mit der AfD auseinandersetzen. Das Ziel müsse sein, die AfD inhaltlich zu stellen und den Wählern zu verdeutlichen, „was die Konsequenzen ihrer inhaltlichen Positionen wären“, sagt Schneider.
Viele Kritiker verweisen auch auf die beiden gescheiterten NPD-Verbotsverfahren und die geringen Erfolgschancen eines AfD-Verbots. Angesichts des fraktionsübergreifenden Antrags für eine Bundestagsdebatte über ein Parteiverbot gibt es sowohl in der Bundesregierung als auch in den Bundestagsfraktionen große Zweifel, ob wirklich eine aktiv-kämpferische Verfassungsfeindlichkeit der AfD nachgewiesen werden kann.
Der Politologe Claus Leggewie argumentiert, dass ein Verbotsverfahren viel zu lange dauern würde und ein Erfolg nicht sicher sei. Gleichzeitig würde sich die AfD in eine Opferrolle begeben. Dass sich die Partei von weit rechts nach ultra-rechts entwickelt habe, liege an den Wählerinnen und Wählern.
„Es ist klar in Thüringen, wer Herr Höcke ist und was er für ein Typ ist, und trotzdem hat er 30 Prozent. Und diese 30 Prozent sind das Problem und nicht so sehr eine Partei, die dann als verfassungsfeindlich an den Pranger gestellt werden kann“, sagt er. „Wir müssen weniger über die AfD als Problem reden als unsere Demokratie nach vorne bringen und sie praktizieren, sie leben. Und dann relativiert sich das.“
Welche Alternativen gibt es zu einem AfD-Verbot?
Der Publizist und Jurist Heribert Prantl wirbt dafür, rechtsextremen Politikern wie Björn Höcke mit dem Artikel 18 des Grundgesetzes Grundrechte zu entziehen und die Wählbarkeit abzuerkennen. Das sei schneller möglich und einfacher zu handhaben als ein Parteiverbot, so Prantl. Auf der Plattform WeAct gibt es dazu eine Petition, die bereits mehr als eine Million Menschen unterschrieben haben.
Die Beweissituation sei bei Artikel 18 GG leichter als bei einem Parteiverbot, sagt Prantl - weil man nur das "verfassungswidrige und systemstürzlerische Agieren" von einzelnen Personen, und nicht von einer ganzen Partei, nachweisen müsse. Ein Antrag auf Verwirkung der Grundrechte kann vom Bundestag, von der Bundesregierung oder von einer Landesregierung gestellt werden. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet dann über Ausmaß und Dauer der Verwirkung.
Die Journalistin Ulrike Herrmann plädiert hingegen dafür, sich mit den Inhalten der AfD verstärkt politisch auseinanderzusetzen. Höcke die Grundrechte abzuerkennen, ändere nichts an den Einstellungen der AfD-Wähler: "Das Problem an Höcke ist ja nicht nur Höcke, das Problem sind die Wähler. Die wollen das."
Herrmann plädiert deswegen für eine Zukunftskommission Migration, um "Realitäten ins Bewusstsein" zu bringen. Es sei klar, dass Migration notwendig sei und ohne sie alles in Deutschland zusammenbrechen würde - "auch in Ostdeutschland".
Die Journalistin Valerie Höhne von der Süddeutschen Zeitung befürchtet, dass die AfD ein Verbotsverfahren nutzen könnte, um sich als Opfer zu stilisieren. Sie schlägt daher vor, nicht die Partei zu verbieten, sondern ihr die staatliche Finanzierung zu entziehen, wenn ihr eine Verfassungswidrigkeit nachgewiesen werden kann.
lkn, abr, ahe, jfr