Karin Fischer: "Crises of Democracy: Thinking in Dark Times" hieß die zweitägige, hochrangig besetzte Herbst-Konferenz am Hannah-Arendt-Institut des Bard College im Bundesstaat New York. Eingeladen war auch Marc Jongen, sogenannter "Chef-Denker" der AfD. Er sagte dort zum Beispiel dieses:
"In Germany we have experienced a tremendous loss of inner security. We have experienced a new kind of terrorism, formerly unknown, in our country, a rise of crimes committed by new immigrants. Also, if it is not politically correct to say so, but it is the truth proven by the statistics, namely severe crimes like robberies or rape, even murder. And the climate in the country has completely changed."
Als Repräsentant womöglich wiederkehrender "dunkler Zeiten" sehen jene Kritiker Marc Jongen, die nun nachträglich gegen seine Einladung protestieren. Mehr als fünf Dutzend Universitätsprofessoren in den USA haben den Brief unterschrieben, in dem auch hervorgehoben wird, dass die rechten Gedanken der AfD nun ausgerechnet von einem Hannah-Ahrendt-Institut legitimiert wurden. Christian Volk, Professor für Politische Theorie und Recht am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin hat die Debatte intensiv beobachtet, Herr Volk, vielleicht fassen Sie die Argumente der beiden Seiten nochmal kurz für uns zusammen?
Christian Volk: Wir haben auf der einen Seite die Vertreter des Hannah-Arendt-Centers – insbesondere in Person von Roger Berkowitz. Und Roger Berkowitz vertritt die Position, dass, wenn wir etwas über die Krise moderner Demokratien heute erfahren wollen, müssen wir auch jene zu Wort kommen lassen, die vielleicht in ganz besonderer Weise für diese Krise mit verantwortlich sind: nämlich die Rechtspopulisten. Und auf der anderen Seite wird die Position aufgemacht, dass die AfD oder dass Jongen und die Rechtspopulisten schon über die entsprechende mediale Repräsentation ihrer Meinung verfügen und ihnen nicht noch zusätzlich in Form des Hannah-Arendt-Centers eine Bühne geboten wird, die sie dafür nutzen können, dass man dann sagen kann: "Seht mal, wir sind angekommen, sogar am Hannah-Arendt-Center mittlerweile."
Debatte verlaufe mitten durch Arendtforscher-Community
Fischer: Die Debatte ist ja nicht zufällig auch in der Hannah-Arendt-Community entbrannt. Wie wird denn dort argumentiert?
Volk: Das ist schwierig, es ist sehr, sehr kontrovers, es ist auch mit einem durchaus bitteren Tonfall, der dort vonstatten geht. Diese Debatte, die ich Ihnen jetzt gerade skizziert habe, oder die Frontstellung, die durchzieht auch die Arendt-Community, denn die Leute, die den offenen Brief unterschrieben haben, da sind auch viele Arendt-Forscher dabei. Und entsprechend verläuft auch die Debatte, also zwischen dem Plädoyer, Arendt sei stets jemand gewesen, die selbst eine Fluchterfahrung hinter sich hat, die nationalstaatskritisch war, gegen völkische Ideologien angegangen ist – auf der einen Seite. Und natürlich einer Denkerin, die sich aber – auf der anderen Seite – nicht davor gescheut hat und nicht davon zurückgetreten ist, unangenehme Dinge auch anzusprechen, wenn Sie an die Eichmann-Kontroverse denken oder die Debatten um Little Rock, also an die amerikanische Bürgerrechtsbewegung.
Fischer: Die Frage, ob die AfD Unsägliches wieder sagbar macht, ist vermutlich beantwortet, nicht aber die Frage, wie man nun reagieren soll, auch hier in Deutschland: reden oder ausschließen. Die Kritiker der Veranstaltung am Bard College hätten sich ein Gegenstatement, eine Einordnung der Thesen von Marc Jongen gewünscht. Was sagen Sie?
Volk: Ja, ich sehe das ähnlich. Ich glaube, was nicht gelungen ist in der ersten öffentlichen Darstellung des Hannah-Arendt-Centers, ist, die Frontstellung des Arendt'schen Denkens deutlich zu machen. Also die Frontstellung gegen jede AfD-Ideologie und -Programmatik. Das hätte man, glaube ich, ganz entschieden stärker deutlich machen müssen. Und was auch nicht so richtig gelungen ist, ist Jongen tatsächlich in der Diskussion zu stellen. Man sieht, wenn man diese Debatte sich anguckt, sieht man natürlich, dass er nicht gerade substantielle Sachen von sich gibt, um es mal vorsichtig auszudrücken, auch in der Debatte. Das kann aber auch etwas mit seinen Englischkenntnissen zu tun haben. Da hätte ich mir aber trotzdem noch eine entschiedenere Auseinandersetzung mit seiner Position gewünscht. Der dritte Punkt, warum ich es schwierig finde, ist natürlich, dass der Schritt heraus aus der Universität in die Öffentlichkeit gegangen wird durch diese Twitterposterei und natürlich durch die Aufzeichnung.
War der offene Brief in diesem Fall das richtige Medium?
Fischer: Die mediale Verwertungskette spielt sozusagen der AfD in die Hände?
Volk: Richtig. Und das ist natürlich das Problem. Ich habe mir natürlich auch Gedanken gemacht über diesen offenen Brief. Und es ist natürlich die Frage, ob der offene Brief das richtige Medium ist, um jetzt Berkowitz und das Hannah-Arendt-Center anzugehen. Auf der anderen Seite ist es natürlich so, dass in dem Moment, wo quasi diese mediale Verbreitungslogik via Twitter und Internetstream entfacht worden ist, in dem Moment muss man, glaube ich, der Instrumentalisierung dieses Ereignisses durch die AfD und durch Jongen auch entgegentreten. Und das tut eben dieser offene Brief, indem er sagt: Nein, Ihr seid nicht am Hannah-Arendt-Center angekommen bzw. Ihr seid nicht salonfähig. Wir Arendtianer und wir kritische-politische Philosophinnen und Philosophen treten Euch fundamental entgegen.
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