Bastian Rudde: Hunderttausende Menschen sind diesen Sommer in Tschechien auf die Straße gegangen um zu demonstrieren gegen Regierungschef Andrej Babiš. Der Großunternehmer bietet Kritikern reichlich Angriffsfläche. Ein Punkt ist die sogenannte Affäre "Storchennest". Für ein gleichnamiges Wellnessressort soll Babiš Fördermittel der Europäischen Union in Höhe von etwa zwei Millionen Euro veruntreut haben. Tschechiens Polizei hatte empfohlen, ihn anzuklagen. Dieser Empfehlung will die Staatsanwaltschaft offenbar nicht folgen, was eine heikle Entscheidung wäre. Bisher handelt es sich bei der vermeintlichen Nicht-Anklage um Medienberichte. Die nehmen das Babiš-Lager und die Opposition zwar bereits für bare Münze. Unser Tschechien-Korrespondent Peter Lange war in einem Gespräch vor dieser Sendung aber noch etwas zurückhaltender.
Peter Lange: Das ist schwer zu sagen. Also wenn ein verantwortlicher Staatsanwalt die Ermittlungen einstellen will, dann ist es erst mal schwer, darüber hinwegzugehen. Wir kennen aber keine Gründe. Bekannt ist nur, dass dieser Staatsanwalt, Jaroslav Šaroch, seine Rechtsauffassung geändert hat, aber nicht, in welche Richtung. Transparency International hat gestern drauf hingewiesen, das sei ein normaler prozedualer Schritt im Verfahren. Er hat also einen Entscheidungsvorschlag gemacht, mit dem Šaroch, so Transparency jedenfalls, wohl auch seine vorgesetzten Kollegen schon überrascht hat. Die werden nun die Aktenlage prüfen. 20.000 Seiten sind das inzwischen, das wird dauern, und erst dann wird die Entscheidung fallen, ob im Fall "Storchennest" Anklage erhoben wird oder nicht.
Skeptische Blicke auf neue Justizministerin
Rudde: Wie kommt denn diese Entwicklung an bei den Kritikern von Babiš?
Lange: Das verstärkt natürlich deren Argwohn und auch deren Sorge, und sie sehen sich vermutlich auch bestätigt. Im April hatte die Polizei ja die Ermittlungen abgeschlossen. Sie hat empfohlen, Anklage zu erheben. Am Tag darauf trat der Justizminister zurück. Zu seiner Nachfolgerin wurde Marie Benešová berufen, die war bis dahin Rechtsberaterin von Präsident Miloš Zeman, gilt als eine seiner Vertrauten, und sie war selbst mal leitende Staatsanwältin. Von ihr gibt es den Satz: In Tschechien können Unschuldige im Gefängnis landen. Die Kritiker von Babiš haben das so gedeutet, dass sie den Ministerpräsidenten im Grunde für unschuldig hält, und von daher kommt diese Sorge, dass Druck auf die Staatsanwälte ausgeübt wird seither, um das Verfahren zu stoppen. Deshalb gab es ja auch die Demonstrationen seit Ostern. Die Staatsanwälte sind eigentlich weisungsabhängig, aber wenn die Anklage erst mal bei Richtern liegt, dann wird das alles schwieriger zu beeinflussen.
Rudde: Mit dieser Personalie, die Sie angesprochen haben, im Justizministerium, da steht ja so ein bisschen die Frage im Raum, könnte die Entscheidung jetzt zugunsten von Babiš beeinflusst worden sein. Wie ist da Ihre Einschätzung?
Lange: Also ich bin mir halbwegs sicher, dass da hinter den Kulissen viele Gespräche gelaufen sind. Ob das unbotmäßiger Druck war, das kann man schwer beurteilen. Die Staatsanwälte stehen aber auch objektiv unter Druck. Also selbst wenn sie zu dem Schluss kommen sollten, wir halten die Vorwürfe der Polizei zwar für berechtigt, aber wir halten die Beweise für zu schwach, wir können das vor Gericht nicht durchbringen. Das werden ihnen dann vermutlich die Gegner von Babiš nicht abnehmen. Das hat was zu tun mit der politischen Kultur in diesem Lande. Wenn eine Entscheidung der Justiz jemandem nicht passt, dann ist er gern dabei zu sagen, na ja, das ist politisch motiviert. Das macht Babiš so, das macht die Opposition aber genauso.
"Storchennest" nur einer von mehreren Vorwürfen
Rudde: Gegen Babiš stehen verschiedene Vorwürfe im Raum. Welche Bedeutung hat dabei dieser Fall "Storchennest"?
Lange: Eigentlich ist der weniger schwergewichtig. Es geht um zwei Millionen EU-Subventionen, die er erschlichen haben soll. Er sagt selber aber auch immer wieder, das Geld haben wir längst zurückgezahlt und auch noch karitativ was oben draufgelegt, eigentlich ist das doch erledigt.
Der viel noch gewichtigere Vorwurf ist, er soll immer noch die Fäden in seinem Agrofert-Konzern in der Hand haben, obwohl der ja offiziell an Treuhänder übergeben ist. Der Vorwurf lautet, Babiš steckt in einem massiven Interessenkonflikt, entscheidet also über Dinge als Ministerpräsident, die seinem Konzern zugutekommen. Dazu gibt es einen Auditbericht aus Brüssel, dessen Inhalt bisher noch nicht so richtig bekannt ist, aber darauf hat das tschechische Regionalministerium gerade geantwortet. Hinzu kommt diese Stasi-Verstrickung von Babiš. Er war ja KP-Mitglied, im Außenhandel tätig, soll mit der Staatssicherheit damals kooperiert haben, was er bestreitet. Dazu kommt, dass seine Regierung von den Kommunisten toleriert wird, und das ist für die, die vor 30 Jahren auf die Straße gegangen sind, um dieses Regime loszuwerden, einfach unerträglich.
Rudde: Aber abschließend können wir wahrscheinlich schon festhalten, sollte es tatsächlich nicht zu einer Anklage kommen, dass seine Rolle, sein Amt als Premierminister wahrscheinlich gefestigt wurde damit.
Lange: Das wird so sein. Das hängt mit der Lage bei den Sozialdemokraten ab, die ČSSD ist ja sein Juniorpartner in der Minderheitsregierung. Die würde in dem Falle, gäbe es eine Klage, wieder vor der Frage stehen, ist das jetzt der Zeitpunkt, die Regierung zu verlassen, wenn der Ministerpräsident nicht von selber zurücktritt. Diese Zerreißprobe bleibt ihnen in so einem Fall erspart, aber der Druck von der Straße würde wieder zunehmen vermutlich, also neue Großdemonstrationen, was aber an der politischen Situation im Kern nichts ändert, solange im Parlament keine absolute Mehrheit gegen Babiš zustande kommt, und solange Präsident Zeman zu seinem Premier steht, bleibt er als Ministerpräsident im Amt. Zeman hat übrigens gestern Babiš beglückwünscht zum 65. Geburtstag und auch schon mal zur Einstellung des Verfahrens.