Weltweit waren bis zum 22. Mai 2022 etwa 100 Fälle von Affenpocken-Erkrankungen bekannt, bei vier Personen wurde das Virus in Deutschland nachgewiesen. Die Gefahr einer weitreichenden Verbreitung sehen Expertinnen und Experten nicht. Es gebe einen gewaltigen Unterschied zwischen dem Coronavirus und dem Affenpockenvirus, sagte etwa der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit im Deutschlandfunk: "Das heißt, hier steht nicht zu befürchten, dass es zu einer Pandemie kommt."
Dennoch erinnert die Berichterstattung teilweise an die Anfänge der Corona-Pandemie, als für die ersten Fälle in den einzelnen Bundesländern jeweils Eilmeldungen rausgingen. Am Freitag pushten etwa Zeit Online, ZDFheute, Bild und ntv die Nachricht des ersten Falls von Affenpocken in Deutschland – letztere mit dem Hinweis "aber kein Grund zur Sorge".
Zu wenig Aufmerksamkeit für wichtigere Themen
Die Wissenschaftsjournalistin Kathrin Kühn hatte diese Art der Berichterstattung bereits vorhergesehen. "Mit einem Kollegen habe ich an den Tagen davor überlegt: Wenn jetzt der erste Fall in Deutschland kommt, explodiert die Lage wahrscheinlich."
Als Wissenschaftsjournalistin beobachtet Kühn, wie zuletzt große Publikationen über Zoonosen nur in der Fachcommunity thematisiert wurden und auch der Bericht des Weltklimarats IPCC teilweise kein prominentes Thema war.
"Es fühlt sich surreal an, dass so ein Affenpockenvirus eine riesige Aufmerksamkeit bekommt und die darunterliegenden Meta-Themen - die gelöst werden müssen, damit es nicht mehr zu etwas in der Form kommt - weniger Aufmerksamkeit bekommen", so Kühn im Deutschlandfunk.
Dennoch sieht die Journalistin einen Lerneffekt durch die Corona-Pandemie. "Ich hatte schon das Gefühl, dass Dinge, die vorher reflexartig passiert sind, nicht passiert sind." Es habe zum Beispiel weniger Eilmeldungen gegeben.
Wichtig sei zu wissen, wie solche Nachrichten bei den Menschen aufgenommen werden. "Wenn ich mehr dazu wissen möchte, nehme ich die ganzen Infos und beziehe sie auf mich, auf meinen Einzelfall." In der wissenschaftlichen Einordnung würden solche Neuigkeiten eher im gesamten Kontext gesehen.
"Wenn so eine Information dann in Schlagzeilen gegossen und gepusht wird, erzeugt man den Effekt bei den Menschen, dass es für sie in der Form relevant wird, wie es auch für die relevant ist, die sich strukturell damit beschäftigen." Die Frage sei, was man als Medium erreichen wolle, so Kühn. "Will ich die Nation in Wallung bringen und beängstigen oder will ich aufklären?"
Bezeichnung "Affenpocken" ist irreführend
Es habe außerdem eine Selbstreflektion unter Virologinnen und Virologen stattgefunden, meint Kühn. Der Name "Affenpocken" für das Virus erzeuge Bilder im Kopf, dabei seien die eigentlichen Wirte Nagetiere. Vielleicht müsse man zukünftig auch darauf schauen, damit Aufmerksamkeitsspiralen durch Namen nicht angetrieben werden. "Affenpocken - das ist neu und erfüllt viele Sensationskriterien."
Sexuelle Orientierung spielt bei Verbreitung keine Rolle
Manche Medien meldeten, dass Männer, die mit Männern Sex haben, besonders betroffen seien. Kathrin Kühn kritisiert diese Berichterstattung und verweist auf die Pressekodex-Richtlinie gegen Diskriminierungen.
"Es gibt keinen Anlass dafür, über die Art und Weise zu spekulieren, wie sich das Virus verbreitet, sondern wir müssen darüber aufklären, auf welche Weise man sich anstecken kann. Das kann überall da passieren, wo Menschen im engen Kontakt miteinander sind", sagte sie und verwies auf eine Einschätzung des Leiters der Infektiologie an der Universitätsklinik Charité in Berlin, Leif Erik Sanders. Er schrieb auf Twitter, dass Affenpocken sich nicht für sexuelle Orientierung oder Geschlecht interessierten.