Friedbert Meurer: Noch ist der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr nicht zu Ende. Aber wenn sie Kundus jetzt verlässt – einige Soldaten werden noch bis Ende 2014 in Afghanistan bleiben -, der gestrige Tag war doch ein Einschnitt für die Mission. In den letzten Jahren ist die Stimmung in Deutschland immer kritischer geworden, mit jedem Bundeswehrsoldaten, der getötet wurde, mit jedem Bild, das Tote und Verletzte in Afghanistan zeigte. Andererseits könnte damit auch das Kalkül der Taliban aufgehen, das da lautete, einfach abwarten, bis den westlichen Staaten das Land keine eigenen Verluste mehr wert ist.
Martin Gerner ist Journalist, berichtet für uns und andere Medien seit Jahren aus Afghanistan, und er hat auch einen preisgekrönten Dokumentarfilm gedreht über die "Generation Kundus". So heißt jedenfalls der Titel dieses Dokumentarfilms. Guten Tag, Herr Gerner.
Martin Gerner: Hallo!
Meurer: Wer ist denn die Generation Kundus?
Gerner: In meinem Film sind das fünf Protagonisten im Alter von 10 bis 22 Jahren. Und was kennzeichnet diese Protagonisten? Sie sind aufgewachsen in diesen schwierigen Zeiten, 2008 folgende. Da wurde es immer instabiler in Kundus. Sie kennen auch die Taliban-Zeit zugleich. Und sie haben natürlich eine Meinung über die ausländische Präsenz, die wir selten finden in unseren Nachrichtensendungen. Um da ein Beispiel zu geben: Da ist der zehnjährige Schuhputzer Mirwais. Der sagt gleich zum Anfang: Wenn ein Jet abstürzt, sterben vier Insassen und 15 meiner Landsleute. Also ein Kind, das knallhart redet, das eine Kindheit in unserem Sinne nicht hat. Oder, um das noch kurz zu sagen, eine Journalistin, die meint, die Afghanen kämpfen in der ersten und zweiten Reihe. Aus meiner Sicht, sagt sie, kämpfen die ausländischen Truppen in der dritten Reihe. Das sind Meinungen, mit denen wir da konfrontiert werden.
Meurer: Das klingt jetzt so, als sei die Generation Kundus gespalten in der Wahrnehmung. Soll man sich freuen, dass die Ausländer jetzt abziehen, die Bundeswehr?
Gerner: Das ist eine gute Frage. Das ist eine gute Frage deshalb, weil undankbar sind diese jungen Leute überhaupt nicht. Sie profitieren durchaus von der Präsenz, nicht nur der ISAF, sondern auch der internationalen Hilfe. Kommunikationsmittel, Blogging-Kurse können Sie in meinem Film sehen, all das sind neue Neuheiten, die die Menschen, die jungen Menschen gerne aufsaugen buchstäblich. Aber es gibt auch Sätze wie, die Ausländer haben hier ausschließlich das Sagen, und das ist unakzeptabel für uns Afghanen. Konkret auf den Abzug bezogen, gibt es die Erwartung, dass ordentlich ausgebildet wird. Aber ordentlich wird dann in dem Sinne definiert, wir möchten möglichst die gleichen technischen, militärischen Mittel übernehmen, und das ist ein großer, großer Streitpunkt, übrigens auch aktuell im afghanisch-amerikanischen bilateralen Sicherheitsabkommen.
Meurer: An welche Mittel, sagen wir, an welche Waffen wird denn da gedacht?
Gerner: Der Streit geht immer wieder um harte Artillerie, starke Artillerie. Es geht um Luftstreitkräfte. Die Frage, wenn die ISAF es konnte, in entscheidenden Situationen durch Lufteinsatz immer wieder die Situation zu bereinigen, zu den eigenen Gunsten, und warum sollen wir als Afghanen das nicht in ähnlichem Maße führen. Das ist übrigens eine Diskussion, die unter den afghanischen Offizieren und Generälen, mit denen ich gelegentlich spreche, auch geführt wird.
Meurer: Wie groß ist die Gefahr, dass die Taliban sozusagen das Provinzlager Kundus überrennen werden?
Martin Gerner ist Journalist, berichtet für uns und andere Medien seit Jahren aus Afghanistan, und er hat auch einen preisgekrönten Dokumentarfilm gedreht über die "Generation Kundus". So heißt jedenfalls der Titel dieses Dokumentarfilms. Guten Tag, Herr Gerner.
Martin Gerner: Hallo!
Meurer: Wer ist denn die Generation Kundus?
Gerner: In meinem Film sind das fünf Protagonisten im Alter von 10 bis 22 Jahren. Und was kennzeichnet diese Protagonisten? Sie sind aufgewachsen in diesen schwierigen Zeiten, 2008 folgende. Da wurde es immer instabiler in Kundus. Sie kennen auch die Taliban-Zeit zugleich. Und sie haben natürlich eine Meinung über die ausländische Präsenz, die wir selten finden in unseren Nachrichtensendungen. Um da ein Beispiel zu geben: Da ist der zehnjährige Schuhputzer Mirwais. Der sagt gleich zum Anfang: Wenn ein Jet abstürzt, sterben vier Insassen und 15 meiner Landsleute. Also ein Kind, das knallhart redet, das eine Kindheit in unserem Sinne nicht hat. Oder, um das noch kurz zu sagen, eine Journalistin, die meint, die Afghanen kämpfen in der ersten und zweiten Reihe. Aus meiner Sicht, sagt sie, kämpfen die ausländischen Truppen in der dritten Reihe. Das sind Meinungen, mit denen wir da konfrontiert werden.
Meurer: Das klingt jetzt so, als sei die Generation Kundus gespalten in der Wahrnehmung. Soll man sich freuen, dass die Ausländer jetzt abziehen, die Bundeswehr?
Gerner: Das ist eine gute Frage. Das ist eine gute Frage deshalb, weil undankbar sind diese jungen Leute überhaupt nicht. Sie profitieren durchaus von der Präsenz, nicht nur der ISAF, sondern auch der internationalen Hilfe. Kommunikationsmittel, Blogging-Kurse können Sie in meinem Film sehen, all das sind neue Neuheiten, die die Menschen, die jungen Menschen gerne aufsaugen buchstäblich. Aber es gibt auch Sätze wie, die Ausländer haben hier ausschließlich das Sagen, und das ist unakzeptabel für uns Afghanen. Konkret auf den Abzug bezogen, gibt es die Erwartung, dass ordentlich ausgebildet wird. Aber ordentlich wird dann in dem Sinne definiert, wir möchten möglichst die gleichen technischen, militärischen Mittel übernehmen, und das ist ein großer, großer Streitpunkt, übrigens auch aktuell im afghanisch-amerikanischen bilateralen Sicherheitsabkommen.
Meurer: An welche Mittel, sagen wir, an welche Waffen wird denn da gedacht?
Gerner: Der Streit geht immer wieder um harte Artillerie, starke Artillerie. Es geht um Luftstreitkräfte. Die Frage, wenn die ISAF es konnte, in entscheidenden Situationen durch Lufteinsatz immer wieder die Situation zu bereinigen, zu den eigenen Gunsten, und warum sollen wir als Afghanen das nicht in ähnlichem Maße führen. Das ist übrigens eine Diskussion, die unter den afghanischen Offizieren und Generälen, mit denen ich gelegentlich spreche, auch geführt wird.
Meurer: Wie groß ist die Gefahr, dass die Taliban sozusagen das Provinzlager Kundus überrennen werden?
Die Menschen sind immer misstrauischer geworden,
Gerner: Von diesem Bildszenario des Überrennens, ob das das Feldlager in Kundus ist oder die Hauptstadt Kabul, halte ich wenig. Zwar kann ihnen keiner im Moment ein klares Szenario sagen und selbst die drei, vier, die genannt werden, sind mit Vorsicht zu genießen. Ich glaube allerdings nicht, dass es ernsthafte Experten gibt, die sagen, die Taliban werden wie 1994, dann 1996 den Rest des Landes für sich einnehmen. Es wird möglicherweise auf Macht teilende Deals hier und da hinweisen, aber dass die Taliban wieder dieselbe Rolle spielen wie damals, das wird Ihnen ernsthaft kein Beobachter so mehr sagen.
Meurer: In Deutschland ist der Einsatz der Bundeswehr, von ISAF in Afghanistan, der Krieg der Amerikaner in Afghanistan in den letzten Jahren immer kritischer gesehen worden, sodass viele glauben, im Prinzip war alles umsonst. War alles umsonst?
Gerner: Das kommt darauf an, was Sie als die Zielgröße nehmen. Die hat sich ja verändert über die zehn Jahre. Als wir, als der Westen reingegangen sind nach Afghanistan, hieß es, State Building gleich nach der militärischen gelösten Aufgabe, neue Institutionen, Demokratie wurde großgeschrieben. Als dann Obama an die Macht kam, wurde das alles radikal zurückgefahren. Es hieß nur noch Ausbildung der Sicherheitskräfte so weit wie möglich und nötig, alles andere zu langfristig, zu teuer. Also woran messen wir uns, ist die Frage.
Meurer: Am wirtschaftlichen Erfolg zum Beispiel. Sind die Straßen besser geworden, sind Telefonleitungen gebaut worden, Krankenhäuser, Schulen, wird das bleiben?
Gerner: Ja, viel davon wird bleiben. Viel ist allerdings auch noch unfertig, auch nach zwölf Jahren noch. Die Frage ist deshalb ganz richtig, weil auch die Afghanen da nicht undankbar sind und nicht verkennen, dass die Infrastruktur, Kommunikation im Land sich radikal verbessert hat: von null auf 15 Millionen Handys, auf moderne Glasfaser, auf 3G-Sticks, die moderner sind als das, was wir hier in unseren Internet-Cafés in den kleineren Städten finden. Das wissen die Menschen schon zu würdigen. Bei den Frauen sind viele Gewinne der letzten Jahre, Stichwort Journalist sein im Fernsehen, möglicherweise in dieser oder jener Form des Auftretens bedroht. Ich glaube auch da nicht, dass die Taliban das Rad der Geschichte ganz zurückdrehen können. Was sich negativ verändert hat – und das erscheint mir wichtig zu sagen – über all die Jahre, und das hängt zusammen mit der Militärpräsenz und was sie auch nicht vermag zu sehen, glaube ich, bisher, ist eine ständige Verschlechterung in diesen Parallelwelten. Die Menschen sind immer misstrauischer geworden, von Jahr zu Jahr, und das kann ich physisch im Grunde nachvollziehen, zu dem, was internationale militärische Präsenz ist, und da reicht es nicht, guten Willen zu haben.
Meurer: Eins müssen wir ganz kurz natürlich noch erwähnen: die Bombardierung dieser beiden Tanklastzüge auf deutschen Befehl hin von Oberst Klein mit 140 Toten. Werden wir Deutsche seit diesem Ereignis gehasst?
Gerner: Nein, genauso wie das Wort Besatzung, was man im Persischen oder im Dari relativ seltener hört. Es sind die falschen Einheiten verbal. Es ist ein nuancierterer Blick auf die Deutschen, die historisch immer noch einen wesentlichen Bonus haben im Vergleich zu Engländern, zu Amerikanern allemal. Man hat sich natürlich viele Fragen gestellt. Es ist immer noch anhängig das Verfahren vor dem Landgericht Bonn. Das wird die deutsche Öffentlichkeit noch einige Zeit beschäftigen. Das Bild der Deutschen ist deshalb geschwächt, weil man sich fragt, ob Deutschland nicht im zivilen Bereich – und da höre ich viele auch aus der Generation Kundus, die Sie angesprochen haben – sich stärker engagieren kann, Stichwort akademischer Austausch. Es ist noch kein Journalist im akademischen Bereich in zwölf Jahren gefördert worden in Deutschland.
Meurer: Die Bundeswehr beendet ihre Mission in Kundus in Nord-Afghanistan – darüber sprach ich mit Martin Gerner, Autor, Journalist und Dokumentarfilmer. Sein Film <le_72481>"Generation Kundus"<le_72481> ist übrigens jetzt am Samstag im Fernsehen zu sehen: bei Phönix jetzt am Samstagabend um 22:30 Uhr. Danke für Ihren Besuch.
Gerner: Danke.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Gerner: Das kommt darauf an, was Sie als die Zielgröße nehmen. Die hat sich ja verändert über die zehn Jahre. Als wir, als der Westen reingegangen sind nach Afghanistan, hieß es, State Building gleich nach der militärischen gelösten Aufgabe, neue Institutionen, Demokratie wurde großgeschrieben. Als dann Obama an die Macht kam, wurde das alles radikal zurückgefahren. Es hieß nur noch Ausbildung der Sicherheitskräfte so weit wie möglich und nötig, alles andere zu langfristig, zu teuer. Also woran messen wir uns, ist die Frage.
Meurer: Am wirtschaftlichen Erfolg zum Beispiel. Sind die Straßen besser geworden, sind Telefonleitungen gebaut worden, Krankenhäuser, Schulen, wird das bleiben?
Gerner: Ja, viel davon wird bleiben. Viel ist allerdings auch noch unfertig, auch nach zwölf Jahren noch. Die Frage ist deshalb ganz richtig, weil auch die Afghanen da nicht undankbar sind und nicht verkennen, dass die Infrastruktur, Kommunikation im Land sich radikal verbessert hat: von null auf 15 Millionen Handys, auf moderne Glasfaser, auf 3G-Sticks, die moderner sind als das, was wir hier in unseren Internet-Cafés in den kleineren Städten finden. Das wissen die Menschen schon zu würdigen. Bei den Frauen sind viele Gewinne der letzten Jahre, Stichwort Journalist sein im Fernsehen, möglicherweise in dieser oder jener Form des Auftretens bedroht. Ich glaube auch da nicht, dass die Taliban das Rad der Geschichte ganz zurückdrehen können. Was sich negativ verändert hat – und das erscheint mir wichtig zu sagen – über all die Jahre, und das hängt zusammen mit der Militärpräsenz und was sie auch nicht vermag zu sehen, glaube ich, bisher, ist eine ständige Verschlechterung in diesen Parallelwelten. Die Menschen sind immer misstrauischer geworden, von Jahr zu Jahr, und das kann ich physisch im Grunde nachvollziehen, zu dem, was internationale militärische Präsenz ist, und da reicht es nicht, guten Willen zu haben.
Meurer: Eins müssen wir ganz kurz natürlich noch erwähnen: die Bombardierung dieser beiden Tanklastzüge auf deutschen Befehl hin von Oberst Klein mit 140 Toten. Werden wir Deutsche seit diesem Ereignis gehasst?
Gerner: Nein, genauso wie das Wort Besatzung, was man im Persischen oder im Dari relativ seltener hört. Es sind die falschen Einheiten verbal. Es ist ein nuancierterer Blick auf die Deutschen, die historisch immer noch einen wesentlichen Bonus haben im Vergleich zu Engländern, zu Amerikanern allemal. Man hat sich natürlich viele Fragen gestellt. Es ist immer noch anhängig das Verfahren vor dem Landgericht Bonn. Das wird die deutsche Öffentlichkeit noch einige Zeit beschäftigen. Das Bild der Deutschen ist deshalb geschwächt, weil man sich fragt, ob Deutschland nicht im zivilen Bereich – und da höre ich viele auch aus der Generation Kundus, die Sie angesprochen haben – sich stärker engagieren kann, Stichwort akademischer Austausch. Es ist noch kein Journalist im akademischen Bereich in zwölf Jahren gefördert worden in Deutschland.
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Gerner: Danke.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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