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Afghanische Flüchtlinge in Frankreich
Flucht vor der Abschiebung

Weil Deutschland, Dänemark oder Österreich nach Afghanistan abschieben, verlassen immer mehr Geflüchtete diese Länder. Sie gehen nach Frankreich, das nur Straftäter nach Afghanistan zurückschickt und wo die Anerkennungsquote wesentlich höher ist. Viele von ihnen aber landen erst einmal im Chaos.

Von Sabine Wachs |
    Ein Blick auf das Flüchtlingslager im Pariser Norden, in der Nähe der "Porte de la Chapelle".
    Das Flüchtlingslager im Pariser Norden. (AFP/ Geoffroy van der Hasselt.)
    Rund 400 kleine Zelte stehen dicht an dicht auf dem Platz unter der Autobahnbrücke nahe der Pariser Metro-Station Porte de la Chapelle. Hier, in dem wilden Lager, leben vor allem alleinstehende Männer, viele stammen aus Afghanistan. Alle sind illegal in Frankreich. Auf einem Vorsprung sitzt eine Gruppe junger Afghanen. In einem kleinen Metallbehälter haben sie ein Feuer angezündet, sie wärmen sich. Es riecht nach verbranntem Plastik:
    "Ich habe fünf Jahre in Dänemark gelebt", erzählt der 27-jährige Sahir. Vor zwei Monaten kam der Afghane nach Frankreich. "Ich bin dort zur Schule gegangen, habe die Sprache gelernt, Gelegenheitsjobs gemacht. Und dann haben sie gesagt, raus aus meinem Land. Sie haben meinen Asylantrag abgelehnt. Dann bin ich hierhergekommen. Lebe im Zelt. Das ist ein Scheißleben."
    Und trotzdem kommen immer mehr junge Afghanen aus anderen EU-Ländern nach Frankreich, vor allem nach Paris:
    "Es ist besser, in Deutschland sagen sie, du musst zurück nach Afghanistan. In Afghanistan jeden Tag ist Krieg. Frankreich ist besser, hier sagen sie nicht, du musst zurück. Ist besser auf der Straße, als in Afghanistan."
    Deutlich höhere Anerkennungsquote in Frankreich
    Erzählt Ali, der seinen Abschiebebescheid in Bayern bekommen hat und gerade an der Frühstücksausgabe der Heilsarmee ansteht. Über die sozialen Netzwerke hören viele Geflüchtete, dass es einfacher sei in Frankreich einen Aufenthaltstitel zu bekommen. Die Anerkennungsquote für Afghanen lag 2018 bei über 70 Prozent, in Deutschland lag sie im selben Jahr bei rund 50 Prozent. Das zeigen die Zahlen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Außerdem schiebt Frankreich im Gegensatz zu Deutschland, Dänemark oder auch Österreich in der Regel nicht nach Afghanistan ab:
    "Und das führt dazu, dass Personen, die in anderen EU-Staaten abgelehnt worden sind, jetzt einen neuen Asylantrag in Frankreich stellen wollen. Und so ziehen die Menschen von einem Land ins nächste."
    Sagt Pierre Henry, Präsident der Flüchtlingshilfsorganisation France Terre d’Asile. 2018 wurden die meisten Asylanträge in Frankreich von Afghanen gestellt. 9.400 Anträge, mehr als doppelt so viele, wie noch im Jahr davor. Fast alle von Geflüchteten, die schon vorher in anderen EU-Ländern waren, erklärt er. Diese Entwicklung stellt Frankreich vor neue Herausforderungen. Das Land hat schon jetzt ein Problem mit ankommenden Flüchtlingen. Es gibt kaum Erstaufnahmeeinrichtungen. Viele Geflüchtete leben, wie Sahir oder Ali, auf der Straße:
    "Ich setze mich schon lange für ordentliche Erstaufnahmeeinrichtungen ein. Menschenwürdige, damit niemand mehr unter der Brücken leben muss. Wir können das schaffen. Dass wir es nicht machen, liegt daran, dass wir es nicht wollen. Dass Frankreich denkt, die miesen Lebensumstände würden Menschen davon abhalten, zu kommen."
    Schlechte Lebensbedingungen in Frankreich
    Zu diesem Vorwurf und auch zur Frage, wie Frankreich vor allem mit Afghanen umgehen will, die in großer Zahl aus anderen EU-Ländern kommen, äußert sich das Ofpra, die französische Asyl-und Migrationsbehörde, auf Anfrage des ARD-Studios Paris nicht. Zwar schickt auch Frankreich im Rahmen des Dublin-Abkommens Geflüchtete in das EU- Land zurück, in dem sie erstmals registriert wurden. Allerdings lässt sich diese Regel umgehen: Wer mehr als sechs beziehungsweise 18 Monate im Land ist, kann einen neuen Asylantrag stellen. Das will Muhammad. Der Afghane, der unter der Pariser Autobahnbrücke steht, ist aus Österreich nach Frankreich gekommen:
    "Ich muss warten, weil ich bin Dublin, ich muss warten bis mein Fingerabdruck gelöscht wird. Das dauert sechs Monate, manchmal vier Monate. Und wenn ich nicht nach Österreich zurückmuss, wenn ich Glück habe, dann kann ich hier meinen Asylantrag stellen."
    Wieder hoffen, wieder bangen. Bis es soweit ist, schlägt sich Muhammad, genau wie Ali, Sahir oder die anderen im wilden Zeltlager auf eigene Faust durch. Ihr Weg von einem EU-Land unter die Brücke des nächsten, zeigt, wo Europa an seine Grenzen stößt, wie wichtig eine gemeinsame Asylpolitik wäre. Abschiebung würde dann in jedem Land Abschiebung bedeuten. Anerkennung aber auch Anerkennung.