Mustafa ist stolz auf das, was er erreicht hat. In den Büroräumen der Hamburger Beratungsstelle "Fluchtpunkt" faltet er ein DIN A4-Blatt auf. Sein Realschulzeugnis, Gesamtnote: 1,6.
"Ich wollte eigentlich dieses Jahr mein Abitur machen und ich habe den Platz auch bekommen, habe sogar eine Bestätigung von der Schule bekommen. Aber jetzt ist es mir unklar bzw. ich weiß nicht, wie es einfach mit mir weitergeht?"
Seit sechs Jahren lebt der 23-Jährige in Hamburg. Und bislang profitierte er von einer Senatoren-Regelung in der Hansestadt. 2005 hatte der parteilose Innensenator Udo Nagel den Mitarbeitern der Ausländerbehörde die Anweisung gegeben, Flüchtlingen aus Afghanistan eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen. Ohne Prüfung des Einzelfalls. Zu unsicher sei die Lage in dem Bürgerkriegsland, so die Begründung des einstigen Innensenators. Dass diese Regelung nun vom amtierenden SPD-Innensenator Andy Grote gekippt wurde, sorgt für viel Unruhe unter den in Hamburg lebenden Afghanen, erklärt der Jurist Heiko Habbe von der Beratungsstelle "Fluchtpunkt":
Von der Senatoren-Regelung zur Duldung
"Wir haben sehr, sehr viele Anfragen von Afghanen, die zur Zeit die Senatoren-Regelung noch haben, nun befürchten, dass ihr Titel nicht verlängert wird. Wir haben die ersten, deren Titel wirklich nicht verlängert worden ist. Es herrscht eine ungeheure Unsicherheit. Im schlimmsten Falle wird jetzt auch eine dauerhafte Duldung wieder rauskommen und dann die Angst vor der Abschiebung."
Hamburgs Innensenator Andy Grote kann die Aufregung zwar verstehen. Schließlich sei eine neue Situation entstanden, so der Sozialdemokrat. Aber zurzeit werde noch gar nicht nach Afghanistan abgeschoben, die Unruhe werde sich sicher legen, glaubt er. Letztendlich, so Andy Grote, hätte er nach der letzten Innenministerkonferenz keine andere Wahl gehabt: Er hätte die Senatoren-Regelung streichen müssen:
"Die pauschale Senatoren-Regelung hat mit dem Beschluss der Innenminister-Konferenz ihre Grundlage verloren."
Denn schließlich, das haben die Innenminister Ende letzten Jahres einstimmig beschlossen, gebe es mittlerweile durchaus Distrikte in Afghanistan, die sicher seien. Nicht für deutsche Touristen - so steht es in den Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes - wohl aber für die afghanische Bevölkerung. Das erklärte im Dezember 2015 Bundesinnenminister Thomas de Maizière im ZDF:
"Die Sicherheitslage ist kompliziert, aber das Ziel der Terroristen, der Taliban hier sind Funktionsträger. Nicht die normalen Bürger. Wer Uniformen trägt, wer mit der Regierung zusammenarbeitet, wer fürs Ausland arbeitet, der ist das Ziel und nicht die normalen Menschen."
Wie ernst die Sicherheitslage in Afghanistan aber derzeit wirklich ist, das erfährt der Hamburger Rafiq Shirdel zur Zeit hautnah. Shirdel ist Mitglied der Hamburger SPD, war damals maßgeblich am Zustandekommen der Senatoren-Regelung beteiligt und verbringt gerade die letzten Tage eines Besuchs in Kabul, seiner alten Heimat:
"Ich lebe hier seit drei Monaten. Ich bin nicht sicher! Ich gehe fast nicht raus. Ich bin immer zuhause. Ich gehe nur zum Einkaufen, dann komme ich wieder zurück. Und deswegen meine ich: Das, was das Auswärtige Amt erzählt, stimmt nicht! Das ist ein April-Scherz! Und nicht die Wahrheit."
Grote kündigt Einzelfallprüfung an
Muss Mustafa nun also fürchten, bald nach Afghanistan abgeschoben zu werden? Hamburgs Innensenator Andy Grote:
"Wir werden deshalb natürlich jetzt uns das jetzt in jedem Einzelfall ansehen und jeweils prüfen und bewerten: Wie sieht es mit der Rückkehrmöglichkeit aus. Und natürlich auch: Wie ist die Situation desjenigen, um den es geht. Etwa: wie lange ist jemand hier? Wie sehen die Integrationsfortschritte aus und danach individuell die Entscheidung im Einzelfall treffen."
Darüber, wie viele in Hamburg lebende Afghanen bislang von der Senatoren-Regelung profitiert haben, gibt es keine Angaben. Sicher scheint, dass ihre Unsicherheit weiter bestehen wird. Vielleicht, spekuliert Heiko Habbe von der Beratungsstelle "Fluchtpunkt", sei das aber auch das Ziel der Übung:
"Ich kann mir sowohl das Ende der Senatoren-Regelung als auch die Äußerung der Innenminister-Konferenz nur dahingehend erklären, dass es letztlich gar nicht darum geht, ob man abschieben kann, sondern dass es im Kern darum geht, ein Signal auszusenden an die, die vielleicht noch aus Afghanistan kommen könnten. Dass es letztendlich um Abschreckung geht."
Dass Hamburgs Innensenator Andy Grote die Regelung kippen musste, glaubt Heiko Habbe nicht. Schließlich haben sich Grotes Vorgänger die Senatoren-Regelung von der Innenministerkonferenz auch nicht absegnen lassen. Mustafa macht die Abschaffung der Regelung schon jetzt das Leben schwer. Obwohl er sich so viel Mühe gibt, in Deutschland anzukommen, in dem Land, dessen Fahne in seinem Zimmer an der Wand hängt.
"Ich habe eine Arbeit gefunden. Ich habe eine Stelle bekommen. Aber dann konnte er mich nicht einstellen. Weil es jetzt einfach unklar ist, ob ich hier bleiben darf oder ausreisen muss."
Wenn er hierbleiben darf, will er sich politisch engagieren, etwas bewegen. Im letzten Jahr ist Mustafa deshalb in die SPD in Hamburg-Barmbek eingetreten. Was rät er seinem Genossen, dem Innensenator Andy Grote?
"Man muss einfach diesen Leuten eine Chance geben! Damit man hier auch arbeiten kann. Beziehungsweise eine Familie gründen kann. Und irgendwann können sie davon auch profitieren! "