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Afghanistan-Abkommen
Auswirkung auch auf deutsche Truppenpräsenz

Ende 2014 wollen NATO-Kampftruppen ihren Einsatz in Afghanistan beenden. Nun haben die Regierungen der USA und Afghanistans ein Abkommen über die Zeit danach getroffen. Das habe auch Auswirkungen auf die Präsenz deutscher Truppen, sagt Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Markus Kaim im Gespräch mit Silvia Engels | 21.11.2013
    Silvia Engels: Am Telefon ist nun Markus Kaim, er leitet die Forschungsgruppe Sicherheit bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Das ist ein führendes Politikberatungsinstitut für Außenpolitik. Wir erreichen ihn in Washington. Guten Tag, Herr Kaim!
    Markus Kaim: Ich grüße Sie.
    Engels: Welches sind denn aus US-Sicht die wichtigsten Eckdaten dieses Sicherheitsabkommens?
    Kaim: Der wichtigste Punkt ist im Beitrag schon angesprochen worden: die Immunität amerikanischer Soldaten gegenüber afghanischen Gerichten. Das ist ein Punkt, der lange umstritten gewesen ist, der auch unter veränderten Umständen eine Bedeutung gewonnen hat, weil er nämlich dazu geführt hat, dass die Amerikaner ihre Truppen aus dem Irak abgezogen haben, als es um ein vergleichbares Abkommen gegangen ist. Dort ist eine Einigung in diesem Punkt genau gescheitert und das war der Hauptgrund, weshalb die USA ihre Truppen abgezogen haben. Und es war vor diesem Hintergrund der Regierung Obama ganz, ganz wichtig, eine entsprechende Immunisierung nicht gegenüber der amerikanischen Justiz, aber gegenüber der afghanischen Justiz zu erreichen.
    Engels: Der Entwurf sieht ja vor, dass nach 2014 bis zu 15.000 ausländische Soldaten im Land bleiben. Reicht das, um einen zu erwartenden Vormarsch der Taliban zu stoppen?
    Kaim: Es wird reichen, wenn bestimmte Rahmenbedingungen stimmen, wenn die afghanischen Sicherheitskräfte, die ja, was die nackten Zahlen betrifft, eigentlich so weit aufgebaut worden sind, wie sie aufgebaut werden sollten, nämlich etwa Polizei und Armee zusammen 350.000 Mann, wenn diese wirklich effektiv in der Lage ist, auf dem gesamten Staatsgebiet Afghanistans Sicherheit zu gewährleisten. Da sind noch einige Fragezeichen. Und die zweite Rahmenbedingung sind die Wahlen im nächsten Jahr, die Präsidentschaftswahlen im April nächsten Jahres. Sollte diese weiterhin oder wie die Wahlen davor den Eindruck hinterlassen, dass sie massiv gefälscht worden sind, wenn weiterhin das politische System von Korruption geprägt werden sollte und wenn dann viele Afghanen das Vertrauen in das politische System verlieren, dann befördert das natürlich die Rückkehr der Taliban.
    Engels: Vertrauen ist die Basis von allem. Sie haben schon die Probleme angesprochen. Effizienz ist ein Mangelpunkt, Korruption ist ein weiterer. Nun gibt es ja auch eine Problematik rund um den afghanischen Präsidenten Hamid Karzai. Er hat bei der Eröffnung der Loya Dschirga in Sachen USA klar gesagt, ich vertraue ihnen nicht und sie vertrauen mir nicht. Gemeint sind die USA. Welche Grundlage für eine weitere jahrelange Präsenz in Afghanistan kann das denn sein?
    Kaim: Da sprechen Sie einen ganz wichtigen Punkt an. Das persönliche Verhältnis zwischen den beiden Präsidenten, Obama und Karzai, ist sehr schlecht gewesen. Und aus innenpolitischen Gründen hat der afghanische Präsident auch vielleicht keinen USA-Hass geschürt, aber eine enorme Skepsis gegenüber der Verlässlichkeit und dem guten Willen der USA immer wieder aus innenpolitischen Gründen geschürt. Und das belastet enorm die bilateralen Beziehungen. Ein Punkt, der hier gerade auch in Washington sehr aufstößt, ist die Forderung, dass die USA oder der amerikanische Präsident hier Bedauern ausdrücken sollten für all das Leid, was sie in den letzten Jahren in Afghanistan hinterlassen haben – eine Forderung, die hier die Frage aufwirft, für welchen Zweck man denn das ganze Blut geopfert habe in Afghanistan. Also die politische und vertrauensvolle Grundlage für eine dauerhafte Zusammenarbeit ist erst einmal nicht gegeben.
    Markus Kaim
    Markus Kaim (foto-swp)
    Engels: Wie groß ist denn das strategische Interesse der USA, in Afghanistan präsent zu sein?
    Kaim: Der Worst Case, der schlimmste Fall für die USA wäre, dass Afghanistan zurückfällt in eine Situation wie in den 90er-Jahren, die Rückkehr der Taliban. Afghanistan würde in unterschiedliche Machtgebiete zerfallen und dann hätten wir eine Rückkehr von islamistischen Gruppen unterschiedlicher Provenienzen sehen. Damit wäre eigentlich das, was die internationale Gemeinschaft in den letzten 13, 14 Jahren in Afghanistan geleistet hat, völlig vergebens gewesen. Vor diesem Hintergrund erklärt sich dieses strategische Interesse der USA und sie scheinen sich ja – die Dokumente sind dazu nicht ganz klar – zumindest verpflichtet zu haben, weitere zehn Jahre in Afghanistan mit Militär präsent zu sein. Das bilaterale Sicherheitsabkommen sieht etwa vor, dass die USA bis 2024 ihre Truppen stationiert haben sollen. Das deutet darauf hin, auf ein strategisches Interesse, genau dieses Szenario zu verhindern, was ich gerade skizziert habe.
    Engels: Geht das strategische Interesse der USA denn so weit, dass sie auch Forderungen aus Afghanistan nachkommen würden, die zum Beispiel heißen, ein Ende der nächtlichen Razzien oder auch das Stichwort Entschuldigung?
    Kaim: Die Entschuldigungsfrage wird wahrscheinlich politisch geklärt werden und mit einem sehr feinen verbalen Akt abgeschlossen werden. Es wird wahrscheinlich keine Entschuldigung geben, aber einen Ausdruck des Bedauerns, sodass beide Seiten damit leben können. Und auch die Frage der nächtlichen Angriffe ist insofern etwas offen geblieben, weil die USA sich mit dem Abkommen verpflichten, nicht bei Nacht in afghanische Häuser einzudringen – mit der Ausnahme, sofern nicht Leib und Leben bedroht ist. Dementsprechend gibt es da auch noch eine entsprechende Klausel. Aber wenn man sich noch mal überlegt, welche Funktion die amerikanischen Streitkräfte in den nächsten Jahren haben, nämlich überhaupt keine Anti-Terror-Einsätze in Afghanistan durchzuführen, sondern sich wie alle anderen NATO-Staaten auch ausschließlich auf die Ausbildung und das Training der afghanischen Streitkräfte zu fokussieren, dann werden diese Situationen, wo das Eindringen von amerikanischen Streitkräften in afghanische Privathäuser droht, auch immer seltener werden.
    Engels: Rechnen Sie, um mal die Perspektive zu wechseln, umgekehrt damit, dass nun die große Ratsversammlung in Afghanistan das Abkommen mit den USA am Ende ablehnt?
    Kaim: Da wäre ich sehr überrascht, weil man muss sich vergegenwärtigen, diese große Ratsversammlung und deren Beschluss ist nicht bindend für den afghanischen Präsidenten. Alles sieht danach aus, als hätte er das vor allen Dingen aus innenpolitischen Gründen anberaumt, diese Veranstaltung, um die wichtigen Eliten in Afghanistan einzubinden und damit einen innenpolitischen Schutz für einen Schutzwall zu errichten, der vielleicht kontrovers sein wird. Vor diesem Hintergrund ist, glaube ich, nicht zu erwarten, dass die afghanische Versammlung jetzt dieses Abkommen ablehnen wird. Sie wird vielleicht den einen oder anderen kritischen Ton dazu machen und in diesem Sinne dient sie dann auch als Ventil für die innenpolitische Auseinandersetzung, aber ich glaube, vielen Afghanen ist klar: Sollten die USA am Ende des nächsten Jahres etwas überstürzt dann ihre Truppen vollständig aus Afghanistan abziehen, dann droht ein Rückfall in die 90er-Jahre.
    Engels: Was bedeutet denn dieses Sicherheitsabkommen zwischen Afghanistan und den USA, wenn es zustande kommt, für mögliche künftige Stationierungen deutscher Soldaten in Afghanistan?
    Kaim: Das war ja eine ganz große Frage. Die Bundeswehr oder die Bundesregierung hat bei ihren Planungen ja immer wieder betont, die notwendige Voraussetzung ist ein solches Abkommen, was dann nahezu inhaltsgleich zwischen der NATO und Afghanistan abgeschlossen werden würde. Wäre dieses Abkommen jetzt nicht zustande gekommen, oder würde es nicht zustande kommen – wir müssen ja noch die nächsten Tage abwarten -, dann würde damit auch die Grundlage eines deutschen Einsatzes nach 2014 entzogen. Vor diesem Hintergrund können jetzt die Planungen besser beginnen und die konkreten Zahlen der Bundesregierung sind ja bekannt gegeben worden, dass sie mit 800 Soldaten in Afghanistan plant und dann wahrscheinlich erst aber mit einem Zeitraum von zwei bis drei Jahren.
    Engels: Zwei bis drei Jahre wären das. Wenn Sie jetzt sagen, in diesem Abkommen mit den USA steckt womöglich eine Perspektive von zehn Jahren, ist es denkbar, dass auch für die deutschen Truppen die Präsenz noch verlängert wird?
    Kaim: Natürlich, nichts ist unmöglich und dem Deutschen Bundestag steht es frei, die Bundeswehr entsprechend lang zu mandatieren. Nur ich sehe nicht den politischen Willen, weil die grundsätzliche Tendenz ist ja ganz deutlich erkennbar: eine sukzessive Reduktion deutscher Truppen in Afghanistan und dann ein endgültiger Abzug. Es ist, glaube ich, ein großer Kraftakt schon gewesen, über 2014 hinaus deutsche Truppen in Afghanistan zu lassen. Und der politische Appetit auf eine weitere Stationierung ist, glaube ich, überschaubar.
    Engels: Markus Kaim, er ist Leiter der Forschungsgruppe Sicherheit bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Vielen Dank für das Gespräch. Wir haben Sie in Washington erreicht und dort am Flughafen, wie man auch etwas hören konnte. Aber vielen Dank für Ihre ganz frischen Einschätzungen.
    Kaim: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.