Der Atem dampft. Es ist grau, kalt und regnerisch. Das Wetter passt zur schlechten Stimmung von Haji Hassan Khan. Der Mann mit dem wettergegerbten Gesicht verkauft Tomaten auf einem Gemüsebasar in der Altstadt von Kabul. Er hat seine Ware fein säuberlich auf einer Holzschubkarre aufgestapelt.
"Afghanistan braucht dringend Frieden. Ohne Frieden ist es unmöglich, etwas aufzubauen. Ohne Frieden ist kein Leben möglich."
Haji Hassan Khan klagt über die Anschläge. Und über den Strom, der den Menschen in der afghanischen Hauptstadt in diesen kalten Tagen so sehr fehlt – seit die Taliban Ende Januar die wichtigste Stromleitung kappten. Der Anschlag stürzte weite Teile der Hauptstadt ins Dunkel. Und zeigt ihre Verwundbarkeit. Bis heute, denn der Strom ist noch nicht zurück. Taliban-Kämpfer haben weitere Masten gesprengt. Hinter den schützenden, hohen Mauern seines Palastes weiß Präsident Ashraf Ghani, was die Stunde geschlagen hat. Wenn die Schneeschmelze einsetzt, haben es die Kämpfer leichter, sich im Land zu bewegen.
"Die Zeit ist nicht auf unserer Seite. Wenn wir die Lage bis April nicht in den Griff bekommen, werden die Ereignisse über uns bestimmen. Wir verstehen alle, dass Februar und März wichtige Monate für uns sind, um ein neues Kapitel aufzuschlagen. Bleiben wir untätig, wird uns das einen hohen Preis abverlangen."
Afghanistans Regierung um Friedensinitiative mit Taliban bemüht
Die afghanische Regierung bemüht sich, mithilfe Pakistans, Chinas und der USA eine neue Friedensinitiative mit der afghanischen Taliban-Bewegung anzustoßen. Doch Gruppen, die sich zur radikal-islamischen Bewegung zählen, kämpfen unverdrossen weiter. Vor allem in der südafghanischen Provinz Helmand. Präsident Ghani macht vor allem den internationalen Drogenhandel dafür verantwortlich. Helmand produziert Rohopium – den Basisstoff für das Heroin, das sich Drogenabhängige in den USA und Europa in die Adern spritzen.
"Für was kämpfen sie? Es ist die kriminelle Wirtschaft, die diesen sinnlosen Konflikt anheizt. In Helmand geht es um Heroin und nicht um die politische Macht im Land. Die Wirtschaftskriminalität ermöglicht diesen Konflikt. Unser wahrer Feind ist die große Armut. Afghanistan und Pakistan haben enormes Wachstumspotenzial, aber es braucht einen scharfen Blick und viel Weisheit, um es auszuschöpfen, anstatt dem Volk Schaden zuzufügen."
Pakistan und Afghanistan erhalten beide viele Milliarden Dollar für ihr Militär, vor allem aus den USA. Dennoch verdächtigen sich die Nachbarn gegenseitig, die Taliban-Bewegungen im jeweils anderen Land zu unterstützen. Auch der Westen beschuldigt Pakistan inzwischen offen, einen afghanischen Frieden zu verhindern, um seinen strategischen Einfluss in der Region nicht zu verlieren. Sartaj Aziz, der außenpolitische Berater der pakistanischen Regierung, bestreitet die Vorwürfe und verweist darauf, dass auch sein Land ein Opfer des Terrors sei.
Im vergangenen Jahr fast 30 Anschläge in Kabul
"Ich möchte betonen, dass Pakistan die Sorgen der afghanischen Regierung teilt. Die Zunahme der Gewalt ist für uns eine große Herausforderung. Das Ziel unserer Bemühungen um Friedensgespräche muss die Reduzierung der Gewalt sein. Wir sind zuversichtlich, dass das gelingen kann."
Im vergangenen Jahr gab es allein in der afghanischen Hauptstadt Kabul fast 30 schwere Anschläge. Die Zahl der getöteten und verletzten Zivilisten ist höher als zu Zeiten des Taliban-Regimes. Mehrere hunderttausend Afghanen sind auf der Flucht. Im eigenen Land. Richtung Iran und Pakistan. Richtung Europa. Die Wirtschaft ist eingebrochen. US-General John Campbell, der bald die Führung der NATO-Mission abgibt, rät zur Wachsamkeit.
"Aus Afghanistan und Pakistan entspringt das, was wir Terrorismus nennen. Terror kennt keine Grenzen. Er wird Generationen beschäftigen. Wenn wir also denken, dass der Terror aufhört, wenn wir uns hier zurückziehen, und dass es danach keine neuen Anschläge auf Europa und unser Heimatland geben wird, dann sind wir naiv und machen wir uns selber etwas vor. Wir müssen uns hier langfristig verpflichten."
USA schicken mehr Soldaten in Afghanistans Süden
Der Truppenabzug ist gestoppt. Die USA schicken bis Ende des Monats mehrere hundert Soldaten nach Helmand in den Süden Afghanistans. Als Trainer und Berater, wie das amerikanische Militär ausdrücklich betont. Doch schon die heftigen Kämpfe um den ehemaligen Bundeswehrstützpunkt Kunduz im Norden im vergangenen Herbst haben gezeigt, dass das laut verkündete Ende des Kampfauftrags verwässert. Die langfristige politische Vision fehlt noch immer, sagt die afghanische Menschenrechtlerin Sima Samar.
"Es ist enttäuschend, dass die Politiker nicht aus ihren Fehlern lernen, die Supermächte eingeschlossen. Sie stürzen sich in neue Kriege. Kriege, um was zu erreichen? Können wir stolz darauf sein, immer weiter Menschen zu töten?"
15 Jahre nach dem US-geführten Einmarsch in Afghanistan sind alte afghanische Probleme ungelöst und neue hinzugekommen. Dazu gehören die machtgierigen Kriegsfürsten und ihre Milizen, die seit Jahrzehnten von Gewalt und Rechtlosigkeit leben. Nicht wenige sind Partner des Westens. Dazu gehören eine zerstrittene Regierung und eine gespaltene Taliban-Bewegung. Und dazu gehört neuerdings auch der selbst ernannte Islamische Staat, der versucht in Afghanistan Fuß zu fassen. Die logische Konsequenz ist der neue afghanische Exodus, den die globalisierte Welt stärker als jemals zuvor zu spüren bekommt.