Die Idee ist simpel. Man nehme eine Karte Afghanistans und den Satz: "Afghanistan braucht dich." Einfach ausdrucken und in die Kamera halten. Und in den sozialen Medien teilen. So funktioniert die Kampagne, die sich Shakib ausgedacht hat. Shakib, 23 Jahre alt, ein junger Geschäftsmann. Die Idee kam ihm auf einer Reise nach Amerika für junge afghanische Führungskräfte, organisiert vom amerikanischen Außenministerium:
"Wir waren zwölf Teilnehmer. Aber nur acht sind nach Afghanistan zurückgekehrt. Die anderen sind nach Kanada geflohen. Dabei ging es ihnen zu Hause gut. Sie hatten Jobs. Gute Jobs. Aber sie wollten ein noch besseres Leben."
Shakib hat sich so darüber geärgert, dass er die Kampagne "Afghanistan Needs You" ins Leben gerufen hat. Soziale Medien spielen unter jungen Afghanen eine überragende Rolle. Auf Facebook folgen der Kampagne inzwischen mehr als 9.000 Menschen.
"Hier in Afghanistan kann ich meine Persönlichkeit entwickeln. Als Flüchtling bist du ein Niemand in einem fremden Land. Hier aber kannst du einen großen Beitrag leisten. Hier in Afghanistan kannst du ein Anführer sein."
Die Kampagne startete am 21. September. Aber bewirkt hat sie nur wenig. Denn eine Woche später zerbröselte für viele Menschen im Land auch der letzte Rest Vertrauen und Glauben in eine Perspektive für Afghanistan.
Signal zum Aufbruch
Die Taliban überrannten Kundus. Eine Großstadt mit weit mehr als 100.000 Einwohnern. Mehr als eine Woche lang dauerten die Kämpfe an. Sie brachten Afghanistan nicht nur zurück in die internationalen Schlagzeilen, in denen das Land kaum noch vorkam. Sie waren vor allem für viele Menschen das Signal zum Aufbruch. Das weiß auch Shakib.
"Das ist ein großer Schock für alle, die hier im Land leben. Aber das ist nicht das erste Mal in unserer Geschichte, dass so etwas passiert. Wir haben niemals die Hoffnung verloren. Wir müssen mithelfen und im Land bleiben, wenn wir Frieden wollen."
Der Frieden scheint aber noch weit entfernt. 2015 war das bisher schwierigste Jahr für Afghanistan seit dem Sturz der Taliban. Ein Drittel des Landes ist Kampfzone. Schon im ersten Halbjahr wurden nach UN-Angaben fünftausend Zivilisten entweder getötet oder verwundet. Mehr als 100.000 Menschen mussten aus ihren Dörfern und Städten fliehen, weil dort gekämpft wurde.
Jeder fünfte Distrikt ist entweder in der Hand der Extremisten oder steht auf der Kippe. Kabul wurde von der schwersten Anschlagsserie seit Jahren getroffen. Und jetzt will auch noch der Islamische Staat will jetzt mitmischen. Er rekrutiert sich vor allem in Ost- und Südafghanistan aus früheren Taliban-Kämpfern und aus ausländischen Extremisten, etwa aus Usbekistan, Tschetschenien oder dem arabischen Raum. Einige Taliban ließen sich möglicherweise mit Geld ködern, so berichten es Ex-Kämpfer. Andere waren unzufrieden mit ihrem eigenen Netzwerk. Es gab einen Machtkampf innerhalb der Taliban, nachdem klar war, dass der Gründer und Anführer Mullah Omar tot ist.
Flucht ist keine Option
Nicht alle schworen seinem Nachfolger Mullah Mansur Gefolgschaft. Die Lage wird unübersichtlicher. Trotzdem ist die Flucht für Shakib und seinem Freund Moez, der die Kampagne "Afghanistan braucht dich" mit aufgebaut hat, keine Lösung.
"Wenn du nach Europa fliehen willst, musst du den Schleppern mindestens 10.000 Dollar zahlen. Mit der Hälfte davon kannst du dir hier in Afghanistan ein kleines Geschäft aufbauen."
Nur - wie ein Geschäft betreiben, wenn die Wirtschaft am Boden liegt? Die afghanische Bevölkerung ist jung, die Menschen brauchen Jobs. Aber viele Arbeitsplätze sind weggefallen, als die Internationalen Kampftruppen Ende 2014 abgezogen sind. Investoren machen einen großen Bogen um Afghanistan. Der Krieg hat somit das Ganze Land im Griff.
Prekäre Wirtschaftslage
Der junge Schriftsteller Taqi hat Arbeit bei einer internationalen Organisation, vom Schreiben könnte er nicht leben. Vor einem Jahr wurde er bei einem Selbstmordanschlag in einem Theater verletzt. Aber Taqi will bleiben. Viele Freunde dagegen sind längst weg. Anfangs, sagt Taqi, hat er es ihnen verübelt. Mittlerweile hat er Verständnis.
"Was mir wirklich Sorgen macht: Die Wirtschaftslage wird immer schlimmer. Ich befürchte, dass die Leute bald keine Geduld mehr haben werden, weil sie nicht mehr für ihre Familien sorgen können. Man kann es sehen, diese Hilflosigkeit vieler Menschen."
Auch die Bilder von ertrunkenen Flüchtlingen in afghanischen Medien halten die meisten Menschen anscheinend nicht ab zu gehen. Die Internationale Organisation für Migration in Kabul spricht von einem Exodus. Die deutsche Botschaft hat inzwischen auf großen Plakaten und auf Facebook eine Kampagne gestartet, die Afghanen vor der Flucht und vor allem vor überzogenen Erwartungen an ein Leben in Deutschland warnen soll.
Auch Shakib und Moez wollen sich weiter für ihre Heimat einsetzen. Sie glauben an eine Zukunft für Afghanistan. Denn der Wandel, sagen die beiden, brauche nun mal Mut und Geduld.