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Afghanistan
Der erbitterte Kampf um Kundus

Genau ein Jahr, nachdem die Provinzhauptstadt Kundus im Norden Afghanistans in die Hände der Taliban fiel, wiederholt sich der Kampf um die Macht. Die Bundeswehr war 2013 von dort abgezogen. Inzwischen ist sie wieder vor Ort. Kämpfen dürfen die deutschen Soldaten nicht. Sie sind als Trainer und Berater im Einsatz.

Von Sandra Petersmann |
    Bundeswehrsoldaten im Helikopter auf dem Weg nach Kundus
    Bundeswehrsoldaten im Helikopter auf dem Weg nach Kundus (Deutschlandradio/ Sandra Petersmann)
    Die Sonne scheint nicht an diesem trüben 2. Oktober. Berge, die Wüste und versteckte Dörfer mit hoch ummauerten Lehmhäusern rauschen unter dem Bauch des Bundeswehr-Helikopters vorbei. Die Laderampe ist offen. Der Bordschütze hat ein schweres Maschinengewehr im Anschlag. Der Hubschrauber bringt Soldaten vom deutschen Feldlager in Mazar-i-Sharif nach Kundus. Der Flug durch den Norden Afghanistans dauert eine knappe Stunde.
    An diesem 2. Oktober leben 72 NATO-Soldaten in einer alten amerikanischen Baracke im Camp Pamir der afghanischen Armee, darunter neun Deutsche. Die afghanische Kaserne liegt am westlichen Stadtrand von Kundus. Von hier aus sind es etwa sieben Kilometer bis ins Zentrum. Die Soldaten sind für die Trainingsmission "Resolute Support" vor Ort. Chef der NATO-Truppen im Norden Afghanistans ist der deutsche General Hartmut Renk in Mazar-i-Sharif.
    "Wir sagen ja, dass die afghanischen Sicherheitskräfte selbsttragend sein sollen. Und dass nicht nur in einfachen Situationen, sondern auch in Grenzsituationen. Und das sind sie zurzeit noch nicht. Die brauchen, wenn es wirklich kritisch wird, intensive Beratung. Diese strategische Geduld empfehle ich zu halten, bis das wirklich zu einem tragfähigen Konstrukt geworden ist. Auch wenn das vielleicht noch ein bisschen länger dauert als sich manche erhoffen."
    Korrespondentin Sandra Petersmann im Gespräch mit dem Gouverneur von Kundus, Asadullah Omarkhel.
    Korrespondentin Sandra Petersmann im Gespräch mit dem Gouverneur von Kundus, Asadullah Omarkhel. (Deutschlandradio/ Sandra Petersmann)
    Der Gouverneur von Kundus ist an diesem trüben 2. Oktober bestens gelaunt. Asadullah Omarkhel besucht die kleine NATO-Truppe am Stadtrand regelmäßig. Er will vor allem in Deutschland Gehör finden. Omarkhel fährt im gepanzerten Wagen mit einem Konvoi aus zwei Dutzend Sicherheitskräften vor.
    "Ich kann mich in dieser Stadt frei bewegen", sagt er mit einem strahlenden Lächeln. Seine Gefolgsleute brechen in heiteres Gelächter aus. Der Gouverneur setzt noch einen drauf:
    "Ich weiß, dass Ihre Regeln das nicht zulassen, aber wenn Sie wollen, sind Sie bei mir in den besten Händen und wir gehen im Stadtzentrum spazieren."
    Forderungen nach wirtschaftlichen Investitionen
    Kundus hat in den letzten 15 Jahren viele Gouverneure erlebt. Asadullah Omarkhel ist seit Februar im Amt. An diesem 2. Oktober strahlt er große Zuversicht aus.
    "Jeder erinnert sich noch an den Massenangriff vor einem Jahr, als die Feinde der Menschlichkeit hier in Kundus plünderten und mordeten", erzählt Omarkhel. Jetzt sehe es viel besser aus. Es sei höchste Zeit für wirtschaftliche Investitionen.
    Soldaten der Bundeswehr in einem Helikopter unterwegs zu einem Kurz-Einsatz als Berater nach Kundus/ Afghanistan.
    Soldaten der Bundeswehr unterwegs zu einem Kurz-Einsatz als Berater nach Kundus/ Afghanistan. (Deutschlandradio/ Sandra Petersmann)
    Keine 24 Stunden später greifen die Taliban aus allen vier Himmelsrichtungen an. Kleine Kämpfergruppen spazieren durch das Stadtzentrum von Kundus und rücken auf den Sitz des Gouverneurs vor. Die Extremisten verschicken Videos über den Kurznachrichtendienst twitter. Sie machen sich lustig über den afghanischen Staat und seine ausländischen Partner, die sich zeitgleich zur großen Geberkonferenz in Brüssel versammeln.
    Häuserkampf in Kundus: Die USA schicken Spezialkräfte zur Verstärkung. Die Soldaten der Bundeswehr, die in einem stark abgesicherten Camp mitten im afghanischen Feldlager Pamir am Stadtrand stationiert sind, greifen nicht ein. Ihren alten Stützpunkt, den sie im Oktober 2013 räumten, können sie von hier aus sehen. Die Deutschen sind nicht zum Kämpfen zurückgekommen. Das erlaubt ihr Mandat nicht. Die Bundeswehr soll die afghanische Armeeführung beraten. Wenn Oberstleutnant Erik Rattat seine afghanischen Kollegen in ihrer Kommandozentrale besucht, wird er auf Schritt und Tritt von zwei anderen NATO-Soldaten bewacht - für den Fall, dass es einen Angriff aus den Reihen der Afghanen gibt.
    "Das ist ja wie eine Operation am offenen Herzen hier. Hier drüben, das Lagebild, das wird mehrfach am Tag aktualisiert, da sieht man dann die Feindlage. Und wir haben von morgens bis abends immer einen Berater hier, mindestens einen, der darauf drängt, dass Meldungen eingeholt werden, wenn Informationen fehlen, dass die Abläufe sich hier einspielen."
    Militärische Beratung ist ein mühsamer Prozess
    Afghanistan leidet seit vier Jahrzehnten unter Krieg und Gewalt. Militärische Beratung in einem derart kriegsgeplagten Land ist ein mühsamer Prozess. Die Kommunikation läuft mithilfe eines Übersetzers. Es gibt Reibungsverluste und kulturelle Missverständnisse. Es kommt erschwerend hinzu, dass sich die afghanischen Sicherheitskräfte auch selber schwächen: durch interne Machtkämpfe und Korruption.
    Afghanische Sicherheitskräfte stehen in der Stadt Kundus. Zuvor hatten Taliban die Stadt angegriffen.
    Afghanische Sicherheitskräfte stehen in der Stadt Kundus. Zuvor hatten Taliban die Stadt angegriffen. (imago / Xinhua)
    Viele ihrer Anführer sind Kriegsfürsten oder Milizenchefs. Alte Feindschaften existieren weiter. Die Verluste sind hoch. Das weiß auch Afghanistans bekanntester Soldat. Vier-Sterne-General Murad Ali Murad taucht an allen brennenden Fronten des Landes auf. Davon gibt es viele, weil keine Seite diesen Krieg militärisch gewinnen kann. Der General wirbt dennoch um Vertrauen.
    "Wir gehen sorgfältig und verantwortungsvoll mit der Unterstützung unserer internationalen Partner um", versichert er. Kundus soll nicht wieder wie vor einem Jahr in die Hände der Taliban fallen. Deshalb ist er vor Ort. Deshalb sind die deutschen Soldaten zurück in Kundus. Auch Murad Ali strahlt an diesem trüben 2. Oktober große Zuversicht aus.
    "Nordafghanistan ist ein strategisches Schlüsselgebiet für unsere Feinde, aber wir haben ihnen hier ein sehr blutiges Jahr zugefügt", berichtet der afghanische General. Die erneute Demütigung seiner Truppe durch zahlenmäßig unterlegene Taliban nur einen Tag später ist ein neuer Tiefschlag. Vor allem für die Moral der Bevölkerung, glaubt der deutsche NATO-General Hartmut Renk.
    "Ja, dieser Vertrauensverlust, das ist das Schlimmste. Die taktischen Erfolge, die man mit diesen kleinen Kräftegruppierungen erreichen kann, die sind überschaubar. Das, was wir in der Bevölkerung durch Propaganda an Schaden sehen, das ist viel schlimmer. Dem müssen wir viel stärker begegnen. Die Taliban versuchen aus einem minimalen Ansatz einen maximalen Erfolg zu generieren, und das müssen wir vermeiden."
    Ein schwacher Staat, dem die Bevölkerung nicht vertraut, ist zum Scheitern verurteilt. Die internationalen Geberländer versuchen im 15. Jahr ihrer Afghanistan-Mission das Land zu stabilisieren. Zum ersten Mal verfolgen sie dabei ein klar formuliertes, gemeinsames politisches Ziel: Sie wollen, dass die Afghanen in Afghanistan bleiben. Und sie wollen bereits geflohene Afghanen möglichst schnell hierhin zurückschicken. Der Kampf um Kundus hält an und sorgt für noch mehr Flüchtlinge.