Muhammad Shafiq "Safi" ist erst nicht zu sprechen, dann hat er es sich anders überlegt.
"Guten Morgen."
Es ist Freitag, der islamische Feiertag, und "Safi" trägt eine weiße Kurta, ein traditionelles Gewand. Das "Guten Morgen" hat Safi in Munster gelernt, er war dort auf der Panzerschule. Safi führt in seinen Besprechungsraum. Die Farbe an den Wänden bröckelt, die Bürostühle sind kaputt. Das Licht flackert. Safi kommandiert die Spezialpolizei in Kundus. Sein Unterstand befindet sich mitten im ehemaligen Feldlager der Bundeswehr.
"Seit die Deutschen weg sind, waren nur ein paar deutsche Journalisten hier. Aber von der Bundeswehr haben wir seit ihrem Abzug nichts mehr gehört."
"Probleme mit Talibankämpfern"
Das Lager in Kundus wirkt wie eine Geisterstadt im amerikanischen Mittleren Westen. Sand hat sich auf die Wege gelegt, Bäume und Büsche sind verdorrt. Ein Schild prangt am Zaun vor Safis Unterstand, auf deutsch steht darauf: "Tal der Tränen", warum, das weiß auch Safi nicht:
"Wir haben Probleme hier. Mit Talibankämpfern aus allen möglichen Gegenden. Aus Pakistan, aus arabischen Ländern und Usbekistan. Wir haben Bombenanschläge am Straßenrand, Angriffe auf Polizeiposten, was immer die Terroristen wollen."
Die Fahrt nach Kundus führt durch Dörfer, die fest in der Hand von Taliban sind. Tagsüber können Safis 260 Mann die Straßen meist absichern. Aber nachts überrennen Talibankämpfer ihre Posten. Safis Männer sind seit fünf Tagen im Dauereinsatz. Das ist auch der Grund, warum fast niemand im ehemaligen Bundeswehrlager anzutreffen ist.
Safi schickt Naqibullah, einen seiner Offiziere, mit auf einen Rundgang durchs Lager. Die Kantine, früher ein belebter Treffpunkt für die Bundeswehrsoldaten, ist völlig verwaist. Die Wasserhähne im Eingangsbereich sind kaputt:
"Wir kommen manchmal hierher zum Essen. Die Männer kochen aber woanders. Die Küche der Deutschen können wir nicht nutzen. Zu kompliziert."
Naqibullah zeigt einen Raum, der mal eine Brandschutzzentrale war. Die deutschen Bezeichnungen wie Voralarm oder Hauptmelder sagen ihm nichts. Naqibullah zeigt auf ein anderes Gebäude, das frühere Lazarett. Es ist komplett geschlossen:
"Wir bringen unsere Verwundeten woanders hin, meistens in die Stadt."
"Bauwirtschaft liegt am Boden"
Dort, in der Stadt, kursieren Geschichten von Menschen, die des Geldes wegen bei den Taliban anheuern. Denn in Kundus geht es bergab. Und besonders sichtbar wird das bei Ahmed Swaraj. Swaraj führt über sein Firmengelände am Stadtrand von Kundus. Zwei alte Lieferwagen sehen so aus, als seien sie lange nicht mehr gefahren worden. Stromaggregate und viele Baumaterialien liegen unter dem Vordach.
"Schauen Sie, diese Wagen hier, das Baumaterial, das gehört alles zur Firma. Auch die Diesel-Generatoren, die wir eigentlich draußen auf den Baustellen nutzen. Das steht jetzt alles hier herum. Wir haben keine Aufträge mehr."
Wir haben Ahmed Swaraj schon einmal getroffen, das war vor einem Jahr. Damals zog die Bundeswehr gerade ab aus Kundus, und Swaraj befürchtete den Niedergang seiner Stadt. Damals hatte er immerhin noch Arbeit. Er baute eine Schule. Das Geld kam von den Deutschen. Die Schule ist jetzt fertig. Von den 20 Mitarbeitern, die Ahmed Swaraj noch vor einem Jahr hatte, sind gerade mal vier geblieben, sie gehören zu Ahmeds Familie.
"Was die Bauwirtschaft angeht, liegt das Geschäft am Boden. Tischlereien sind geschlossen. Malereibetriebe auch. Alles, was mit dem Baugeschäft zu tun hat. Das liegt daran, dass die Sicherheitslage hier nicht gut ist."
"Jeder kämpft ums Überleben"
Gleich hinter Ahmeds Betrieb fängt das Talibangebiet schon an, hinter den ersten Feldern. Die Schule, die er irgendwo dort auf dem Land gebaut hat, kann Ahmed nicht besichtigen. Zu gefährlich, sagt er. Ahmed Swaraj hat inzwischen Besuch bekommen, von Salmay, einem Apotheker. Er sagt dasselbe: Seit die Deutschen weg sind, geht es bergab. Nicht mal für Medikamente würden die Menschen noch Geld ausgeben.
"Wir wissen einfach nicht, was die Zukunft uns Gutes bringen könnte."
Auf die Frage, wie lange die Deutschen denn noch hätten bleiben sollen, hat aber auch Salmay keine Antwort. Dass einige deutsche Entwicklungshelfer im Auftrag der Bundesregierung derzeit sechs Projekte in Kundus betreuen, zum Beispiel den Bau von Wasserleitungen, davon wissen er und der Bauunternehmer Ahmed Swaraj nichts. Ahmed hofft, dass es in Kundus irgendwann mal auch ohne deutsche Hilfe bergauf gehen wird.
Kommandeur Safi, der Chef der Polizei, kennt die Lage in der Stadt sehr gut. Und sie gefällt ihm ganz und gar nicht. Inzwischen ließen die Behörden sogar Motorräder verbieten. Taliban hatten darauf immer wieder gezielte Attentate verübt.
"Natürlich kämpft hier jeder ums Überleben. Der Autowäscher. Der Ladenbesitzer. Der Restaurantbesitzer. Alle. Es wird dort immer problematischer."
Befürchtet er, dass all das auch zu mehr Sicherheitsproblemen führen wird? Safis Antwort folgt sofort:
"Ja, ich denke, das wird es."
Zwei Tage nach dem Interview wird Safi zugeben müssen, dass bei den fünftägigen Kämpfen in der Provinz nicht nur viele Taliban, sondern auch 20 Zivilisten getötet wurden.