Die Jungs tragen Trikots von Ronaldo und Messi. Sie jagen den Ball leidenschaftlich über die staubige Ebene. Den Bombenkrater in der Mitte ihres Spielfeldes umspielen sie gekonnt. Fußball ist für die afghanischen Kicker der Eintritt ins große Vergessen. Einfach mal für ein paar Stunden abschalten von der Unsicherheit.
"Wir brauchen hier vor allem eins: Sicherheit. Wenn wir in Sicherheit leben können, dann können wir alles erreichen, dann gefällt uns selbst der Staub, den wir hier aufwirbeln."
Qais und seine Freunde sind Schüler und Studenten. Sie kicken vor der imposanten Ruine des Darul Aman Palastes im Westen der afghanischen Hauptstadt. Das zusammengeschossene Gebäude aus den 1920er-Jahren wurde vom deutschen Architekten Walter Harten entworfen und erinnert stark an den Berliner Reichstag. Der Darul Aman Palast hätte mal der Sitz des afghanischen Parlaments werden sollen – doch heute erinnert die durchlöcherte Ruine vor allem daran, dass Afghanistan seit über drei Jahrzehnten im Krieg feststeckt. Daran haben auch 13 Jahre Nato-Kampfeinsatz nichts geändert.
"Warum die Afghanen bis heute gegeneinander kämpfen? Weil uns die Bildung fehlt. Aber wenn wir endlich in Sicherheit leben könnten, dann könnten wir gute Schulen und Universitäten bauen und gute Lehrer und Professoren ausbilden. Wenn Afghanen sich bilden, werden sie endlich selber wissen, was gut und was schlecht für sie ist. Und dann werden sie aufhören zu kämpfen."
Die Ausländer kommen schon lange nicht mehr
Die Ruine des Palastes vor den Toren Kabuls ist ein beliebtes Fotomotiv. Deswegen hat sich Ibrahim diesen Standort ausgesucht, um Maiskolben vom Kohlegrill zu verkaufen. Aber heute bleiben die Touristen weg. Die Ausländer kommen schon lange nicht mehr, und die Afghanen trauen sich heute auch nicht mehr. Die Angst vor Selbstmordattentätern und ferngezündeten Bomben sitzt tief. In den vergangenen Wochen hat es in Kabul fast jeden Tag geknallt. Theaterbesucher, Mütter, Väter, Kinder. Niemand ist sicher.
"Das Problem liegt auch bei uns, in unseren Köpfen", glaubt Ibrahim. Und ergänzt: "Es gibt auch hier in Kabul Menschen, die die Taliban unterstützen. Und es gibt Menschen, die Geld vom Ausland annehmen, um uns gegeneinander auszuspielen." Maisverkäufer Ibrahim ist erst 40 Jahre alt. Doch der harte Alltag hat tiefe Furchen in sein Gesicht gegraben. Er war sein halbes Leben auf der Flucht, jetzt versucht er in Kabul sein Glück.
"Wir alle wünschen uns einfach nur Frieden"
Die Hauptstadt hat sich in den vergangenen 13 Jahren sehr entwickelt. Es gibt glänzende Shopping-Center, in deren Schaufenster kurze, rote Cocktailkleider hängen. Wo früher Ruinen standen, sind prächtige Villen wie Pilze aus dem Boden geschossen. Die Basare sind voll. Es gibt Internet und Mobilfunk. Aber die Millionen-Stadt hat keinen Frieden gefunden. Die Wirtschaftskraft hängt vom Ausland und von illegalen Drogengeschäften ab. Korruption, Machtgier, Gewalt und Angst höhlen den Staat aus, dessen Herz in Kabul schlägt. Die Extremisten sind in der Offensive. Ohne ausländische Hilfe ist dieser Staat nicht überlebensfähig.
"Wir alle wünschen uns einfach nur Frieden. Es macht mir nichts aus, hier für immer in der Kälte Maiskolben zu verkaufen. Hauptsache es gibt Frieden."
Der Winter naht. Die Fußballjungs haben keine Zeit für seine Maiskolben. Sie sind längst wieder in ihr Spiel vertieft. Ibrahim dreht der Palast-Ruine den Rücken zu, packt ein und zieht weiter.