Riesiges Gedränge vor dem nationalen Passamt in Kabul im vergangenen Herbst, als der afghanische Exodus seinen Höhepunkt erreichte. Bilal ist 16. Seine Familie stammt aus der umkämpften Provinz Nangarhar im Osten Afghanistans. Hier kontrollieren die Taliban große Gebiete. Sie liefern sich heftige Gefechte mit abtrünnigen Kämpfern, die sich zum selbst ernannten Islamischen Staat bekennen.
"Hier in Afghanistan läuft einfach alles falsch. Es gibt überhaupt keine Sicherheit, die Wirtschaft ist schlecht, es gibt keine Arbeit und keine Gerechtigkeit", klagte Bilal vor fast einem Jahr.
"Hier in Afghanistan läuft einfach alles falsch. Es gibt überhaupt keine Sicherheit, die Wirtschaft ist schlecht, es gibt keine Arbeit und keine Gerechtigkeit", klagte Bilal vor fast einem Jahr.
Sein Traumziel: Deutschland
Im vergangenen Jahr haben mehr als 45.000 minderjährige Afghanen wie Bilal in der EU Asyl beantragt. Die jungen Afghanen machten 51 Prozent aller minderjährigen Flüchtlinge aus. Auch Bilal hat sich im vergangenen Herbst mit seiner Familie auf den Weg gemacht. Zuerst gemeinsam und legal mit Pass und Visum in das Nachbarland Iran. Dann illegal mit Schleppern in die Türkei. Von dort aus sollte Bilal, der älteste Sohn der Familie, dann alleine weiterreisen. Über das Mittelmeer nach Griechenland, dann über die Balkan-Route weiter nach Deutschland.
"Wenn es auch nur einen guten Grund gäbe zu bleiben, würden wir es tun, aber es gibt keinen", versicherte Bilal damals.
Die Eltern und jüngeren Geschwister sollten nachkommen, sobald der älteste Sohn Deutschland sicher erreicht habe, erklärte Bilals Mutter Farida im vergangenen Herbst. Die Familie hatte alles verkauft, um die Schmuggler bezahlen zu können. Haus, Grundstück, Auto, Schmuck. Aber es reichte nicht für alle auf einmal.
Alles für die Flucht verkauft
"Es ist besser, es zu versuchen und auf der Reise zu sterben als hier in Afghanistan zu sterben. Die Extremisten wollen, dass unsere Söhne für sie kämpfen. Unsere Töchter sind in Gefahr, zwangsverheiratet zu werden", berichtete Farida.
Es ist unbekannt, ob Bilal und seine Familie Europa erreicht haben. Die alten Mobil-Nummern funktionieren schon seit Monaten nicht mehr. Ihre Heimat, die ostafghanische Provinz Nangarhar, ist heute das Zentrum des sogenannten Islamischen Staates in Afghanistan. Nangarhar liegt im Osten Afghanistans, an der pakistanischen Grenze.
Eigener IS-Radiosender
Der selbst ernannten IS betreibt in Nangarhar einen eigenen Radiosender, um mit islamistischer Propaganda neue Kämpfer anzuwerben. Der Sender ist schon zweimal aus der Luft angegriffen und ausgeschaltet worden, doch er hat das Senden nach kurzer Pause wieder neu aufgenommen. US-Militärkreise gehen von bis zu 3.000 aktiven IS-Kämpfern im Osten Afghanistans aus. Bei der Mehrzahl handelt es sich offenbar um unzufriedene, jüngere Taliban-Kämpfer, die nach der Verkündung des Todes von Taliban-Gründer Mullah Omar im Sommer 2015 die Seite gewechselt haben. Der Führungsstreit der afghanischen Taliban ist bis heute nicht beigelegt.
Auch in der pakistanischen Taliban-Bewegung gibt es Abspaltungs-Tendenzen hin zum IS. Die Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan ist durchlässig und schwer zu kontrollieren. Kämpfer wechseln hin und her. Ob es direkte operative Kontakte zwischen der IS-Führung im Nahen Osten und den Taliban-Splittergruppen in Afghanistan und Pakistan gibt, ist unklar. Doch es scheint viel Geld zu fließen. Die Kämpfe halten an. Immer mehr Flüchtlinge aus Nangarhar erreichen die Hauptstadt Kabul.