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Afghanistan
Gauland (AfD): Verantwortung für diejenigen, die für die Bundeswehr gearbeitet haben

AfD-Fraktionschef Alexander Gauland hat sich im Dlf für eine Aufnahme afghanischer Ortskräfte ausgesprochen, allerdings nur für jene Menschen, die für die Bundeswehr gearbeitet haben. Gauland räumte ein, dass es bei der Aufnahme von Menschen auf Afghanistan keine einheitliche Linie der AfD gebe.

Alexander Gauland im Gespräch mit Silvia Engels |
Aktuell, 22.06.2021, Berlin, Dr. Alexander Gauland bei seinem Statement im Vorfeld der Fraktionssitzung der AfD Bundestagsfraktion im Reichstagsgebaeude
AfD-Fraktionschef Gauland wirft der Bundesregierung nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan "völliges politisches und militärisches Versagen" vor (picture alliance / Flashpic / Jens Krick)
Nach der Machtübernahme der islamistischen Taliban in Afghanistan zeigt sich die oppositionelle AfD uneinig, ob Menschen aus dem Land nach Deutschland kommen dürfen sollen. "Wir haben dazu keine offizielle Linie", sagte Alexander Gauland, Ko-Vorsitzender der AfD-Bundestagsfraktion, im Dlf. Er selbst sprach sich dafür aus, Ortskräfte der Bundeswehr aufzunehmen. Dazu sei Deutschland verpflichtet.
"Das gilt für die, die wirklich für die Bundeswehr gearbeitet haben", erklärte Gauland. "Jetzt wird ja gefordert, dass auch Menschen, die gar nicht für uns gearbeitet haben, zu uns kommen sollen, bloß weil die afghanische Regierung nicht mehr da ist. Das geht nicht! Wir müssen das Asylrecht nicht einfach aushebeln, indem wir alle zu uns reinlassen, aber wir müssen ganz deutlich machen, dass wir eine Verantwortung für die haben, die wirklich gefährdet sind, weil sie für uns gearbeitet haben."

"Abwarten, wie die Taliban sich verhalten"

Unter anderem die Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl Alice Weidel hatte eine Aussetzung des Asylrechts gefordert. Gauland glaubt, dass das juristisch nicht machbar wäre. Allerdings solle man das Asylrecht auch nicht aushebeln. Man könne "nicht von vornherein allen Menschen in Deutschland ein Aufenthaltsrecht geben". Das geltende Recht formuliere akute Verfolgung als Bedingung. Gauland macht deswegen einen Unterschied zu den Vertreterinnen und Vertretern von Hilfsorganisationen. "Wir wissen nicht, ob diese Menschen verfolgt sind. Das Arbeiten für eine Organisation ist nicht von vornherein etwas, von dem die Taliban jetzt gesagt haben, die werden wir vor Gericht ziehen oder die werden wir zur Verantwortung ziehen."
Man müsse nun "abwarten, wie sich die Taliban verhalten". In Afghanistan werde eine neue Regierung gebildet – bis diese stehe, könne man Abschiebungen in das Land "ein paar Tage" aussetzen, aber nicht länger". Der AfD-Politiker hält es für nicht komplett unrealistisch, dass Flüchtlingen in Afghanistans Nachbarländern geholfen werde. Es werde eine Normalisierung geben, dann würden auch die Grenzen zu Anrainerstaaten offen sein.
Taliban-Kämpfer in der afghanischen Stadt Kandahar am 13. August 2021 
Diese Strategie verfolgen die Taliban
In Afghanistan haben die Taliban die Macht übernommen und Präsident Ghani hat das Land verlassen. Ihre überraschend schnellen militärischen Erfolge sind auch auf Fehler des Westens zurückzuführen. Wie organisieren sich die Taliban und was kommt nun auf die afghanische Bevölkerung zu?
Die Taliban führten von 1996 bis 2001 ein hartes islamistisches Regime in Afghanistan. In der Woche nach dem Einmarsch im August 2021 hatten sie sich unter skeptischen Blicken der Weltöffentlichkeit konziliant präsentiert und eine Regierung auch unter Beteiligung von Frauen und Nicht-Taliban angekündigt. Zugleich gab es auch Berichte über Ausgangssperren und Gewalt gegen die Zivilbevölkerung.
Wenige Tage nach ihrer ursprünglichen Ankündigung sprachen die Taliban von einem Staat ohne Demokratie auf Basis der Scharia, des islamischen Rechts. Ein religiöser Gelehrtenrat soll etwa darüber beraten, ob und wie Frauen arbeiten oder Mädchen zur Schule gehen dürfen.

Das Interview im Wortlaut:
Silvia Engels: Die Opposition hat in den vergangenen Tagen die Afghanistan-Politik der Bundesregierung vehement kritisiert. Auch der Ko-Fraktionschef der AfD, Alexander Gauland, war zu vernehmen. Er kritisierte in der Zeitung "Die Welt", "die Bundesregierung habe den richtigen Zeitpunkt für die Evakuierung verschlafen." Herr Gauland, hatten Sie denn schon Wissen darüber, wann der richtige Zeitpunkt für die Evakuierung aus Kabul war?
Alexander Gauland: Nein, natürlich nicht! Woher sollten wir das wissen? Aber die Kritik richtet sich ja vor allem dagegen, dass offensichtlich der Bundesnachrichtendienst und das Auswärtige Amt nicht rechtzeitig erkannt haben, dass die afghanische Zivilgesellschaft in keiner Weise bereit ist, ihr Land zu verteidigen, und da hätte man in der Tat früher handeln müssen. Aber der Außenminister hat ja gestern deutlich gesagt, dass sich da alle geirrt hätten. Mehr kann man dazu nicht sagen.
Engels: Nun haben aber die Grünen schon Ende Juni einen Antrag gestellt, weil sie die Lage für fragil hielten, solle man die Evakuierungen auch von afghanischen Ortskräften beschleunigen. Sie haben damals nicht zugestimmt. Warum eigentlich nicht?
Gauland: Nein, weil das natürlich sehr problematisch ist. Wenn die Informationen, die dazu führen sollen, im Grunde genommen nicht da sind, dann heißt eine Evakuierung ganz klar, dass man die Afghanen vorher im Stich lässt, und das hat ja auch gestern der Außenminister gesagt. Dieses Bild wollte man nicht der Welt zeigen.

"Ich kann Ihnen keine einheitliche Linie der AfD sagen"

Engels: Nun läuft die Evakuierung. Sie haben in der "Welt" auch gefordert, die afghanischen Ortskräfte der Bundeswehr und ihre Familien auszufliegen. Ist das die offizielle und einheitliche Linie der AfD?
Gauland: Ich kann Ihnen keine einheitliche Linie der AfD sagen. Wir haben keine Beschlüsse darüber gefasst. Ich habe immer deutlich gemacht, dass die, die für die Bundeswehr gearbeitet haben – da haben wir eine Verantwortung dafür und die müssen geschützt werden, und das gilt natürlich für sie und die Familien. Das gilt für die, die wirklich für die Bundeswehr gearbeitet haben.
Engels: Sie haben keine Beschlüsse als AfD bislang dazu gestellt. Aber offenbar gibt auch das Meinungsbild im Moment ein breites Spektrum her. Da haben wir zum Beispiel Ihre Jugendorganisation, die Junge Alternative. Die hat seit der Entwicklung von Anfang der Woche geschrieben, keine Aufnahme afghanischer Ortskräfte. Auch Björn Höcke, der AfD-Chef in Thüringen und dortige Fraktionschef sagte am Montag: "Den Bürgern jetzt neuerliche Millionen-Summen für tausende afghanische Staatsbürger aufbürden zu wollen, ist nicht hinnehmbar." Was ist denn nun die offizielle AfD-Linie, afghanische Ortskräfte der Bundeswehr mit Familie aufnehmen, ja oder nein?
Gauland: Ich sage ja, wir haben dazu keine offizielle Linie. Meine persönliche Meinung ist, dass die Menschen, die für uns gearbeitet haben, denen gegenüber haben wir eine Verpflichtung. Aber das muss exakt begrenzt sein auf diese Menschen. Jetzt wird ja gefordert, dass auch Menschen, die gar nicht für uns gearbeitet haben, zu uns kommen sollen, bloß weil die afghanische Regierung nicht mehr da ist. Das geht nicht! Wir müssen das Asylrecht nicht einfach aushebeln, indem wir alle zu uns reinlassen, aber wir müssen ganz deutlich machen, dass wir eine Verantwortung für die haben, die wirklich gefährdet sind, weil sie für uns gearbeitet haben.

Asylrecht "für Schutz von einzelnen Personen" geschaffen

Engels: Sie sagen, nicht alle reinlassen. Das steht aber wieder in starkem Kontrast zu Alice Weidel, Ihrer Co-Fraktionschefin, die zu diesem Thema eine Null-Asyl-Strategie verlangt und ein Moratorium, überhaupt niemanden reinzulassen. Wie passt das denn zu Ihrer Einschätzung?
Gauland: Ich fürchte, dass ein Moratorium des Asylrechts juristisch nicht machbar ist. Frau Weidel hat politisch eine Forderung gestellt, die man natürlich unterstützen kann, weil das Asylrecht nicht für eine Masseneinwanderung geschaffen ist, sondern für den Schutz von einzelnen Personen. Und sie fürchtet – und das fürchten wir alle -, dass es eine Völkerwanderung gibt. Aber ich fürchte umgedreht, dass das Asylrecht das nicht hergibt, dass man es in kumulu aufhebt.
Engels: Nun sind Sie aber Chef der größten Oppositionsfraktion, stehen kurz vor der Bundestagswahl, und bei diesem wichtigen Thema Asyl haben wir zwei Stimmen. Frau Weidel will das eine, Sie sagen, rechtlich nicht umsetzbar. Wie wollen Sie denn vom Wähler ernst genommen werden, der eine einheitliche Linie verlangt?
Gauland: Wissen Sie, die Afghanistan-Geschichte ist eine so schwierige Situation, die so plötzlich über uns hereingebrochen ist, und die Bundesregierung spricht mit so vielen Zungen, dass Sie erlauben müssen, dass durchaus in der Opposition unterschiedliche Meinungen ausgesprochen werden. Und noch mal: Ich bin gegen jede Masseneinwanderung. Ich bin gegen jeden Versuch, Afghanen jetzt per Luftbrücke alle nach Deutschland zu holen. Aber ich bin dafür, dass die, die für uns gearbeitet haben, hier ein Recht haben, aufgenommen zu werden.

Sind Ortskräfte von Hilfsorganisationen auch bedroht?

Engels: Sie haben mehrfach angesprochen, das betrifft Ortskräfte, die für die Bundeswehr gearbeitet haben. Wie steht es denn mit afghanischen Ortskräften von deutschen Hilfsorganisationen? Von denen gibt es ja auch einige. Sollen die kommen oder nicht?
Gauland: Das kann man nicht so ohne weiteres sagen. Die Taliban haben ja gesagt, dass sie die Leute nicht verfolgen werden. Von daher muss man erst mal abwarten, wie sich die Taliban verhalten. Es kann nicht sein, dass Leute, die fürchten, in Zukunft mal bedroht zu sein, schon kommen. Da bin ich auch dagegen, sondern nur wirklich konsequent diejenigen, die für die Bundeswehr gearbeitet haben.
Engels: Die AfD plädiert aber generell dafür, in Krisenregionen so zu agieren, dass Konflikte vor Ort entschärft werden und die Menschen nicht fliehen müssen. In Afghanistan haben sich aber nun über Jahre NGOs mit ihren Ortskräften genau darum bemüht, und die AfD will nun diese Ortskräfte von internationalen Organisationen im Stich lassen. Wie passt das zusammen?
Gauland: Ich weiß nicht, warum Sie da irgendeinen Widerspruch sehen. Wir haben ein Asylrecht. Das Asylrecht sagt, dass Menschen ein Aufnahmerecht haben, wenn sie verfolgt sind. Wir wissen nicht, ob diese Menschen verfolgt sind. Das Arbeiten für eine Organisation ist nicht von vornherein etwas, von dem die Taliban jetzt gesagt haben, die werden wir vor Gericht ziehen oder die werden wir zur Verantwortung ziehen. Von daher muss man das abwarten und kann jetzt nicht von vornherein allen Menschen in Deutschland ein Aufenthaltsrecht geben. Noch mal: Beschränkt muss es sein auf die, die für die Bundeswehr gearbeitet haben.
Engels: Aber sogar Experten, die einen differenzierteren Blick auf die Taliban verlangen, wie gestern beispielsweise Jürgen Todenhöfer hier im Deutschlandfunk, haben Zweifel, ob sich die Taliban im Vergleich zu früher so gewandelt haben, dass man wirklich abwarten könnte, ob sie jetzt solche Menschen, die sich für westliche Werte engagiert haben, besser behandelt oder nicht. Wieso wissen Sie es besser?
Gauland: Was Herr Todenhöfer sagt, mag richtig sein. Aber wir haben nun mal ein Asylrecht, das akute Verfolgung und nicht mögliche Gefährdung in der Zukunft zur Grundlage einer Aufnahme in Deutschland macht, und daran sollten wir festhalten.

"Abschiebungen ein paar Tage aussetzen"

Engels: Die AfD spricht sich auch seit Jahr und Tag für die Abschiebung abgelehnter afghanischer Asylbewerber von Deutschland nach Afghanistan aus. Ihr innenpolitischer Sprecher, Gottfried Curio, verlangte das sogar noch letzte Woche, als das Innenministerium aufgrund der Bedrohungslage die Abschiebungsflüge aussetze. Fordern Sie jetzt immer noch Abschiebungen nach Afghanistan?
Gauland: Solange das Auswärtige Amt keine neue Lageberichterstattung von sich gibt, ist das zumindest schwierig umzusetzen. Ja, ich bin dafür, dass jedenfalls Straftäter abgeschoben werden, aber natürlich muss es in ein Land sein, in dem zumindest eine Regierungsgewalt sichtbar ist. Also müsste man in der Tat ein paar Tage diese Abschiebungen aussetzen, bis sich klar geklärt hat, wie die Taliban in Kabul regieren.
Engels: Und wie erklären Sie das Herrn Curio?
Gauland: Ich glaube nicht, dass Herr Curio hier anderer Meinung ist, denn vor ein paar Tagen war noch nicht klar, als er das sagte, dass Afghanistan in diesem Tempo zusammenbricht.
Engels: Die AfD plädiert ja auch generell dafür, dass Flüchtlinge immer in der Region aufgenommen werden sollen. Nun haben Iran, Pakistan, andere Staaten die Grenzen zu Afghanistan vielfach dichtgemacht. Wie soll das gehen, dass Flüchtlinge regional aufgenommen werden? Ist das nicht komplett unrealistisch?
Gauland: Das mag im Moment schwierig sein, aber es ist natürlich nicht komplett unrealistisch, denn es wird ja eine Normalisierung sehr schnell vonstattengehen und dann werden die Grenzen nach den Anrainerstaaten offen sein und dann können natürlich Flüchtlinge da untergebracht werden. Das ist ja völlig verständlich. Wir können nicht eine Situation, die vielleicht jetzt eine Woche anhält, zur Dauersituation erklären. Im Moment wird offensichtlich in Afghanistan eine neue Regierung gebildet und wenn diese neue Regierung gebildet ist, muss man mit denen auch reden, falls es Schwierigkeiten gibt. Das ist völlig klar. Solange kann man die Abschiebungen aussetzen, aber nicht auf Dauer.

Kein Kommentar zu Vorwürfen gegen Weidel

Engels: Herr Gauland, wir müssen noch auf ein anderes Thema zu sprechen kommen, weil heute ein neuer Bericht auf dem Markt ist. Es gibt Vorwürfe gegen die Spitzenkandidatin und Kollegin an der Fraktionsspitze, Alice Weidel. Laut ARD und "Zeit" – die haben recherchiert – soll sie Zuwendungen des Berliner Politikberaters Opitz bekommen haben. Die Rede ist von Sachleistungen im Umfang von 10.000 Euro. Erst vor wenigen Wochen war ja ihre Bekanntschaft mit dem Berater Tom Rohrböck bekannt geworden. Auch da ging es um teure Hotelaufenthalte, die er bezahlt haben soll. – Wie werden Sie mit dem Fall umgehen? Was tun Sie konkret, um beide Fälle aufzuklären?
Gauland: Frau Weidel muss sich dazu selbst erklären. Ich kenne die Vorwürfe nicht und habe auch nicht vor, dazu Stellung zu nehmen. Wenn es Vorwürfe gegen Frau Weidel gibt, wird sie dazu Stellung nehmen. Bis jetzt haben sich alle Vorwürfe als haltlos erwiesen. Das wird sich auch diesmal erweisen. Aber Sie können mich nicht etwas fragen, was nur Frau Weidel beantworten kann.
Engels: Auf der anderen Seite müssen Sie ja auch die Gesamtsicht der Partei im Blick haben. Frau Weidel ist nicht irgendwer, sondern Spitzenkandidatin. Das muss Sie doch auch bewegen.
Gauland: Warum sollte mich das bewegen? Entschuldigung! Sie stellen mir eine Frage zu Frau Weidel, die nur Frau Weidel beantworten kann und nicht ich. Deswegen finde ich es unzulässig, Fragen mir zu stellen zu Sachverhalten, die ich nicht kenne.
Engels: Ich hatte Sie nur dazu gefragt, was Sie jetzt tun, um diese Fälle aufzuklären, denn Sie selber könnten ja auch Interesse haben.
Gauland: Es ist Ihre Aufgabe, bei Frau Weidel nachzufragen. Es ist im Moment nicht meine Aufgabe. Sie jonglieren mit einem Bericht und den sollten Sie dann Frau Weidel vorlegen. Ich weiß gar nicht, warum das so problematisch ist.
Engels: Das werden wir auch sicherlich tun. Nur es ist natürlich auch übliches Verhalten, kurz vor einer Bundestagswahl zu schauen, wie mögliche Berichte über Spitzenkandidaten das gesamte Parteigeschehen beeinflussen. Aber dazu haben wir die Positionen ausgetauscht. Ich bedanke mich für das Gespräch heute Früh bei Alexander Gauland, Co-Fraktionschef der AfD im Deutschen Bundestag.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.