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Afghanistan
Kabul zwischen Angst und Trotz

Der Krieg gehört in Kabul zum Alltag. Ständig gibt es neue Anschläge, und vor den Toren der Stadt lauern die Taliban. All das verunsichert die Menschen. Sie wollen sich der Gewalt nicht beugen. Doch viele Treffpunkte wie das Gästehaus Park Palace gibt es nicht mehr - das war vor Jahren noch anders.

Von Jürgen Webermann |
    Afghanische Sicherheitskräfte vor brennenden Trümmern nach der Explosion am Kabuler Flughafen.
    Erst vor wenigen Tagen gab es am Flughafen in Kabul eine schwere Explosion (AFP / Sha Marai)
    Die Spuren sind schon fast verwischt. Die Einschusslöcher sind kaum noch zu erkennen, die Wand ist ausgebessert, und frische Farbe hat die Erinnerung an jenen Abend im Mai übertüncht. Ahmed zeigt auf einen Tisch, der am Rande des kleinen Restaurants im ersten Obergeschoss steht. Ahmed ist der Manager hier.
    "Genau hier saß der Angreifer. Hier hat alles angefangen."
    Mittwoch, der 13. Mai 2015. Das Gästehaus Park Palace liegt nicht nur mitten in Kabul. Es ist auch bei Ausländern beliebt. Im Garten sollte an jenem Abend ein bekannter afghanischer Sänger auftreten. Dazu kam es aber nicht. Hashmat Habib wird das, was dann geschah, wohl nicht mehr vergessen.
    "Ich saß unten, im Garten mit einem befreundeten Pärchen. Ich begrüßte den Sänger gerade. Und da hörte ich die Schüsse. Der Schütze schoss von dort oben. Ein Sicherheitsmann erwiderte das Feuer. Da vorne saßen Freunde von mir, eine Italienerin, ein Kasache und ein junger Afghane. Sie wurden alle getötet."
    Mindestens ein junger Mann hatte eine Pistole eingeschmuggelt, obwohl das Park Palace von hohen Mauern umgeben ist und schwer bewacht wird. Im ersten Stock erschoss er Gäste im Restaurant. Dann feuerte er auf Hashmat Habib und die Gäste im Garten und dann auf die anrückende Polizei.
    "Die Schießerei ging hin und her, es dauerte alles sehr lange. Die Gäste im Restaurant – dam, dam, dam. Die Scheiben, Möbel, alles wurde zerstört. Wir lagen auf dem Boden. Einige wurden im Rücken getroffen. Die Patronen kamen aus Maschinengewehren. Und die hatte nur die Polizei."
    Fünf Stunden Angst und Chaos
    Ein Mann lehnt mit verschränkten Armen hinter dem Kopf an einer Wand.
    Der Schriftsteller Taqi befürchtet, dass die Menschen wegen der hoffnungslosen Wirtschaftslage die Geduld verlieren könnten. (Deutschlandradio / Jürgen Webermann)

    Fünf Stunden dauerte das Chaos an. Danach waren 14 Menschen tot. Der Angriff auf das Park Palace – nur ein Anschlag von vielen, auch in Kabul. Attentäter griffen die Justizbehörden an, schlugen in der Nähe eines Freizeitparks zu, sie attackierten das afghanische Parlament und ließen ganze Lastwagen voller Sprengstoff in die Luft fliegen. Laut den Vereinten Nationen haben die Taliban in den ersten sechs Monaten dieses Jahres in ganz Afghanistan 239 Anschläge verübt und dafür die Verantwortung übernommen, darunter zwölf schwere Anschläge in Kabul. Auch der Islamische Staat will inzwischen mehrere Selbstmordanschläge verübt haben. Der IS versucht seit einigen Monaten ebenfalls, sich in Afghanistan zu etablieren. All das verunsichert viele Menschen, so auch Hashmat Habib.
    "Um Kabul herum ist Taliban-Land. Ich habe ein Grundstück an der Straße nach Kandahar. Ich bin da in den vergangenen Jahren ständig hingefahren. Aber jetzt bin ich lieber vorsichtig."
    Während Habib redet, fliegen Hubschrauber über der Stadt, zu ihrem nächsten Einsatz. Taqi, ein junger Schriftsteller, hat im vergangenen Dezember einen Anschlag auf die französische Schule überlebt, damals wurde dort gerade ein Theaterstück aufgeführt.
    Taqi und seine Familie, er hat zwei Kinder, leben de facto in einem Kriegsalltag. Sie haben sich an die Bilder von martialisch gekleideten Soldaten, von hohen Schutzmauern, andauernden Sicherheitschecks und auch an das Geräusch von entfernten Explosionen gewöhnt.
    "Was mir wirklich Sorgen macht: Die Wirtschaftslage wird immer schlimmer. Ich befürchte, dass die Leute bald keine Geduld mehr haben werden, weil sie nicht mehr für ihre Familien sorgen können. Man kann es sehen, diese Hilflosigkeit vieler Menschen."
    Mit jedem Anschlag wird die Stadt trister
    Taqi selbst hat noch Arbeit. Aber fast alle seine Freunde haben sich ins Ausland aufgemacht.
    Hashmat Habib und die Besitzer des Park Palace Hotels wollen sich der Gewalt nicht beugen. Habib und der junge Manager Ahmed kümmern sich um die Renovierung. In wenigen Tagen wollen sie wieder eröffnen. Die Sicherheitsleute mussten sie austauschen, weil es vor dem Angriff eine undichte Stelle gegeben haben muss. Andere Mitarbeiter haben gekündigt, aus Angst vor neuen Anschlägen.
    "Wir hoffen, dass die Gäste uns aber wieder vertrauen werden. Wir hoffen, ihnen demnächst nicht nur das beste Essen, sondern auch die beste Sicherheit zu bieten."
    Viele Treffpunkte wie das Park Palace gibt es nicht mehr in Kabul – das war vor wenigen Jahren noch anders. Mit jedem Anschlag wird die Stadt ein wenig trister.