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Afghanistan
Karsai sieht politische Krise gelassen

Viele Menschen in Afghanistan trauern ihrem Ex-Präsidenten Hamid Karsai hinterher. Er ist nun eine Art Ruheständler, hält sich aus der Tagespolitik weitgehend raus. Die innenpolitische Krise sieht er ohnehin gelassen, den Militäreinsatz der USA bewertet er jedoch nach wie vor sehr kritisch.

Von Jürgen Webermann |
    Hamid Karsai, ehemaliger Präsident Afghanistans.
    Hamid Karsai schließt eine Rückkehr in die afghanische Politik aus. (ARD-Studio Neu Dehli / Jürgen Webermann)
    Es ist ein grauer Wintertag in Kabul. Nicht gut fürs Geschäft auf den Basaren der Stadt. Viel ist hier nicht los. Eid Muhammad winkt in seinen kleinen Laden, er verkauft traditionelle Kleider, zum Beispiel für Hochzeiten. Die Stimmung des kleinen, rundlichen Mannes mit dem weißen Cappy ist trübe: "Viele Leute haben keine Arbeit, es tut sich nichts. Die neue Regierung verspricht uns zwar viel, aber sie handelt nicht!" Selbst im vergangenen Jahr, als wegen des Abzugs der internationalen Truppen und eines langen Machtkampfes nach der Präsidentschaftswahl die afghanische Wirtschaft einbrach, lief Eid Muhammads Geschäft besser. Jetzt, sagt er, reicht das Geld gerade aus, um die Ladenmiete zu zahlen.
    Auch Obaidullah Hanif beklagt sich. Er ist Rechtsanwalt. Aber es kamen schon mal mehr Klienten, schimpft er. "Die Politiker haben unsere Wählerstimmen gerne genommen. Aber sie geben dafür nichts. Stattdessen ist die Verwaltung korrupt. Deshalb läuft es nicht gut." Kabul ist zwar neuerdings ein etwas sicherer Ort, seit einigen Wochen hat es keine größeren Anschläge mehr gegeben. Aber politisch geht es nicht voran. Die meisten Minister, die der neue Präsident Ghani und der de facto Premierminister Abdullah Abdullah vorgeschlagen haben, sind im Parlament durchgefallen. Das Ziel, rasch eine Regierung zu bilden und Wirtschaftsreformen durchzuführen, haben die neuen Machthaber verfehlt. Eid Muhammad und Obaidullah Hanif trauern bereits dem alten Präsidenten Hamid Karsai nach. "Unter ihm war es besser. Definitiv", so die einhellige Meinung der beiden.
    13 Jahre lang Afghanistan regiert
    Hamid Karsai selbst ist bester Laune. 13 Jahre lang hat Karsai Afghanistan regiert. Jetzt sieht er sich als eine Art Ruheständler. Er berät seinen Nachfolger zwar fast täglich, aber nur, wenn es um die großen Fragen geht. Friedensgespräche mit den Taliban zum Beispiel. Aus der Alltagspolitik halte er sich raus. Die politische Krise in seinem Land sieht Karsai ohnehin gelassen. "Ach wissen Sie, dass Minister im Parlament durchfallen, das ist mir auch passiert", erzählt Karsai. "Also haben wir neue Minister ernannt. Es dauert ein bisschen, aber ich mache mir darüber keine Sorgen."
    Dann wird Karsai aber rasch ernst. Er weiß um die Nöte vieler Afghanen, er weiß auch, wie gefährlich die Wirtschaftskrise für sein Land ist. Afghanistan ist fast komplett von internationaler Hilfe abhängig. Die Schuld für die Misere sucht er vor allem im Westen. Lange hatte sich Karsai mit den USA über ein Sicherheitsabkommen gestritten, das den Weg für einen neuen internationalen Einsatz frei machen sollte. "Die westlichen Medien haben aktiv das Vertrauen in Afghanistan untergraben. Immer wieder hieß es, ohne die internationalen Truppen wird das Land zur Hölle. Vor allem, wenn das neue Abkommen für einen längeren internationalen Einsatz nicht unterzeichnet wird. Und dass das Geld aus dem Land abfloss, hatte viel mit dieser Propaganda zu tun."
    Streitereien mit der US-Regierung
    Karsais Nachfolger Ghani hat den Weg für einen neuen NATO-Einsatz im Herbst 2014 schließlich frei gemacht. Karsai selbst hatte sich zuvor geweigert, das entsprechende Abkommen zu unterschreiben. Seine reservierte Haltung erklärt sich aus jahrelangen Streitereien mit der US-Regierung, der er in den letzten Jahren seiner Präsidentschaft nicht mehr vertraut hatte. Für das Vorgehen der internationalen Kampftruppen in Afghanistan, in deren Visier immer wieder Zivilisten geraten sind, hatte Karsai zuletzt ebenfalls nicht mehr viel übrig. Seine Bedenken, sagt er, seien aber von den Amerikanern nicht gehört oder einfach ignoriert worden. Den Erfolg des ISAF-Einsatzes, an dem auch die Bundeswehr mehr als zehn Jahre lang teilgenommen hatte, stellt er grundsätzlich in Frage: "Wir trauern mit den Familien der getöteten deutschen, britischen und amerikanischen Soldaten. Aber ob ihre Opfer etwas gebracht haben, da habe ich eine andere Meinung als der Westen. Die Amerikaner und ihre Verbündeten wollten hier Terror und Extremismus bekämpfen. Stattdessen haben wir in der Welt und in unserer Region hier mehr Extremismus. Welche Fehler haben dazu geführt? Das müssen die Amerikaner und der Westen beantworten. Den Militäreinsatz hier sehe ich negativ."
    Allerdings stellt Karsai auch klar: So sehr er den USA misstraue, so sehr sehe er dagegen Deutschland als Partner. "Wir sind sehr dankbar für die zivile Hilfe, die Deutschland leistet. Sehr dankbar. Deutschland hat sich vollkommen anders verhalten als die USA. Deutschland war immer ehrlich zu uns." Allerdings wünsche er sich, dass deutsche Unternehmen mutiger seien und auch in Afghanistan investierten. "Wir trauen der deutschen Industrie blind. Wir haben sehr hart versucht, deutsche Firmen nach Afghanistan zu bringen. Aber leider trauen sie sich nicht." Dieses Vertrauen, so hofft Karsai, werde sich hoffentlich unter der neuen afghanischen Regierung entwickeln. "Wer hierher kommt, für den wird es sich lohnen."
    Friedensgespräche mit der Taliban
    Karsai hofft auch, dass jetzt endlich Friedensgespräche mit den Taliban voran kommen. Sogar der Nachbar Pakistan, dem Karsai seit langem vorwirft, die Extremisten unterstützt zu haben, ist neuerdings dafür offen. "Ob Pakistan das jetzt ernst meint oder nicht, das werden wir sehen. Für uns ist wichtig, dass die Taliban mit uns reden und hier ein neues, friedliches Leben beginnen. Der Friedensprozess wird natürlich nicht einfach. Aber dass geredet wird, das ist wichtig für uns."
    Karsai trifft mit dieser Meinung den Nerv vieler Afghanen. Auch Eid Muhammad, der Ladenbesitzer, und Obaidullah Hanif, der Anwalt, glauben, dass nur ein Frieden mit den Taliban Sicherheit und vielleicht so etwas wie Aufschwung bringen könnten. Dass ihr ehemaliger Präsident Hamid Karsai aber in die große Politik zurück kehren wird, darauf sollten sie lieber nicht setzen. "Nein, ich hatte meine Zeit. Afghanistan darf sich nicht zum Gefangenen der eigenen Geschichte machen. Und meine Präsidentschaft ist definitiv jetzt Geschichte."