Christiane Kaess: "America First” – das war bisher die Devise von Donald Trump. Aber nun hat der US-Präsident einmal mehr seinen Kurs gewechselt: in Bezug auf seine Strategie für Afghanistan. Eigentlich wollte er die Auslandseinsätze schnell beenden. Zu Afghanistan hatte er seine Meinung aber jetzt offenbar geändert. Groß angekündigt wurde seine Rede vor Soldaten in der vergangenen Nacht dazu.
Die Taliban haben auf Trumps Strategiewechsel angekündigt, den, so wörtlich, Heiligen Krieg fortzusetzen.
Am Telefon ist jetzt der außenpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Omid Nouripour. Guten Tag.
Omid Nouripour: Ich grüße Sie, Frau Kaess.
Strategie ist zum Scheitern verurteilt
Kaess: Herr Nouripour, Trump will verhindern, dass Afghanistan zum Rückzugsort von Terroristen wird. Kann das jetzt mit seiner neuen Strategie gelingen?
Nouripour: Das ist in erster Linie eine Eskalationsstrategie. Aus meiner Sicht ist sie zum Scheitern verurteilt. Auf der einen Seite ist es erfreulich, dass er im Gegensatz zu seinem Wahlkampf jetzt nicht sagt, wir kümmern uns um nichts auf der Welt, sondern dass er auch tatsächlich den Blick nach Afghanistan gerichtet hat. Aber auf der anderen Seite ist diese künstliche Trennung, wir wollen Terroristen bekämpfen, aber keinen Staatsaufbau, einfach eine Verkennung der Fakten. Die Fakten sind, dass einer der zentralen Motoren für Radikalisierung und für dschihadistische Akquise ist, dass die Menschen kein Vertrauen haben in ihre staatlichen Strukturen, weil sie nicht Sicherheit, weil sie nicht Arbeitsplätze liefern, und wenn ich jetzt den Staatsaufbau links liegen lasse, dann kann ich die Symptome des Terrors bekämpfen, aber den Terrorismus sicher nicht.
Kaess: Sie sprechen jetzt von einer Eskalationsstrategie. Aber es gibt eine Menge positive Reaktionen auf diese Ankündigungen von Trump. Beim US-Militär heißt es zum Beispiel, die Taliban können den Kampf jetzt nicht mehr für sich entscheiden.
Nouripour: Dass die Taliban den Kampf militärisch nicht gewinnen können - das war genau der Wortlaut -, das war, ehrlich gesagt, auch vorher so. Die Taliban haben den Kampf auch militärisch nie gewinnen können. Die haben immer nur davon gezehrt, dass genau das andere, nämlich der Staatsaufbau nicht funktioniert hat. Die sind immer wieder auf die Füße gekommen, egal wie hart man sie getroffen hat, weil sie dann vielleicht sich zurückgezogen haben, um dann wieder aus ihren Höhlen zurückzukommen, um zu sagen, seht ihr, der Staat ist korrupt, der kann euch nicht Sicherheit gewährleisten, ihr habt alle keine Arbeitsplätze, die Gerichtsbarkeit funktioniert nicht. Deshalb ist der Staatsaufbau so unglaublich wichtig. Und jetzt das wegzuschieben, heißt eigentlich, dass man Afghanistan nicht mal tatsächlich in die Lage versetzen will, den Terrorismus los zu werden, sondern dass man einfach symbolisch ein paar Leute aus der Luft umbringen will, und das ist absurd.
"Die Staatlichkeit ist auch die Stärke der Regierung"
Kaess: Aber, Herr Nouripour, wenn Sie jetzt den Fokus so wegziehen von der militärischen Komponente, nicht einmal 60 Prozent von Afghanistan, haben wir gerade gehört, sind unter der Kontrolle der afghanischen Sicherheitskräfte. Ist das nicht die Chance jetzt, das zu ändern?
Nouripour: Nein! Es geht nicht darum, dass ich jetzt sage, man sollte auf keinen Fall militärische Mittel sich vornehmen. Man muss die Taliban an bestimmten Stellen und ISIS allemal sicher mit militärischen Mitteln bekämpfen. Das ist überhaupt keine Frage.
Kaess: Was haben Sie dann gegen diese Aufstockung?
Nouripour: Ich sage folgendes: Trump hat beispielsweise gesagt, dass die USA jetzt mehr Waffen geben wollen an die afghanische Armee. Die afghanische Armee, die ich, glaube ich, ein bisschen kenne, hat in der Tat große Defizite. Gleichzeitig hat er immer wieder gesagt, wir wollen uns nicht um die Staatlichkeit kümmern. Die Staatlichkeit ist auch die Stärke der Regierung und das Vertrauen der Leute in die Regierung. Ist die Regierung schwach, gibt es vielleicht eine Armee, die mehr kann, aber der Kopf, der politische Kopf, der diese Armee führen muss, der am Ende des Tages die Befehle geben muss und das Kommando führen muss, wird immer schwächer. Wird das dazu führen, dass Afghanistan immer sicherer wird, oder wird das eher dazu führen, dass lokale militärische Strukturen immer stärker werden und wir wieder zurück verfallen in die heftigste Zeit der War Lords? Ich glaube leider, das zweite ist der Fall.
Kaess: Wir haben dieses Zitat ja gehört von Trump, der Aufbau der Zivilgesellschaft, das Nation Building, das soll gestrichen werden. Aber an einer anderen Stelle in seiner Rede spricht er auch von wirtschaftlicher Unterstützung. Nehmen Sie diesen Satz, "No Nation Building", von Trump vielleicht etwas zu ernst? Ist das nicht einfach nur ein Zugeständnis an seine Wähler?
Nouripour: Ich weiß nicht, ob man grundsätzlich dazu kommen sollte, die Worte des wichtigsten Staatschefs der Welt, weil er immer wieder irre Dinge twittert, tatsächlich nicht ernst zu nehmen. Natürlich ist es so, dass man am Ende die US-Politik am Boden beurteilen muss. Aber das Hauptproblem in Afghanistan ist derzeit ein psychologisches. Die Leute glauben nicht, dass die eigene Regierung das auf die Reihe kriegt. Und wenn der US-Präsident das auch noch massiv unterstreicht, indem er sagt, na ja, wir werden auch nicht mehr dazu beitragen, dass der Staat das hinkriegt, dann wird das erst recht dazu führen, dass das Vertrauen der Leute verschwindet.
"Eines Tages wird man hoffentlich an einen Tisch kommen"
Kaess: Aber Trump spricht auch davon, dass es durchaus irgendwann zu einer politischen Lösung kommen könnte, und er schließt eigentlich auch Verhandlungen mit den Taliban nicht wirklich aus.
Nouripour: Das ist ja auch richtig. Das ist auch nichts, was ich jetzt verurteilen würde. Und eines Tages wird man hoffentlich an einen Tisch kommen. Aber wenn ich am Anfang meiner Rede gleich sage, dass wir sie alle töten wollen, um am Ende zu sagen, na ja, vielleicht verhandeln wir eines Tages miteinander, dann ist das im besten Sinne konfus.
Kaess: Auch bei der NATO hat es ja positive Reaktionen gegeben. Sehen Sie da ein bisschen die Bedenken, dass die NATO eigentlich sich sorgt, dass sie ohne die USA oder ohne diese Verstärkung, die jetzt zugesagt worden ist von Seiten der USA, den Einsatz in Afghanistan gar nicht stemmen könnte?
Nouripour: Das ist in der Tat so. Ich habe Mike Pence selbst gehört in München auf der Sicherheitskonferenz. Der hat nur gesagt, die USA treten aus der NATO nicht aus. Daraufhin gab es Beifall und ein großes Aufatmen der Leute. Wenn wir aber wirklich nur unsere Messlatte dahin hängen, dass die Amerikaner die NATO nicht verlassen und grundsätzlich sich nur noch abkapseln und sonst nichts machen, und dann dafür in Kauf nehmen, dass sie kontraproduktive Dinge tun, dann glaube ich, dass die Messlatte tatsächlich falsch liegt. Ich glaube, dass es absolut wichtig ist, weiterhin dafür zu plädieren, dass nicht nur das Minimale getan wird, sondern auch noch das Richtige.
Kaess: Aber es werden ja zumindest jetzt von Beobachtern diese Äußerungen von Trump in die Richtung interpretiert, dass das zumindest kein Alleingang mehr ist. Ist das eine gute Wendung?
Nouripour: Das wäre an sich eine gute Wendung, aber auch das hat er massiv unterminiert aus meiner Sicht, indem er Pakistan als erster Präsident überhaupt namentlich genannt hat als Unterschlupfort für Terroristen, und gleichzeitig erklärt hat, Indien müsse sich doch jetzt stärker engagieren, hat sie quasi ermutigt. Und wenn man die große Paranoia dieser beiden Staaten einander gegenüber kennt und wenn man die Struktur des Sicherheitsapparates in Pakistan kennt, dann ist das eine Ermutigung für die Falken in Pakistan, sich erst recht so passiv zu beteiligen und zu engagieren, erst recht in Afghanistan. Das ist ziemlich übel. Und wenn man bedenkt, dass die Chinesen die letzten Jahre in Pakistan immer stärker geworden sind, dann merkt man zum Beispiel, die heutige Diskussion, die es derzeit gibt in den pakistanischen Medien nach der Rede, die Frage, die sich da nur noch stellt, ist, sollen wir uns Richtung Moskau mehr wenden oder Richtung Peking.
Bundesregierung sollte Abstand zu Trumps Strategie gewinnen
Kaess: Das habe ich jetzt nicht ganz verstanden, Herr Nouripour. Da muss ich gerade noch mal nachfragen. Warum ist es ein Fehler, Pakistan stärker unter Druck zu setzen, wo Pakistan doch so eine wichtige Rolle spielt in der Region?
Nouripour: Erstens, weil dahinter nichts ist. Trump hat nichts in der Hand, mit dem er Pakistan unter Druck setzen kann, weil mittlerweile die Chinesen die größten Geldgeber sind in Pakistan. Zweitens geht es auch um so was wie eine nationale Ehre, die er damit in der Art und Weise, wie er das formuliert hat, massiv beleidigt. Und drittens geht es auch darum, dass es in Pakistan im Sicherheitsapparat ein Gezerre gibt die ganze Zeit, ob man sich jetzt mehr oder weniger konstruktiv in Afghanistan beteiligen soll. In dem Augenblick, in dem er die Pakistanis in die Ecke stellt, und gleichzeitig sagt, Indien soll mehr jetzt reingehen, Indien, der Erzfeind aus der Sicht der Falken in Pakistan, in Islamabad, verschärft er die Situation innerhalb des Diskurses in Pakistan und stärkt die Hardliner, und das ist ein riesen Problem.
Kaess: Sagen Sie uns zum Schluss noch kurz, Herr Nouripour, denn wir laufen auf die Nachrichten zu: Ändert diese Aussage, ändern diese Aussagen von Trump irgendetwas für Deutschland und den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan?
Nouripour: Erst mal nicht. Wir müssen natürlich sehen, was jetzt tatsächlich genau passiert. Ich gehe davon aus, dass demnächst auch Anforderungen kommen werden, dass mehr Bundeswehrangehörige nach Afghanistan kommen sollen. Ich kann nur sagen, ich habe die letzten Jahre dem Einsatz immer zugestimmt. Ich kann meiner Bundesregierung mächtig nur raten zu versuchen, Abstand zu gewinnen zu dieser Strategie, die eine weitere Eskalation in Afghanistan mit sich bringen wird.
Kaess: … sagt Omid Nouripour. Er ist außenpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. Danke für Ihre Zeit heute Mittag.
Nouripour: Danke Ihnen!
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