Schließung der Grenze bei Thorcham. Feuergefechte mit afghanischen Sicherheitskräften. - Regelmäßig berichtet das pakistanische Fernsehen über Grenzzwischenfälle mit Afghanistan. Beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig, Öl ins Feuer zu gießen. Immer wieder sterben Soldaten bei den Gefechten. Befeuert wird die Feindschaft durch den Vorwurf Kabuls, Pakistan rüste die Taliban aus und destabilisiere so Afghanistan.
Immer wieder hat Pakistan zuletzt die Grenze bei Thorcham wochenlang geschlossen, durch die Waren und Menschen hin und her verkehren. Dieser Pakistani triumphiert:
"Es kommen sonst 30.000 bis 40.000 Menschen täglich rüber. Jetzt hat dieser illegale Grenzverkehr ein Ende. Afghanen können jetzt nicht mehr illegal einwandern. Das ist ein wichtiger Schritt, den die pakistanische Regierung ergriffen hat."
Politisches Spiel auf Kosten der Menschen
Rund 1,5 Millionen registrierte afghanische Flüchtlinge leben in Pakistan. Dazu eine weitere Million unregistrierter Afghanen. Seit Monaten, so Berichte, würden Afghanen von Sicherheitskräften bedrängt. Womöglich auch, weil Pakistan selbst die Last zu groß wird. Umgekehrt berichten Afghanen über schlechte Behandlung, fühlen sich zu Sündenböcken gestempelt.
"Wir haben Schulen, Kliniken und Trainingscenter für Schneiderinnen und Stickerinnen. Eine Mädchenschule und drei Kliniken für medizinische Versorgung. Und ein Großteil der afghanischen Flüchtlinge müssen das Land verlassen. Das ist, wenn der Winter ist, wenn es sehr, sehr kalt ist. Wir haben einen Ausweis, Proof of registration. Die Genehmigung endet im Dezember, Ende 2016. Jetzt hat man verlängert auf März 2017. Aber nicht alle haben diese Karte."
So Nadia Karim, sie unterhält mit dem Afghanischen Frauenverein mehrere Hilfsprojekte in Pakistan. Hamid Sidig, bis kürzlich Botschafter seines Landes in Berlin, sieht ein politisches Spiel auf Kosten der Menschen:
"Das ist ein Massen-Exodus. Die Zahlen sind über 700.000. Das ist auch eine riesengroße Belastung für Afghanistan. Wir haben keine Wohnungen und nicht einmal ein Zelt für sie. Und die Gefahr besteht, wer unter ihnen rüberkommen kann. Sie wissen schon, von manchen terroristischen Organisationen."
500.000 junge Afghanen drängen auf den Arbeitsmarkt
Neben dieser Befürchtung gibt es eine andere, realere Sorge. Die einer wirtschaftlichen Destabilisierung, so Henning Plate, Referatsleiter Afghanistan/Pakistan beim Bundesministerium für Entwicklung.
"Es ist so, dass jedes Jahr 400.000 bis 500.000 junge Afghanen auf den Arbeitsmarkt drängen und nicht alle eine adäquate Beschäftigung finden. Es hat sicherlich das Potenzial, zur Destabilisierung des Landes beizutragen."
Plate war gerade selbst gerade in der Region. Er sieht mehrere Gründe für den Exodus, manche auf den ersten Blick widersprüchlich:
"Ein Grund ist, dass die pakistanische Regierung die Grenze für den kleinen Grenzverkehr geschlossen hat Mitte des Jahres. Da gab es früher 30.000 bis 40.000 Grenzübertritte pro Tag. Ohne Kontrollen. Dieses Lebensmodell ist jetzt weggefallen. Zweitens gab es diese Rückkehrprämien, die stark erhöht wurden. Vom UNHCR, von internationaler Seite. Das sind sozusagen Starthilfen. Da bekommen die 400 Dollar. Und der dritte Grund, die afghanische Regierung hat ihre eigenen Bürger, die in Pakistan leben, zur Rückkehr eingeladen, um beim Wiederaufbau zu helfen. Sie haben ihnen Grundstücke versprochen."
Bis zu 1,4 Millionen Binnenflüchtlinge
Die Regierung in Kabul hat aber im besten Fall Land für einige wenige Rückkehrer. Und die Starthilfen von 400 US-Dollar pro Kopf, bei einer zehnköpfigen Familie immerhin 4.000 Dollar, übernimmt die internationale Gemeinschaft. Hilfsorganisationen warnen allerdings, es reiche vorne und hinten nicht für menschenwürdige Verhältnisse. Thomas Ruttig, Kodirektor des Afghanistan Analysts Network.
"Ja, auf alle Fälle. Weil es einfach eine riesige Zusatzbelastung für ein sozialökonomisches System ist, das auf dem Zahnfleisch geht und wo das meiste nicht funktioniert. Und was die Binnenflüchtlinge betrifft, davon gibt es auch noch einmal 1,2 bis 1,4 Millionen."
In Lagern zehn Kilometer vor Kabul verbringen Menschen und Kinder den anstehenden Winter barfuß, mit aufgeplatzten Füßen und schwarz anlaufender Haut. Ohne Ofen und fließend Wasser oft, so Nadia Karim.
In Lagern zehn Kilometer vor Kabul verbringen Menschen und Kinder den anstehenden Winter barfuß, mit aufgeplatzten Füßen und schwarz anlaufender Haut. Ohne Ofen und fließend Wasser oft, so Nadia Karim.
Zahl der Rückkehrer aus Europa unbedeutend
"Viele leben unter Zelten, kommen bei Verwandten unter. Die Situation ist dramatisch und katastrophal. Sie können nicht ewig bei den Verwandten leben. Ein Monat, okay, aber nicht sechs Monate, weil die Verwandten sind ja selbst auch sehr arm."
Wir in Europa müssten unseren Blick ändern, sagt Alexey Yusupov, Afghanistan-Experte der Friedrich-Ebert-Stiftung:
"Ich glaube, eigentlich ist die Zahl der Rückkehrer aus Europa – angesichts der unglaublich hohen Zahl der Rückkehrer aus Pakistan, die aufgrund der veränderten Politik in Pakistan jeden Tag über die Grenzen gehen, und aus dem Iran, von wo in der letzten Woche über 10.000 zurückgekehrt sind – angesichts dieser Zahlen sind die aus Europa Abgeschobenen und Zurückgekehrten für Kabul eigentlich nicht so wichtig. Kabul bräuchte eigentlich Unterstützung, um mit diesen Menschen umzugehen, die aus den Nachbarländern zurückkehren. Es ist jetzt historisch das Land, dass die meisten afghanischen Flüchtlinge aufnimmt."