Dirk Müller: Mehr deutsche Soldaten für Afghanistan, eine Aufstockung von 850 auf 980 Soldaten. Das heißt: Mehr Ausbildung, mehr Beratung für die afghanischen Sicherheitskräfte. Unser Thema mit Jan van Aken, außenpolitischer Experte der Linksfraktion im Bundestag. Guten Abend.
Jan van Aken: Einen schönen guten Abend.
Müller: Herr van Aken, hätten es nicht ruhig ein paar mehr sein können?
Van Aken: Hätten es nicht auch ruhig ein paar weniger sein können? Denn seit vielen, vielen Jahren sagt die Bundeswehr, sagt die gesamte Bundesregierung, egal welcher Couleur, militärisch sind die Taliban nicht zu besiegen. Der einzige Weg zum Frieden in Afghanistan, das sind Verhandlungen, erst Waffenstillstand, dann Regierungsteilung, das heißt eine Regierung der nationalen Einheit, und dann vielleicht dauerhaft Frieden. Mit mehr Militär werden Sie das nicht erreichen.
Müller: Sie sagen, Verantwortung ade, wir gehen raus?
"Weg finden, der Afghanistan schneller zum Frieden führt"
Van Aken: Nein. Ich denke, Verantwortung übernehmen und endlich den Weg finden, der Afghanistan schneller zum Frieden führt. Wir haben ja immer gesagt, es ist völlig klar: Wenn die NATO, wenn die Bundeswehr aus Afghanistan abzieht, dann ist nicht sofort Frieden da. Es ist aber die Voraussetzung für den Frieden, und ich glaube, solange dort noch internationale Truppen sind, solange wird der Bürgerkrieg weitergehen. Gelöst, beendet werden kann er tatsächlich nur durch Verhandlungen, und solange sich Teile der internationalen Gemeinschaft - das ist nicht die Bundesregierung, aber das sind andere NATO-Staaten - ausdrücklich gegen bestimmte Friedensverhandlungen auch in Afghanistan aussprechen, ich meine, solange wird der Krieg weitergehen.
Müller: Das hört sich jetzt so an, als würden NATO-Truppen, NATO-Staaten Friedensverhandlungen am Hindukusch blockieren?
"Mit Gegnern reden, egal wie brutal sie sind"
Van Aken: Es gibt ganz klare Ansagen, dass mit bestimmten Leuten nicht verhandelt werden darf. Auch in Deutschland war das ja lange umstritten. Ich weiß noch: Bei meiner ersten Rede hier im Bundestag, da hat mich die Bundesregierung noch ausgelacht, als wir das gefordert haben, mit den Taliban zu verhandeln. Mittlerweile ist allen klar: Wenn ich Frieden möchte, dann muss ich nicht mit meinen Freunden reden, sondern dann muss ich mit den Gegnern reden, egal wie brutal sie sind.
Müller: Aber das ist doch Konsens inzwischen. Mit den Taliban wird geredet. Auch die Amerikaner reden mit den Taliban.
Van Aken: Das Problem ist doch, dass wir in Afghanistan ja nicht nur die Taliban haben. Das ist mal vereinfacht so gesagt. Die Bundeswehr selbst redet deswegen ja auch von regierungsfeindlichen Kräften. Sie haben Warlords hier und dort, sie haben verschiedene Netzwerke, die teilweise von der Kriegsökonomie leben, und wenn Sie jetzt nur einen dieser Player mit an den Tisch holen, dann werden Sie natürlich nicht in allen Regionen Frieden haben. Im Norden, dort wo die Deutschen sind, sind die Taliban nur ein Teil des Problems.
Müller: Aber erklären Sie uns das noch einmal konkret. Wer blockiert welche Verhandlungen mit wem?
Interventionen der USA
Van Aken: Soweit wir das wissen, bei dem Versuch von Ghani im letzten Jahr, Gespräche in der Breite zu führen, wurde nach meiner Information von den Amerikanern interveniert.
Müller: Also der afghanische Präsident. Von dem ist die Rede.
Van Aken: Ja genau, der afghanische Präsident Ghani, der neue Präsident. Es wurde interveniert und wurde gesagt, nein, mit bestimmten Playern darf hier nicht verhandelt werden, und das finde ich tatsächlich eine Negativleistung der NATO. Vor allen jetzt zu glauben, mit noch mehr Bundeswehrsoldaten oder noch mehr NATO-Soldaten können wir dort Frieden bekommen, halte ich für eine völlige Illusion, wenn die Verhandlungen nicht weitergeführt werden.
Müller: Kann es denn keine Gründe, gute Gründe dafür geben zu sagen, wir können uns nicht mit allen, mit allen Warlords, mit allen Drogenbaronen, mit allen Kriminellen an einen Tisch setzen?
"Was ist denn die Alternative?"
Van Aken: Natürlich gibt es gute Gründe. Aber was ist denn die Alternative? Meinen Sie, ich hätte Lust, mich mit allen Warlords und mit den Taliban an einen Tisch zu setzen? Aber wenn ich das nicht tue, dann werde ich doch keine Friedenslösung hinbekommen. Die einzige Alternative dazu ist doch, jemand wird dort bis auf den letzten Mann und Maus ausradiert, das heißt der totale Sieg. Aber dieser totale Sieg, den wird es nicht geben in Afghanistan. Da sind sich alle einig. Das sagen ja alle. Militärisch sind dort die verschiedenen Kräfte nicht zu besiegen. Also muss man reden, ob man nun will oder nicht.
Müller: Jetzt kommen wir noch mal zur Bundeswehr zurück, unser eigentliches Thema heute, das Thema Afghanistan, zugleich 60 Jahre Bundeswehr. Bleiben wir noch einmal am Hindukusch. Ich habe die Zahlen genannt: Aufstockung von 850 auf 980. Da haben Sie gesagt, im Grunde alles politischer Unfug. Die Bundeswehr sollte sich zurückziehen. Wer ist denn dann noch Faustpfand vor Ort? Wo ist noch ein Garant, auf den sich auch die Afghanen verlassen könnten, wenn die NATO ganz weg ist?
Van Aken: Es ist tatsächlich so, dass es in einigen Gegenden eine Machtposition der Taliban gibt, und daran wird die NATO nichts ändern. Daran wird auch die Bundeswehr nichts ändern. Ich finde das grauenvoll, aber das ist die Machtsituation in Afghanistan. Und deswegen sage ich auch immer: Eine wie auch immer geartete Friedensregierung, da werden auch Taliban mit Teil sein. Ich finde das fürchterlich! Ich möchte nicht unter den Taliban leben und von denen regiert werden. Aber das ist die Machtsituation im Moment in Afghanistan. Da kommen wir nicht drum herum.
Müller: Und deswegen gehen wir raus?
Mit Bundeswehr und NATO "wird dieser Bürgerkrieg auf jeden Fall weitergehen"
Van Aken: Ja natürlich! Denn wenn die Bundeswehr nicht rausgeht, wenn die NATO nicht rausgehen würde, dann wird dieser Bürgerkrieg auf jeden Fall weitergehen. Das haben wir doch 13 Jahre lang gesehen. Ich meine, 2001 sind wir hingefahren, um die Wahlen in Kabul zu schützen, und am Ende ist der Krieg immer weiter eskaliert. Wir können das noch mal 13 Jahre machen und dann werden wir in 13 Jahren genau das gleiche Gespräch noch mal führen.
Müller: Was spricht gegen Ausbildung? Was spricht gegen Beratung? Es geht ja nicht um Kampfeinsatz.
Van Aken: Jein! Die Amerikaner haben Kampftruppen vor Ort, auch mit einem echten Kampfauftrag.
Müller: Die Bundeswehr.
"Nach wie vor der Fokus auf das Militärische"
Van Aken: Auch die Bundeswehr hat Spezialkräfte dort vor Ort, die auch zum Kämpfen dort sind, um im Zweifelsfall einzugreifen, und das kann natürlich sehr schnell passieren. Wenn die Amerikaner im Norden unterwegs sind, dort sich an Kämpfen beteiligen, in Notsituationen geraten, dann wird die Bundeswehr natürlich auch mitkämpfen. Deswegen sage ich, das ist nach wie vor der Fokus auf das Militärische, zwar nur noch ein kleiner Teil Spezialkräfte, nur noch 800 oder jetzt fast tausend Soldaten, aber trotzdem hat diese Bundesregierung immer noch den Fokus auf den Militärischen, und ich glaube, das funktioniert nicht.
Müller: Ist das denn richtig? Feigheit vor dem Feind, sage ich jetzt einmal etwas polemisch. Ist das richtig einzuknicken, wenn die anderen zu stark sind?
Van Aken: Das können Sie Feigheit vor dem Feind nennen, aber das ist dann möglicherweise auch Feigheit vor der Friedenslösung, wenn Sie genau das Gegenteil machen. Was will denn die Kanzlerin, was möchte denn der Herr Steinmeier, wenn sie einerseits sagen, militärisch sind die Taliban nicht zu besiegen, aber wir kämpfen weiter? Das haben wir vor fünf Jahren kritisiert, das haben wir vor drei Jahren kritisiert und ich glaube, wir werden das noch in den nächsten zehn Jahren sehen, dass der Krieg nicht aufhört, solange die NATO-Truppen dort sind, egal in welcher Funktion, denn das darf man nie vergessen. Von vielen Afghanen, nur um das noch mal kurz zu Ende zu bringen - werden die als Besatzungstruppen empfunden und führen deswegen auch den Krieg gegen die NATO.
Müller: 60 Jahre Bundeswehr, Herr van Aken. Eine Frage noch dazu. Ist eine gute Bundeswehr vor allem dann gegeben, wenn sie in den Kasernen bleibt?
"Eine gute Bundeswehr ist eine kleine Bundeswehr"
Van Aken: Eine gute Bundeswehr ist eine kleine Bundeswehr und vor allem eine, die nicht im Ausland eingesetzt werden kann.
Müller: Also sagen Sie ja, die Bundeswehr im Ausland brauchen wir nicht?
Van Aken: Die Bundeswehr im Ausland brauchen wir nicht. Ich finde, dass wir einen richtigen Bruch in der Außenpolitik brauchen, im Grundverständnis, dass wir Konflikte nicht immer militärisch sehen, sondern jetzt ohne Bundeswehr denken, so wie es früher auch der Fall war, und versuchen, andere Wege zu finden. Mein Eindruck ist, diese Bundesregierung hat den Hammer in der Hand und deswegen sieht für sie jedes Problem wie ein Nagel aus, denkt alles militärisch. Da müssen wir von wegkommen.
Müller: Gibt es was Gutes bei der Bundeswehr?
Van Aken: Das sind total super Leute! Ich habe mit vielen Bundeswehrsoldaten ganz hervorragende Gespräche gehabt. Aber die Bundeswehr als Institution - und jetzt könnte man immer sagen, na ja, Oderbruch, Fluthilfe, Katastrophenhilfe - das finde ich alles wunderbar. Aber warum kann man das eigentlich nicht zivil organisieren? Nehmen wir doch die Leute, die für solche Katastropheneinsätze genommen werden, und brechen sie raus aus der Bundeswehr. Die brauchen für einen Oderbruch keine Uniform.
Müller: Wenn jetzt ein Unteroffizier, ein Offizier zu Ihnen kommt, dann sagen Sie, wir brauchen euch gar nicht?
Van Aken: Ich sage ihm, ich brauche ihn als Mensch. Aber ich hätte ihn mir lieber vorgestellt ohne Uniform in einem sinnvollen Beruf, wo er Produktiveres leistet.
Müller: Bei uns im Spätinterview Jan van Aken, außenpolitischer Experte der Linksfraktion.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.